TÜBINGEN. »Ich habe lange überlegt, ob ich es erzählen soll, aus Scham habe ich dann doch damit gehadert«, sagt der Inhaber der Kaffeerösterei »Suedhang«, Martin Lai, während er vor der Tübinger Stiftskirche sitzt. In einer Instagram-Story erzählt er, dass »ein paar schwarze Schafe«, immer wieder Tassen mitgehen lassen. Grob gerechnet fehlen dem Unternehmen aus diesem Grund täglich drei bis vier Tassen. »Im Monat sind es 100 und jährlich 1.000«, berichtet er. Für Lai und seinen Kollegen Robin Hittinger ist das frustrierend, denn ständig müssen sie die fehlenden Tassen durch neue ersetzen. Das geht natürlich ins Geld, denn der Stückpreis liegt bei zehn Euro.
Die Keramiktassen stammen aus einer benachbarten Töpferei und sind Unikate. Sie sind auch in der Kaffeerösterei erhältlich. Sie wurden mit Liebe zum Detail handgefertigt: Sogar die Dicke und Breite der Tassen kommen nicht von ungefähr. Im Fokus stehe das bestmögliche Trinkerlebnis. Vielleicht sind die Gefäße auch deswegen so begehrt, sodass sie manche Kunden heimlich nach dem Kaffeetrinken nicht mehr zurückgeben möchten.
Tassen wieder zurückbringen
»Für uns ist es dramatisch, wir suchen seit über einem Jahr eine Lösung«, informiert Lai die Follower des Unternehmens auf den sozialen Medien. »Den Menschen ist es leider nicht bewusst, was sie für einen Schaden mit so einer Tat anrichten«, sagt er im Gespräch mit dem GEA. Was viele nicht mit bedenken: »Die Existenz der Mitarbeiter hängt davon ab.« Monatlich gehen 1.000 Euro verloren. Für dieses Geld könne sich die Kaffeerösterei noch zwei Minijobber leisten.
Die »Südhang«-Tassen sind sowohl online als auch vor Ort erhältlich. Pro Stück kosten sie je nach Größe zwischen 18 und 35 Euro. Wer sich einen Kaffee bei »Suedhang« kauft, kann ihn entweder vor Ort trinken oder in der Tasse mitnehmen und sie später zurückbringen. Das erlauben die Betreiber mit der Hoffnung, »dass unser Vertrauen nicht missbraucht wird«, sagt Lai. Doch das haben einige seit langem ausgenutzt. Wer dazu gehört, es sich aber anders überlegt hat, kann jetzt gestohlene Tassen zurückbringen, ohne mit rechtlichen Folgen rechnen zu müssen. Dafür haben die Betreiber eine schwarze Kiste vor dem Café platziert.
Nocht niemanden ertappt
Wer genau Tassen mitgehen lässt, kann Lai nicht sagen. Ertappt habe er bisher noch niemanden dabei. Es werde herumerzählt, dass sich in manch einer Tübinger WG haufenweise Tassen stapelten. "Ich beginne misstrauisch zu werden und das will ich nicht", betont Lai. Der Tassenschwund sei insbesondere zu Semesterbeginn hoch. Das kann auch der Pressesprecher des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbands "Dehoga", Daniel Ohl, bestätigen. "Zwar gibt es dazu keine Statistik mit repräsentativen Aussagen", stellt er klar, "es gibt aber vereinzelt Rückmeldungen von Hochschulstädten.
Mitgenommen werden Dinge, die im eigenen Haushalt fehlen, wie zum Beispiel Tassen, Gläser und Besteck. Gefährdet sind vor allem kleinere Gegenstände, die neben dem praktischen Nutzwert noch einen Erinnerungswert haben, also zum Beispiel Biergläser mit dem Aufdruck einer namhaften Brauerei und Gegenstände, auf die der Name des Betriebs aufgeprägt ist."
Auf die Frage, warum Lai kein Pfand verlangt, antwortet er: »Das würde alles komplizierter machen.« Denn: »Viele Kunden zahlen mit Karte. Wenn das Pfand beispielsweise fünf Euro betragen würde, dann würden manche erst recht davon ausgehen, sie könnten die Tassen behalten«, meint Lai. Eine Alternative wäre es, Pappbecher anzubieten. Doch auch das schließt er aus. Dafür ist ihm sein Kaffee viel zu kostbar. »Wer weiß, wie aufwendig es ist, Kaffee herzustellen, kann es verstehen«, sagt er. Alternativ gibt es noch Mehrwegbecher. Doch die kamen bisher nicht gut an. (GEA)