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Vor 70 Jahren: Einbruch in Hohenzollern-Schatzkammer

Ein Ex-Zirkus-Artist landet frechen Coup auf der Burg Hohenzollern bei Hechingen. Manches Diebesgut tauchte nie wieder auf.

Günther Boetsch, Museumsführer im Kriminalmuseum der Akademie der Polizei Baden-Württemberg in Freiburg, zeigt den Original-Bolz
Günther Boetsch, Museumsführer im Kriminalmuseum der Akademie der Polizei Baden-Württemberg in Freiburg, zeigt den Original-Bolzenschneider des Einbruchs in die Schatzkammer der Burg Hohenzollern. Foto: dpa
Günther Boetsch, Museumsführer im Kriminalmuseum der Akademie der Polizei Baden-Württemberg in Freiburg, zeigt den Original-Bolzenschneider des Einbruchs in die Schatzkammer der Burg Hohenzollern.
Foto: dpa

BURG HOHENZOLLERN. Es war Freitagmorgen 6 Uhr, als dem damaligen Kastellan der Burg Hohenzollern, Oskar Berndt, der Atem stockte. Auf seinem Kontrollgang bemerkt er im Burghof, dass an einem Fenster zur Schatzkammer ein eiserner Gitterstab aufgehebelt wurde und die Scheibe eingeschlagen war. Schnell bestätigte sich das unheilvolle Szenario. In die hohenzollerische Schatzkammer wurde in der Nacht zuvor eingebrochen. Es war der 31. Juli 1953, vor 70 Jahren.

Aus den zertrümmerten Glasvitrinen wurden unter anderem mehrere mit Brillanten besetzte Orden entwendet, ein Marschallstab Wilhelms II., ebenfalls mit Edelsteinen verziert, wertvolle Armbänder, goldenes Besteck, ein perlenbesetztes Medaillon, sechs prunkvoll mit Brillanten besetzte Tabatieren Friedrichs des Großen, eine goldene Taufschale mit dazugehöriger Kanne, ebenfalls aus Gold, sowie der letzte verbliebene von insgesamt 50 goldenen Tellern Friedrichs des Großen.

Krone unversehrt

Kurioserweise befand sich aber die Preußische Königskrone unversehrt noch an Ort und Stelle. Die Polizei stellte bald die Theorie auf, dass es sich um eine Bande handeln müsse inklusive einer jungen Frau. Denn nur eine sehr schlanke, zierliche Person war nach Ansicht der Kriminologen in der Lage, sich durch die kleine Öffnung zwischen den Gitterstäben zu winden. Die Ermittlungen liefen auf Hochtouren.

Nachdem am 31. Juli 1953 der wertvolle Schatz der deutschen Könige und Kaiser verschwunden war, gerieten schnell Bisinger Kinder
Nachdem am 31. Juli 1953 der wertvolle Schatz der deutschen Könige und Kaiser verschwunden war, gerieten schnell Bisinger Kinder unter Verdacht. Darunter auch Heinz Seidenberger. Foto: Roland Beck
Nachdem am 31. Juli 1953 der wertvolle Schatz der deutschen Könige und Kaiser verschwunden war, gerieten schnell Bisinger Kinder unter Verdacht. Darunter auch Heinz Seidenberger.
Foto: Roland Beck

Heinz Seidenberger aus Bisingen erinnert sich lebhaft an die damaligen Ereignisse. Er war damals zehn Jahre alt und für die Kriminalbeamten einer der Hauptverdächtigen. Allerdings nur vorläufig. Doch der Reihe nach: Es war am Mittwoch, der 22. Juli 1953, als der junge Heinz zusammen mit seinen zwei und drei Jahre älteren Brüdern Peter und Franz sowie dem Kamerad Adolf wie so oft mittags durch die Wälder unterhalb der Burg streifte. Sie waren barfuß unterwegs, denn im Sommer galt der sparsame Umgang mit Schuhsohlen. Deshalb zogen die Buben auch gerne die moosbewachsenen Waldböden den steinigen Wegen vor.

