HAYINGEN-WIMSEN. Die Atmosphäre in der Wimsener Mühle ist einmalig, schwärmt Abi Wallenstein, den die Fans als »lebende Legende des Blues« bezeichnen. Bereits zum dritten Mal ist der Vater der Hamburger Blues-Szene zu Gast an der Zwiefalter Aach. Das rauschende Wasser erinnere ihn an das Mississippi-Delta, sagt der Interpret, der zusammen mit Ludwig Seuss (Piano und Akkordeon) und Hubert Hofherr (Blues Harp) auf der Bühne steht. Wallenstein ist schon einzeln mit beiden unterwegs gewesen, als Trio spielten die drei Vollblutmusiker aber noch nie zusammen. In Wimsen feiern sie Premiere. Es ist ein Genuss, von ihnen den Piedmont-Blues und den texanischen Country-Blues auf die Ohren zu bekommen.
Wallenstein schafft vom ersten Ton den Cross-over zwischen alter Baumwollpflücker-Lautmalerei, fetzigem Funk und hemmungslosem Rock ’n’ Roll. Seelenschmerz und Lebenslust verschmelzen in seiner Musik. Auch in der Dreierbesetzung stehen Spontaneität und Improvisation im Vordergrund. Es gibt zwar eine Set-Liste, doch keiner hält sich daran.
Wallenstein gibt den Ton an und seine Mitmusiker wissen sofort, was jetzt an der Reihe ist. Kein Wunder, dass ein und dasselbe Stück immer wieder anders klingt. »Wir sind manchmal selbst überrascht, was wir spontan für Ideen haben«, schmunzelt Wallenstein. Den 60 Zuhörern, mehr geht wegen der Corona-Auflagen nicht, gefällt es. Sie bedanken sich mit spontanem Applaus und anerkennenden Pfiffen. »Der Blues lebt vom Wechselspiel mit dem Publikum«, strahlt Wallenstein übers ganze Gesicht. Man spürt, dass nicht nur für ihn, sondern auch für die anderen beiden Musiker die Musik eine Lebenseinstellung ist.
Sonny Boy Williamson I. war es, der die Mundharmonika als Melodieinstrument im Blues etabliert hat. Bei »Right Kind Of Life« zeigt Hubert Hofherr sein ganzes Können auf der Blues Harp. Zwölf verschiedene hat er dabei. Mit geschlossenen Augen lässt er die Töne fließen, mal sanft, mal melancholisch, manchmal aber auch laut und schrill.
Spider-Murphy-Gang-Mitglied
Bei Jimmy Yanceys »How Long Blues« und »Tanqueray« von Johnnie Johnson zeigt Ludwig Seuss sein ganzes Können. Die meisten kennen ihn von der Spider Murphy Gang, mit der er seit 1987 auf Tour ist. Im Gegensatz zur »Skandal um Rosi«-Truppe hat er als Blues-Pianist bei Wallenstein und Co. »mehr Freiheiten«, weiß der Blues ’n’ Boogie- und Zydeco-Musiker, der an diesem Abend nicht nur sein unverkennbares Pianospiel, sondern auch seine Fingerfertigkeit auf dem Akkordeon zum Besten gibt.
Als Zugabe gibt es »Sugar Mama« von Johnny Lee Hocker. Unplugged, ohne Verstärker und ohne Mikrofone. Wallenstein holt seine Aluminiumgitarre aus dem Koffer und lässt in Wimsen den King of Boogie musikalisch auferstehen. Dieser Song ist das Sahnehäubchen eines Konzerts, das man nicht so schnell vergessen wird. Man kann sich nur wünschen, dass die drei Herren in dieser Formation noch öfter gemeinsam auf der Bühne stehen. »Ich danke euch für euern Mut, dass ihr hierhergekommen seid.« Mit diesen Worten verabschiedet sich Wallenstein von seinem Publikum. Mit tosendem Applaus erwidern die Zuhörer den Dank zurück auf die Bühne. (GEA)