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Wie der Pilzexperte von Tübingen seine Leidenschaft zum Beruf gemacht hat

Pilzsammler sind gut für die Natur, meint der Tübinger Sachverständige Norbert Walter und kritisiert die Forstwirtschaft.

Mit 57 Jahren hat Norbert Walter seine Leidenschaft zum Beruf gemacht.  FOTOS: SCHNIEPP
Mit 57 Jahren hat Norbert Walter seine Leidenschaft zum Beruf gemacht. Foto: Max Schniepp
Mit 57 Jahren hat Norbert Walter seine Leidenschaft zum Beruf gemacht.
Foto: Max Schniepp

TÜBINGEN. »Muss man die putzen?« oder »kann man die essen?« Häufige Fragen, die Norbert Walter aus Tübingen immer wieder gestellt bekommt. In seinen Händen hält er einen eigenartigen Pilz mit einem seltsam verformten Stiel. Die schwarzen Stellen auf dem Pilz deuten darauf hin, dass der Pilz auf gar keinen Fall zum Verzehr geeignet ist. Aber falsch gedacht. Denn Norbert Walter kennt sich mit den besonderen Delikatessen und Gefahren der Pilzwelt bestens aus. Und das so gut, dass sogar Ärzte den lizenzierten Pilzberater bei Vergiftungen von Patienten als Experten hinzuziehen.

Begonnen hat Norbert Walters Leidenschaft für die Pilze im Kindesalter. Im Alter von vier Jahren war er mit seinem Cousin im Wald unterwegs, da landeten die ersten Pilze in seinem Korb. »Mein Vetter hat sich nicht ausgekannt, welche man essen kann, aber wir hatten zwei Körbchen mit wunderschönen Pilzen«, erinnert sich Walter. An Waldwegen habe er Wanderer gefragt, welche Pilze er gefunden hat und ob sie essbar sind. Er gewinnt erstes Fachwissen. »Dann hat mich immer mehr das Sammelfieber gepackt.«

»Bevor der Mensch den Pilz ausrotten kann, rottet der Pilz den Menschen aus«

53 Jahre später macht er seine Leidenschaft zum Beruf. Fachberatung gibt Norbert Walter in seinem Laden jedem gratis mit auf den Weg, der ihn mit Pilzen im Gepäck besucht. Denn wer uninformiert einen giftigen Pilz isst, sollte sich schnellstmöglich in medizinische Behandlung begeben. Pilzberater wie Walter stehen dann den Kliniken zur Verfügung, um den Pilz und damit das Gift genau zu bestimmen. »Zuallererst schaue ich nach Putzresten, die nach dem Kochen übrig geblieben sind.« Unter dem Mikroskop kann der Sachverständige die Art genau bestimmen. Beraten hat Walter schon in Kliniken in Tübingen, Reutlingen und Balingen.

Die Vielfältigkeit der Pilzwelt kann den Laien schnell überfordern, denn die Bandbreite ist sehr groß: von selbst gesammelten Steinpilzen oder Pfifferlingen aus den Wäldern Tübingens bis hin zu exotischen Varianten wie dem sogenannten »Chaga-Pilz« aus Finnland. »Der Chaga darf von gesetzlicher Seite nicht mit einem medizinischen Effekt beworben werden, sondern nur als Nahrungsergänzungsmittel«, so Walter. Wegen einer angeblich krebshemmenden Wirkung, die dem Pilz in der Volksmedizin nachgesagt wird, bekam der Experte die Anfrage einer Tübingerin, ob er den Pilz auftreiben könne. »So ziemlich jeden Pilz kann ich mir in wenigen Tagen ins Geschäft liefern lassen«, sagt er. Die meisten gängigen Sorten wie Pfifferlinge oder Steinpilze sammelt er jedoch selbst in den Wäldern um Tübingen. Dabei hat Norbert Walter eine klare Meinung über Forstwirtschaft, die allzu oft das Wachsen von Pilzen unmöglich mache. »Das Problem sind die Forstarbeiter mit ihren schweren Geräten – der Hauptfeind von jedem Pilz.« In der sogenannten »Rückegasse« – ein forstwirtschaftlicher Begriff für eine Schneise durch den Wald, durch den geschlagene Stämme gezogen werden – könne in den Jahrzehnten nach ihrer Nutzung kein einziger Pilz mehr wachsen.

Durch schwere forstwirtschaftliche Geräte werde der Boden so stark verdichtet und umgegraben, dass Pilze dort nicht mehr wachsen können, weil das Pilzgeflecht im Boden dadurch dauerhaft zerstört werde. Für einen sowieso schon von Trockenheit bedrohten Wald sei dies kontraproduktiv, so Walter. Denn Pilze wachsen größtenteils im Erdboden, erklärt er, wo sie ähnlich wie ein Schwamm Wasser speichern. »Sie sammeln über zehn Mal mehr Wasser als Bäume. Wir haben aber keine Wälder mehr sondern Baum-Plantagen.«

»Der Schönbuch heißt bald nicht mehr Schönbuch, sondern er kann in ›Wüstbuch‹ umgetauft werden, wenn noch mehr Bäume im Wald gefällt werden«, warnt Walter. »Für die 14 Bäume haben sie im Schönbuch eine Rückegasse von 460 Metern angelegt. Das ist fast doppelt so lang, wie die Tübinger Ammergasse.«

»Problem sind die Forstarbeiter mit schweren Geräten – der Hauptfeind von jedem Pilz«

Er kritisiert Gebiete, in denen mit der Aussicht auf forstwirtschaftlichen Profit gefällt und gepflanzt wird. Rückegassen müssten reduziert oder ganz vermieden werden, findet Walter. Zu viele Pilzsammler in Wäldern – im Land gibt es strenge Gesetze zur Maximalmenge – seien kein Problem.

Vielmehr helfe der Mensch mit seiner Sammelleidenschaft den Pilzen im Wald, sich weiter zu vermehren. »Jeder Pilzsammler verteilt mit seinem Korb die Sporen im Wald. Damit hilft er der Artenvielfalt.«

Mit Experten und anderen leidenschaftlichen Sammlern bemüht sich Walter um eine Petition zur Kippung des Sammelgesetzes. Benötigt werden 100 000 Unterschriften, um auf die Tagesordnung des Bundestages gesetzt zu werden. Deshalb hofft er auf mehr Unterstützung in der Öffentlichkeit.

Derzeit sind in Baden-Württemberg maximal zwei Kilogramm pro Tag und Person erlaubt. Dies sei zu wenig, findet Walter, denn immer wieder gibt es Fälle von unglücklichen Sammlern, die Geldstrafen bei einer Überschreitung dieser Maximalmenge bezahlen müssen. Mehr Pilze sollten gesammelt werden – viel mehr, findet der Experte.

Es sei ein Irrglaube, dass der Mensch die Pilze ausrotten könne, meint der Sachverständige. »600 Millionen Jahre, bevor es die ersten Pflanzen gab, gab es die ersten Pilze«, so Walter. »Und bevor der Mensch den Pilz ausrotten könne, rottet der Pilz den Menschen aus«, ist er sich sicher. (GEA)