Polizei im Klassenzimmer

»Kurz unterhalb der Burg sah ich in der Nähe einer großen Kiefer etwas Rotes aus dem Moos hervorscheinen. Es sah aus wie ein Rohr.« So wurde die Aussage des Jungen im späteren Polizeiprotokoll vermerkt. Das rote Rohr entpuppte sich als Bolzenschneider, oder Pionierzange, wie man damals sagte. Daneben, ebenfalls von einer Moosschicht verdeckt, fanden sie auch eine Aktentasche, die ein geblümtes Wachstischtuch enthielt sowie einen großen Hammer, eine Beißzange, einen Schraubenzieher und zwei Stricke. »Wir dachten, wenn da schon Moos drüber ist, hat das sicher jemand vor langer Zeit dort verloren und wir haben das Zeug mit nach Hause genommen«, erzählt der heute 80-Jährige. Die Werkzeuge wanderten ins Kellerregal, die Stricke nutzte Mutter Seidenberger als Wäscheleinen.

Am 4. August, wenige Tage nach dem Einbruch, bekam der Lehrer der Kinder Wind von dem kuriosen Fund im Wald und forderte den jungen Heinz auf, ihm das Werkzeug auszuhändigen, um es der Polizei zu übergeben. Zwei Tage später stand dann die Polizei im Klassenzimmer.

»Die haben meine Brüder und mich einfach mitgenommen«, erzählt Seidenberger. »Wir wussten gar nicht, was uns geschieht. Wir waren uns ja keiner Schuld bewusst. Nicht mal unsere Eltern wurden informiert. Wir hatten richtig die Hosen voll.« Stundenlang wurden die Kinder auf der Wache vernommen. Offensichtlich brachten die Beamten die Werkzeug-Buben mit der Theorie der zierlichen Person in Verbindung.

Doch irgendwann liefen die Ermittlungen dann in die richtige Richtung. Denn die Seriennummer auf dem roten Bolzenschneider führte zu einem Eisenwarenhändler. Dieser bestätigte der Polizei den Verkauf des Werkzeuges und erklärte zudem, dass derselbe Mann den gleichen Bolzenschneider zweimal innerhalb von zwei Wochen gekauft hätte.

Die Falle schnappt zu

Der Händler konnte sogar einen Namen zum besagten Kunden liefern: Delmonte. Dieser Name war als Pseudonym bereits aktenkundig und stand in Zusammenhang mit den weiteren Decknamen Pedro Klinger aus Peru und Paul Falcone aus Paraguay und führte alsbald zum richtigen Namen: Paul Falk, Jahrgang 1907, mehrfach vorbestraft, unter anderem wegen Einbruch und Raub.

Nach umfangreichen Ermittlungen und verdeckten Observationen schnappte am 12. März 1954 um 20 Uhr am Bahnhof Frankfurt-Süd die Falle zu. Dorthin hatte sich Paul Falk zu einem Rendezvous mit seiner Liebschaft verabredet. Erwartet wurde er allerdings von zwölf Kriminalbeamten und einem Hundeführer, die das Areal unbemerkt umstellt hatten.

Durchs Gitter gezwängt

Wie sich nach Falks Verhaftung herausstellte, beging er den Einbruch allein, ohne die Hilfe einer zierlichen Person. In seinen jungen Jahren arbeitete er in einem Zirkus, unter anderem als Artist und – seinen Angaben zufolge – auch als Elefanten-Dompteur. Jedenfalls war der eigentlich recht stattliche Mann dennoch sehr beweglich und biegsam. Dass er sich tatsächlich selbst durch das kleine Gitterloch zwängte, bewies er der Polizei später bei einem Vorort-Termin auf der Burg Hohenzollern.

