REUTLINGEN/ZÜRICH. Mitten hinein ins Rock-Pop-Gebräu der späten 1960er krachte wie ein Dampfhammer die Musik von Black Sabbath. Plötzlich war sie da, die Musik, die die Wut einer sich unverstanden fühlenden Jugend in ungebändigter Aggression hinausbrüllte. Heavy Metal. Gitarrensaiten zerrissen, Trommelfelle platzten, Konzertsäle gingen in Trümmer. Später brannten auch Kirchen. Heute, 50 Jahre später, ist der Dampfhammer von einst ein respektierter Zweig der Rock-Klassik. Die einst gefürchteten Fans gelten als mustergültig friedfertiges Publikum. Ist das die Vollendung oder das Ende einer Bewegung? GEA-Redakteur Armin Knauer hat den Metal-Autor und Metal-Musiker Jörg Scheller dazu befragt.
GEA: Hätten Sie vor zwanzig Jahren gedacht, dass Metal mal in dem Maße Normalität wird?
Jörg Scheller: In den 1990er-Jahren hat man schon gemerkt, dass es sich normalisiert. Dass man nicht mehr automatisch als Friedhofschänder abgekanzelt wird, wenn man Metal hört. Aber dass er heute sogar in der Werbung eingesetzt wird, hätte ich nicht gedacht. Dass zum Beispiel ein Mobilfunkanbieter mit einer Großmutter wirbt, die die Hand zur »Pommesgabel« (Metal-Gruß, d. Red.) formt. Auch nicht, welche Dimensionen das in Skandinavien annehmen würde, wo Metal zum Teil einer staatlich geförderten Kulturindustrie geworden ist.
Wegen Corona sind dieses Jahr alle Festivals abgesagt. Was heißt das für die Metal-Szene? Ist nicht gerade im Metal das Live-Ritual zentral?
Scheller: Ja, das ist ein heftiger Schlag für die Szene. Metal ist eine Musik, deren Vibrationen man bis in die Eingeweide spüren muss. Zu Hause mit dem Kopfhörer ist es nicht dasselbe. Für mich gehören auch die Gerüche dazu. Diesen Geruch nach Bier, Schweiß und diesen komischen Mehrzweckhallen bekommt man nicht mehr aus der Nase, wenn man das mal ein paar Jahre erlebt hat. Auf der anderen Seite ist Heavy Metal gut gerüstet für Corona. Weil Metal-Fans tatsächlich noch Alben kaufen. Und Metal ist ja Krisenmusik, sie dreht sich meist um Untergangsszenarien. Wenn es diesem Genre nicht gelingt, Corona zu überstehen, gelingt es keinem.
Wie erklärt sich die Popularität des Metal? Er ist ja eine sehr aggressive Musik, aber wir leben doch in einer eher friedlichen Gesellschaft …
Scheller: Metal ist gerade eine Reaktion darauf, dass unser Leben immer sicherer, angenehmer, zuckriger geworden ist. Wir Menschen brauchen nicht nur Komfort, wir brauchen auch Intensität, Spannung, Schauer. Metal macht genau diese verloren gegangenen Härten in ästhetischer Form wieder zugänglich. Dabei ist Metal sehr diszipliniert, es geht immer um eine kontrollierte Aggression, anders als in Teilen des Punk, wo es mehr ums explosionsartige Einfach-Drauflosspielen geht. Zum Dritten ist Metal auch eine aufbauende, ermächtigende Musik. Dass man die Apokalypse, gleichzeitig aber auch das Gegenmittel, das Aufbauende, bekommt, das findet man so in wenigen anderen Popformen.
Nun wurde dem Metal lange eine Nähe zu Satanismus und Gewalt vorgeworfen. Er hat ja in der Tat Affinität zum Okkulten und zur Gewalt …
Scheller: In den 70er- und 80er-Jahren hat man oft missverstanden, dass Metal sich von diesen Themen faszinieren lässt, dass er sich aber im Unterschied zu Punk oder Hardcore ganz selten politisch oder aktivistisch positioniert. Metal lässt das Verdrängte, das Dunkle an sich heran, aber nicht im Sinne einer Gewaltaufforderung, sondern als Ästhetisierung dieser Themen. Der katholische Theologe Sebastian Berndt sagt, das eigentlich Skandalöse am Heavy Metal sei, dass er von der moralischen Wertung absieht. Nehmen Sie etwa den Song »Angel of Death« von Slayer, wo es um Auschwitz und den Lagerarzt Mengele geht: Da wird dargelegt, was dort passiert ist, aber es wird nicht moralisch kommentiert – oder nur in feinen Andeutungen. Das ist etwas, was viele irritiert, dass diese Dinge ohne weltanschaulichen Begleitschutz auf das Publikum losgelassen werden. Mich hat genau das immer fasziniert. Mich hat Metal dazu eingeladen, mich selber mit diesen Dingen auseinanderzusetzen.
