MÖSSINGEN. Seit Tausenden von Jahren prägt der Mensch die Landschaft. Ihre natürliche Gestalt wird verändert durch landwirtschaftliche Nutzung, Ausbau von Siedlungen, Verkehr und Infrastruktur. Die Relikte früherer Nutzung durch den Menschen – sogenannte Kulturlandschaftsrelikte – geben der Landschaft ihre heutige Form und erlauben Rückschlüsse auf frühere Lebensweisen und Landnutzungen. »So ist Landnutzung immer auch ein Spiegel der Gesellschaft«, sagte Christoph Morrissey bei einem Vortrag in der Pausa-Tonnenhalle. Er untersuchte im Winter vor zwei Jahren das Streuobstwiesengebiet zwischen Mössingen und dem Farrenberg nach genau solchen Kulturlandschaftsrelikten.
Mit zeitintensiven Geländebegehungen, der Nutzung historischer Quellen und einer Drohnenbefliegung hat er das Gebiet erkundet. »Die Drohnenbilder sind viel genauer als Satellitenbilder«, erklärte Morrissey. So lassen sich einzelne Äste sehen, während die Satellitenbilder bei Nahaufnahmen unscharf sind. Mit unterschiedlichen Techniken lassen sich Pflanzenwachstum ebenso wie Trockenheit erkennen und Oberflächenmodelle zeigen zum Beispiel, wie das Wasser fließt.
Die ursprüngliche Nutzung lässt sich anhand einiger noch heute sichtbarer Relikte ableiten. So wurde beispielsweise der Weiher am Linsenbach einst aufgestaut. Viele Mulchen und Quellbäche wurden indes in den vergangenen beiden Jahrhunderten trockengelegt. »Dadurch ging Biodiversität verloren«, sagte Morrissey. Die vielen Kirschen- und Zwetschgenfelder wurden in den 1930er- und entgegen dem Trend auch noch in den 1950er- und 1960er-Jahren angelegt. »Damals gab es von der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft eine Prämie für die Rodung von Obstwiesen«, sagte Morrissey. »Politische Vorgaben ändern sich im Verlauf der Zeit und man sollte eben immer eine gewisse Skepsis haben.«
Eiszapfen-Zucht im Weier
An einem kleinen Weiher Richtung Olgahöhe lasse sich die alte Wasserwirtschaft sehen, so Morrissey. Denn das heutige Biotop diente einst als Eisweiher. Dort wurden Eiszapfen gezüchtet, um sie in Brauereien, aber auch in heimischen Kellern zur Kühlung zu verwenden. »Bis in die 60er-Jahre hinein gab es kaum Kühlschränke«, sagte Morrissey. »Ohne Energie- und Ressourcenverbrauch hat es mit selbst hergestelltem Eis auch geklappt.« Anhand von Bildern zeigte Morrissey die hangparallelen Stufen beispielsweise auf dem Filsenberg auf. Die schmalen Parzellen lassen sich noch erahnen.
Ab 1840 nutzten die Öschinger die »Hangterrassen« landwirtschaftlich. Alleine der Aufstieg mit Ochsen zum Ackern müsse beschwerlich gewesen sein, so Morrissey. Die Not sei damals allerdings so groß gewesen, dass man selbst Flächen in entlegensten Winkeln nutzte. Dass auf einigen Flächen Obstbäume gesetzt wurden, sicherte die Bauern zusätzlich ab und bescherte eine weitere Ernte. »Agroforst ist keine neue Erfindung«, sagte Morrissey. Die vielfältige Nutzung von Flächen bewähre sich schon lange. (stb)