ROTTENBURG. Christina Förch Saab schläft derzeit sehr schlecht. Es ist Krieg in ihrer Heimat im Libanon. Die gebürtige Rottenburgerin lebt seit 24 Jahren in Beirut. Mit ihrer 17-jährigen Tochter ist sie aktuell in Deutschland. Ihr Mann Ziad ist, als es noch möglich war, zurück in den Libanon geflogen, um dort andere zu unterstützen. »Er erzählt mir nachts am Telefon, wie er die Bomben in der Nachbarschaft einschlagen hört«, sagt Förch. Sie kann das Thema nicht loslassen. In WhatsApp-Chats verfolge sie ständig, wo Bombardierungen und Evakuierungen stattfinden. In der Nachbarschaft hat es eine Klinik getroffen. Ein Gästehaus, das Freunde von Förch leiten und das 108 Geflüchtete aus dem Südlibanon beherbergt, wurde bombardiert. Einige der Geflüchteten sind dabei ums Leben gekommen. »Ich habe Angst, dass der Krieg sich ausweitet«, sagt sie.
Sie berichtet, wie sich der Krieg entwickelt hat: Der Nahost-Konflikt in der Region im Südlibanon hat sich zugespitzt. Luftschläge gibt es seit dem 8. Oktober 2023. Vor wenigen Wochen hat Israel den Krieg auf den gesamten Libanon ausgeweitet. Vor etwa anderthalb Wochen startete Israel die Bodenoffensive im Südlibanon. Der Hisbollah-Anführer Hassan Nasrallah wurde bei massiven Bombardierungen auf den Beiruter Vorort Dahiyeh getötet. Militärexperten gehen von 80 Eintausend-Kilobomben aus. Bomben fliegen zwischen Israel und der islamistischen paramilitärischen Hisbollah. Eine Million Menschen sind innerhalb von wenigen Tagen nach Beirut und in andere Landesteile geflohen. »Faktisch leben nun dort nun fast doppelt so viele Menschen wie davor«, sagt Förch. »Alles ist zugeparkt. Die Leute schlafen in ihren Autos und campen auf den Straßen, oder auf der Strandpromenade.«
Auch vor dem aktuellen Nahost-Konflikt habe man spüren können, dass die Situation schwieriger wird. »Die Hisbollah ist wie ein Staat im Staat. Sie regiert ganze Stadtviertel. Sie hat Schulen und Krankenhäuser aufgebaut. Ich bin dort nicht gerne. Es herrscht eine bedrückende Atmosphäre«, sagt Förch. Doch das Leben muss weitergehen. Während der aufkeimenden Kriegsatmosphäre hat Förchs Tochter Carla ihren Schulabschluss gemacht. Ihr Vater hat das Zeugnis vor wenigen Tagen abgeholt. Auch das unter ungewöhnlichen Bedingungen: In der Schule sind nun Geflüchtete untergekommen. Diese haben allerdings nicht, wie es schon in anderen Schulen vorgekommen ist, Wertgegenstände wie Laptops geklaut. »Sie sitzen entspannt im Pausenhof und rauchen Wasserpfeife«, erzählt Förch.
Förch ist 2000 nach Libanon gezogen, um dort als Journalistin zu berichten. Sie möchte zeigen, dass Nahost nicht nur »Gewalt und Konflikte« bedeutet. »Die Leute haben ein normales Leben und Hoffnungen und Träume. Das Leben dort ist extrem intensiv. Beirut hat den anarchistischen, wilden Charme vergleichbar mit dem Berlin der Nachwende-Zeit«, sagt die 55-Jährige. Andererseits mangelt es auch an einigem. »Seit Jahren haben wir zum Beispiel nur zwei Stunden am Tag Strom. Man muss sich über teure Diesel-Generatoren versorgen.«
Immer wieder hat Förch Konflikte miterlebt, etwa den Julikrieg 2006 zwischen Israel und Hisbollah. Eine Kriegsatmosphäre wie die aktuelle ist für sie jedoch erheblich erschreckender. »«Fassungslos sind wir am 7. Oktober 2023 vor dem Fernseher gesessen. Es war surreal. Wir haben gesehen, wie die Hamas nach Israel eingedrungen ist und uns war klar, Israel verzeiht das nicht und könnte ganz Gaza plattmachen», sagt sie.«, sagt sie. Wenn es um den Israel-Palästina-Konflikt geht, plädiert Förch dafür, »den Schmerz der Anderen« zu begreifen. »Ich bin gegen Schwarz-Weiß-Denken. Kriegsursachen sind komplex. Konflikte ziehen sich über Jahre hinweg«, gibt sie zu bedenken.
Gemeinsame Sache
Die Politikwissenschaftlerin und Journalistin setzt sich seit vier Jahren mit dem Verein Fighters for Peace in der Extremismus-Prävention ein. »Ich möchte was in der Gesellschaft verändern. Ich möchte Heilungs- und Versöhnungseffekte anstoßen«, sagt sie. Dabei setzen sie unter anderem auf Zeitzeugen aus dem Bürgerkrieg, der von 1975 bis 1990 das Land zerrüttete. Auch ihr Mann Zaid hat jahrelang in diesem Krieg gekämpft. »Die ehemaligen Kämpfer sind mittlerweile über 60 Jahre alt. Sie haben unterschiedliche politische und religiöse Hintergründe und waren früher teils verfeindet. Nun machen sie bei uns gemeinsame Sache«, erklärt sie. Der Verein bietet unter anderem Workshops an. In einem Selbstversuch erfahren die Teilnehmer etwa die Mechanismen der Manipulation, wie etwa Gruppendruck, keine Zeit zum Nachdenken lassen, leere Versprechen. Essenziell sei bei der Arbeit auch der Dialog mit den Zeitzeugen: »Wir wollen zum Beispiel Schülern zeigen, dass man, auch wenn man Scheiße gebaut hat, sein Leben ändern kann.« Darüber hinaus organisiert der Vereine kulturelle Projekte.
Von der Regierung fühlt sich Förch in dieser schwierigen Situation im Stich gelassen. Jedoch glaubt sie an die Libanesen. Ein Freund von ihr hat innerhalb weniger Tage ein Community-Projekt aus dem Boden gestampft. Er versorgt nun mit einem Team von 300 Freiwilligen 10.000 Geflüchtete täglich mit Essen. Auch mehrere Restaurants haben sich angeschlossen. (GEA)