In den frühen 1990ern zündeten Black-Metal-Fans in Norwegen Kirchen an. Lässt sich das als bloße Episode abtun?
Scheller: Diese Black-Metal-Fans in Norwegen gehörten zur sogenannten »Second Wave of Black Metal« (zweite Welle des Black Metal, d. Red.). Die erste Welle in den 1980ern war überhaupt nicht aktivistisch. Die Black-Metaller der zweiten Welle waren hingegen eine Abspaltungsbewegung vom klassischen Heavy Metal. Die standen dessen weltanschaulicher Unverbindlichkeit kritisch gegenüber. Insofern ist es eine Abgrenzung von dem, was Metal in seiner historischen Gewachsenheit ausmacht. Ich sehe in dieser Episode in Norwegen einen Vorgeschmack dessen, was wir heute erleben: nämlich von identitärem Aktivismus. Damals ging es ja in der Black-Metal-Szene in Norwegen darum, eine nordische Identität gegen die liberale, kosmopolitische Globalisierung zu setzen, sich vom »Anything goes« abzugrenzen. Da scheint viel von den Kulturkämpfen auf, die wir heute erleben. Aber es ist eine Episode, die sich absetzt von dem, was Heavy Metal historisch ausmacht.
BUCHTIPP
Jörg Scheller hat kürzlich den Band »Metalmorphosen – Die unwahrscheinlichen Wandlungen des Heavy Metal« herausgebracht. Darin befasst er sich mit der Entwicklung und Vielfalt des Metal sowie mit seinen Bezügen zu Religion, Geschlechtern und anderen Szenen. Der Band ist als Taschenbuch im Franz-Steiner-Verlag erschienen, kostet 24 Euro und hat 286 Seiten inklusive vieler Abbildungen. (GEA)
Sie ziehen die erstaunliche Schlussfolgerung, dass der Heavy Metal eine innere Affinität zum Liberalismus hat. Mit all den martialischen Posen würde man doch eher eine Neigung zu autoritären Regimes vermuten …
Scheller: Diese Gesten von Macht und Dominanz sind im Metal vor allem ästhetischer Ausdruck, nicht weltanschauliches Bekenntnis. Wenn Sie sich die stilprägenden Heavy-Metal-Bands anschauen, ob Metallica, Slayer, Iron Maiden oder Motörhead – bei all diesen Gruppen findet man eine Philosophie von leben und leben lassen. Metallica ist für mich das beste Beispiel. Sänger James Hetfield ist ein konservativer »Redneck«, Drummer Lars Ulrich ein smarter Geschäftsmann, Gitarrist Kirk Hammett eher so ein queerer Surfertyp und Bassist Robert Trujillo hat lateinamerikanische Wurzeln. Eine typische Forderung des Liberalismus ist die Freiheit der Rede. Im Metal wird das Kontroverse nicht verdrängt, sondern es wird auf die Bühne gebracht und diskutiert. Zudem die große Pluralität: Man findet Meditatives, Atmosphärisches, Schnelles, Düsteres, Optimistisches.
Diese Breite spielt in Ihrem Buch eine zentrale Rolle. Können Sie mal skizzieren, wie sich der Metal in immer neue Subgenres auffächert?
Scheller: Wir haben auf der einen Seite den Speed Metal, der sehr schnell, hart und präzise ist; auf der anderen Seite den Funeral Doom, eine unglaublich zähe, langsame, lavaartige Form von Metal. Oder wir haben den kunstaffinen Post-Metal à la Sunn O))). Es gibt den opernhaften Metal von Iron Maiden, der oft fast etwas Varietémäßiges hat. Und dann Death Metal, Black Metal, Grindcore und viele andere. Ich vergleiche das gerne mit der Schweiz: Es gibt den Bund, das ist der Heavy Metal; in diesem Bund gibt es einen Haufen von Kleinstaaten, die zusammengehören und sich doch gegeneinander abgrenzen.
