TÜBINGEN. Bei Gundula Schäfer-Vogel ist es der Wunsch nach mehr Gestaltungsspielraum. Sie liebe zwar ihren Beruf als Richterin, allerdings sei damit auch »viel einsames Aktenstudium« verbunden. Die 52-jährige Juristin hat Rechtswissenschaft in Freiburg und Kriminologie in London studiert. Sie ist Vorsitzende Richterin am Landgericht Rottweil. Den Posten der Kultur- und Sozialbürgermeisterin versteht sie als »Drehtür zwischen Stadtverwaltung und der Stadtgesellschaft«. Soziale Teilhabe liegt ihr dabei besonders am Herzen. Dabei wolle sie vor allem »Menschen, die es wirtschaftlich schwer haben« helfen. Die SPD-Stadträtin beschreibt sich als sehr kulturliebend. An Tübingen schätzt sie die »streitbare und involvierte« Stadtgesellschaft.
Auch Claudia Patzwahl ist ein Tübinger Urgestein. Sie saß für die AL im Tübinger Stadtrat, führte die Kreisgeschäftsstelle der Grünen und ist seit 21 Jahren in der Stadtverwaltung. Sie war persönliche Referentin des Ersten Bürgermeisters Michael Lucke. Seit 2013 ist sie Geschäftsführerin der Sporthallenbetriebs-GmbH. Aktuell betreut sie zudem die Verpackungssteuer. »Mein Studium ist das Leben«, sagt die 59-jährige Quereinsteigerin. Ein großes Anliegen ist ihr der Fachkräftemangel in der Stadtverwaltung. »Da habe ich einige Vorschläge.« Armut zu verhindern, vor allem Kinderarmut, nennt sie als weiteres Thema. Konkrete Vorschläge hat sie auch für die Kultur. So müsse die Stellung des Sudhauses geklärt werden. Vor allem aber möchte sie gerne mit der Universität ins Gespräch kommen für die Freigabe von Räumen für Kulturveranstaltungen.
Die Unterschiede in den politischen Positionen der zwei Bewerberinnen sind denkbar gering. Einig sind sie sich, dass in der Stadt und im Landkreis Tübingen schon jetzt viel getan wird, um soziale Teilhabe zu ermöglichen. Wichtigstes Hilfsmittel: die Kreisbonuscard. Die müsse allerdings noch wesentlich bekannter gemacht werden. Beide loben auch das Handlungskonzept zur barrierefreien Stadt. »Wir haben einen wunderbaren Leitfaden. Lassen Sie uns ihn umsetzen«, sagt Patzwahl. Das sieht Schäfer-Vogel ähnlich. Wichtig ist beiden die Inklusion an Kitas und Schulen. Auch solle »der Tübinger Marktplatz endlich barrierefrei werden«, sagt die Juristin. Patzwahl wirft in diesem Zusammenhang ein, dass es dafür schon lange Pläne in der Stadtverwaltung gibt.
Einigkeit auch bei der Einschätzung der Ausländerbehörde: Bisher sei das Amt eher ein »Gefahrenabwehramt«, sagt Schäfer-Vogel. Ein Mentalitätswandel werde dringend benötigt. Hier sieht sie sich als Juristin gefordert. Vielfach würden Ermessensspielräume nicht genutzt. Dazu wolle sie Mut machen und Ermessensrichtlinien erarbeiten. Auch eine Kooperation mit dem Jobcenter samt Arbeitgeber-Sprechstunden kann sich die SPD-Stadträtin gut vorstellen. Für diese Vorschläge erntete sie den einzigen Beifall des Abends. Patzwahl denkt ebenfalls, dass das Ausländeramt dringend einen Imagewechsel benötige. »Wir müssen die Kollegen motivieren«, sagt Patzwahl. Eine Umorganisation könne durchaus sinnvoll sein. Sie setze aber auch auf den Nachwuchs. Außerdem kann sie sich einen Kooperation mit dem Landkreis und der Stadt Rottenburg gut vorstellen.
Großes Thema für beide: der Fachkräftemangel in der Kinderbetreuung. Um Kinderarmut zu bekämpfen, sei Kita-Betreuung ganz wesentlich, sagt Schäfer-Vogel. Alleinerziehende könnten vielfach ihrem Beruf nicht nachgehen, weil sie keine Betreuung finden. Um dem Fachkräftemangel zu begegnen, setzt die 52-Jährige unter anderem auf Quereinsteiger und »kleinteilige Lösungen«, um das Betreuungsangebot zu erweitern. Auch Patzwahl möchte sich dafür einsetzen, dass die Kinderbetreuung in der Unistadt wieder zuverlässiger wird.
»Ich verstehe mich als Möglichmacherin - Claudia Patzwahl«
Unterschiedliche Einschätzungen gab es immerhin bei der Frage nach möglichen künftigen Kürzungen in den Bereichen Soziales und Kultur. Schäfer-Vogel gibt »keine Sparzusagen genereller Art vor der Wahl«. Außerdem wolle sie Leistungskürzungen versuchen zu vermeiden. Patzwahl wird da schon konkreter. Der Bereich Soziales habe schließlich den allergrößten Anteil im Haushalt. Drohen Kürzungen, müsse also auch in diesem Bereich darüber nachgedacht werden. »Ich möchte keinen Rasenmäher, aber manchmal ist es die Ultima Ratio.«
Bei der Förderung der Kultur will sich Patzwahl an dem orientieren, was nachgefragt werde. "Ich verstehe mich als Möglichmacherin. Für Schäfer-Vogel ist eine "solide Finanzplanung des Vereins" wichtige Grundlage für eine Förderung. Den Raummangel für Kulturveranstalter thematisieren beide. Patzwahl will da vor allem mit der Universität ins Gespräch kommen, Schäfer-Vogel nennt den Ausbau des Schlachthofes als Möglichkeit.
»Kommunikation ist mir ein Herzensanliegen - Gundula Schäfer-Vogel«
Nach den vielen inhaltlichen Themen zur Stadtpolitik gab es für einen Besucher des Podiums noch eine entscheidende Frage: Können sich die Bewerberinnen eine Zusammenarbeit mit den beiden Männern an der Spitze, Oberbürgermeister Boris Palmer und Baubürgermeister Cord Soehlke vorstellen? »Kommunikation ist mir ein Herzensanliegen«, antwortete Schäfer-Vogel. »Die beiden Chefs sind bestimmt eine der größten Herausforderungen. Aber das traue ich mir zu.« »Ich war immer in Männerdomänen unterwegs«, sagte Patzwahl. Sie genieße mittlerweile schon einen gewissen Ruf: »Sie lässt nicht locker, manchmal nervt sie.« (GEA)