Aber sonst stimmt alles. Die fernwehsatten Harmonien von »La Paloma« wehen von Inas Akkordeon schon durch den Saal, als das Programm noch gar nicht angefangen hat. Ein paar knorrige Sätze von ihr genügen, um das adrette Café vor dem geistigen Auge in eine verratzte Hafenkneipe zu verwandelt (»die Tische kleben, sandiger Dreck auf dem Boden, es riecht nach Bier, Fisch und natürlich Rum...«). Hinten an der Bühnenwand hängt der Rettungsring und mitten auf der Bühne steht Ina Z mit ihrem Akkordeon, breitbeinig und fest, als schwankten unter ihr die Schiffsplanken im Wellengang.
In jedem Hafen eine Braut
Sie singt, sie erzählt, diese Ina Z, und plötzlich ist sie ganz lebendig, die eigentümliche Welt der See. Die doch eigentlich in krassem Gegensatz zum wasserarmen Albrand steht – aber gerade darin liegt der Reiz. Wenn Ina Z sie besingt, ist die See wild und ungezähmt. Mit Typen, die sich nicht um Tod und Teufel scheren, wenn sie den Elementen trotzen. Mit Seemannsbräuten, die voller Sehnsucht im Hafen warten, während der Liebste irgendwo dort draußen hart am Wind segelt.Bei Ina Z klingt das alles herrlich zärtlich, herb und makaber. Ihre Lieder sind voller Seele, voller Augenzwinkern, voller schaurigem Seemannsgarn. Etwa, wenn sie von Undine singt, der Meerfrau, die die Seeleute betört, um sie in ihr tödliches Reich am Meeresgrund zu ziehen. Ihr allererstes selbstgeschriebenes Lied sei das gewesen, erzählt Ina, entstanden bei einem Songwriting-Workshop in der Bretagne, verfasst »nackend auf einem Felsen«, auf den sie zuvor durch die Fluten hinausgeschwommen sei.
Mal donnert ihre Stimme wie ein Orkan, mal säuselt sie zart, mal versinkt sie in Wehmut. Klassiker wie Jacques Brels »Heute Nacht, Amsterdam« (glutvoll raunend) oder »Surabaya Johnny« (mit den Handflächen aufs Akkordeon trommelnd) von Bertolt Brecht und Kurt Weill ziehen vorüber. In eigenen Songs wie »Kasimirs Trage« oder »Der Lack ist ab« entfaltet Ina Z ganz eigene Bildwelten voll skurril-melancholischer Einfälle.
An der einen oder anderen Stelle läuft der Akkordeonpart premierenbedingt noch nicht ganz flüssig durch, aber selbst das nutzt Ina Z in schnoddriger Seemannsart für trockene Pointen. Überhaupt sind ihre Erzählungen ein zentraler Bestandteil. Wenn sie die schwierige Dreiecksbeziehung von See, Seemann und Seemannsbraut analysiert. Oder traumatische Kindheitserlebnisse mit dem Meer berichtet. Da ist das Meer plötzlich ganz nah. Das Rauschen und die Weite und alles in dreinhundertsechzig Grad. So dicht und nah, dass die Leute in der dicht gedrängten Stube die Kapitänin gar nicht mehr von Bord lassen wollen und sich Zugabe um Zugabe ertrotzen.
Nein, Hans Albers war nicht zu Besuch. Aber sein bester Ersatz. (GEA)