»Metal war immer etwas ›queer‹ – man denke an all die Männer mit langen Haaren und engen Hosen«
Kann sich der Metal überhaupt noch weiterentwickeln? Ist mit diesen ganzen Subgenres nicht alles ausgereizt?
Scheller: (lacht) Ich glaube, der Metal ist heute in einer Phase, wie es die historischen Kunst-Avantgarden am Anfang des 20. Jahrhunderts waren. Man hatte alles ausprobiert, man hatte das schwarze Quadrat gemalt, die verwirrenden Environments des Surrealismus geschaffen. Mit dem Metal ist es ähnlich: Alles Neue, das man schaffen will, ist schon mal dagewesen. In den letzten Jahren hatten wir eine Renaissance des klassischen Heavy Metal. Die »New Wave Of British Heavy Metal« (zu der Ende der 1970er Bands wie Iron Maiden oder Judas Priest zählten, d. Red.) ist wieder stark; die klassischen Bands wie Kreator sind wieder sehr aktiv. Die großen Innovationen des Heavy Metal liegen in der Vergangenheit.
Die Mehrzahl der Metal-Musiker und -Fans ist männlich; vieles an der Metal-Kultur passt auf Klischees der Männlichkeit. Ist Metal Männermusik?
Scheller: Mir scheint sogar, dass Heavy Metal zunehmend attraktiv wird für Frauen! Gerade weil sie dort nicht in weibliche Klischeerollen gezwungen werden. Im Heavy Metal können Frauen in einer Weise performen, die mit Erwartungshaltungen bricht. Sie können growlen, shouten, keifen. Gleichzeitig ist Metal immer ein bisschen »queer« gewesen. Man denke an all die Männer mit langen Haaren, die hohe Schreie ausstoßen und enge Hosen tragen! Hinter der Fassade der Hypermaskulinität war Metal immer ambivalenter. Im Moment sind gerade im Extreme-Metal-Bereich viele starke Frauen am Start.
Etwa auch in Lateinamerika, wo der Metal ja eine stärker sozialkritische Funktion hat …
Scheller: Absolut! Sozialkritisch war Metal immer – aber eben eher diffus. Man konnte im Metal bejammern, dass Diktatoren nicht so toll sind, das ist in unseren Breitengraden eine eher allgemeine Sozialkritik. Das wurde in den Militärdiktaturen Südamerikas natürlich ganz anders gehört.
Noch mal zum Ausgangspunkt: Wenn Metal inzwischen Normalität ist, ist es dann überhaupt noch Metal? Metal definiert sich doch gerade durch das Abweichen von der Norm.
Scheller: Ich würde tatsächlich sagen, dass Metal heute nicht mehr der Heavy Metal ist, der er in den 1980er-Jahren war. Ich halte das aber für unausweichlich – und auch für gut! Es ist ja gar nicht möglich, dass so eine Sache hundert Jahre lang unangepasst bleibt, während die Leute älter werden, Familien gründen, Häuser bauen. Metal war anfangs eine Jugendkultur, aber die Jugend von damals ist älter geworden, blickt deshalb anders auf den Metal. Metal ist konventioneller geworden, salonfähiger – das ist doch fantastisch! Dann können neue Jugendkulturen kommen und sagen, wir machen was Neueres, Radikaleres. So geht die Geschichte der Avantgarden weiter. (GEA)
ZUR PERSON
Jörg Scheller, 1979 in Stuttgart geboren, spielte als 14-Jähriger zum ersten mal in einer Metal-Band. Er studierte Kunstgeschichte, Philosophie, Medienkunst und Anglistik in Stuttgart, Karlsruhe und Heidelberg und promovierte 2011 mit einer geisteswissenschaftlichen Studie über Arnold Schwarzenegger. Seit 2012 lehrt er an der Zürcher Hochschule der Künste, wo er seit 2019 eine Professur hat. Seit 2003 ist er Sänger und Bassist des Metal-Duos Malmzeit, das einen Metal-Lieferservice betreibt. Er forscht und publiziert in verschiedenen Magazinen und Zeitungen zu Körperkultur, Ausstellungsgeschichte, Popkultur und Popmusik. (GEA)