Die hohen Burgmauern überwand er mithilfe von zwei aneinandergebundenen Leitern, die er einem Bauern im Hechinger Ortsteil Boll gestohlen hatte. Allerdings wollte er den dreisten Coup schon früher durchführen, nämlich in der Woche, in der der kleine Heinz Seidenberger das Werkzeug fand, das nun nicht mehr im Versteck lag. Paul Falk musste sich also wohl oder übel einen zweiten Bolzenschneider kaufen und seinen Einbruch neu terminieren. Dass er den zweiten Bolzenschneider beim gleichen Eisenwarenhändler kaufte, war für Falk allerdings schicksalhaft. Denn diese Begebenheit, die dem Händler merkwürdig in Erinnerung blieb, führte die Polizei auf die richtige Fährte.

Dieses kostbare Stück war zum Erstaunen vieler nach dem Einbruch noch da: »Von der Krone habe ich lieber die Finger gelassen«, s
Dieses kostbare Stück war zum Erstaunen vieler nach dem Einbruch noch da: »Von der Krone habe ich lieber die Finger gelassen«, sagte Paul Falk, der tatsächliche Einbrecher, später. »Aus Respekt.« Foto: dpa
Dieses kostbare Stück war zum Erstaunen vieler nach dem Einbruch noch da: »Von der Krone habe ich lieber die Finger gelassen«, sagte Paul Falk, der tatsächliche Einbrecher, später. »Aus Respekt.«
Foto: dpa

Ein Teil der Beute tauchte nie wieder auf. Einige Stücke habe er bei Frankfurt in den Main geworfen, erklärte der Delinquent. Einige goldene Preziosen habe er eingeschmolzen und verkauft. So etwa den goldenen Teller Friedrichs des Großen. Und dessen sechs Brillant-Tabatieren zerbrach er in Einzelteile, um sie unauffälliger verkaufen zu können. Auch von diesen Bruchstücken kehrten nur noch die von drei Tabakdosen zurück, die später restauriert wurden und bis heute in der Schatzkammer ausgestellt sind.

Und was war mit der Krone? Die habe er, nach eigenen Angaben, aus Respekt nicht angerührt. Falk wörtlich: »Hör mal Paul, habe ich mir gesagt, als ich mit dem Hammer vor der Vitrine stand, lass die Krone lieber liegen. Es hat Leute gegeben, die mich deshalb einen Idioten nannten. Andere wieder meinten, ich sei doch ein guter Kerl, weil ich sie nicht mitgenommen habe. Man kann es eben niemand recht machen.«

Sechs Jahre Zuchthaus

Am 22. Juli 1954 begann am Landgericht Hechingen der Prozess gegen Paul Falk. Am 28. Juli wurde er zu sechs Jahren Zuchthaus mit Sicherheitsverwahrung verurteilt. Am 28. Juni 1963 berichteten die Zeitungen in kleinen Meldungen, dass der nunmehr 56-jährige Kronjuwelendieb wieder auf freiem Fuß lebe. Falk hatte nämlich erfolgreich die Aufhebung seiner Sicherungsverwahrung beantragt.

Und Heinz Seidenberger? Der wohnt nach wie vor in Bisingen, unterhalb der Burg. Unzählige Male musste er seine Geschichte schon erzählen. Nicht nur seinen Kindern und Enkelkindern. »Viele, viele Journalisten kamen immer wieder auf mich zu und haben über meine Erlebnisse berichtet, sogar im Fernsehen«, schmunzelt der agile Senior.

Die Tour vermasselt

Auch wenn er damals die Hosen gestrichen voll hatte, heute kann er natürlich darüber lachen. Er, der als Zehnjähriger dem Kronjuwelendieb unbewusst die Tour vermasselte und dadurch auch noch zur Aufklärung eines der bekanntesten Einbrüche beitrug.

Ein paar Mal im Jahr besucht er die Burg Hohenzollern. Meist in Begleitung seiner Frau oder von Freunden und Verwandten. Und spätestens, wenn er dann vor der Schatzkammer steht, am besagten Fenster mit den Eisengittern, kommt die Frage: »Heinz, wie war das damals? Erzähl doch mal.« (GEA)