TÜBINGEN. Am selben Abend noch, am Dienstag um 22 Uhr, soll ChrisTine Urspruch zu Dreharbeiten nach Köln reisen. Zuvor jedoch sitzt die Schauspielerin im Tübinger Kreissparkassen Carré der Moderatorin Bernadette Schoog gegenüber und erzählt von ihrem Leben, ihren Filmen, ihren Träumen. Lorenzo Petrocca auf der Gitarre und Axel Kühn am Kontrabass umspinnen das Gespräch mit feinem Jazz, ChrisTine Urspruch füllt den Saal aus mit ihrer heiteren, aufgeschlossenen Präsenz: ein sehr gelungener Dialog.
Bernadette Schoog begrüßt ChrisTine Urspruch als eine Schauspielerin von »enormem Einfluss auf die deutsche Film- und Fernsehlandschaft« – und in der Tat: Jeder deutsche Fernsehzuschauer kennt ChrisTine Urspruch in der Rolle der Rechtsmedizinerin Silke Haller in Team der Krimi-Reihe »Tatort Münster«, an der Seite von Jan Josef Liefers und Axel Prahl alias Boerne und Thiel. Geboren wurde sie 1970 in Remscheid, früh schon spielte sie Theater, in Bonn, am Staatstheater Wiesbaden, an der Volksbühne Berlin, übernahm Rollen wie die der Ophelia in Shakespeares »Hamlet«, gehörte dem Ensemble des Volkstheaters Wien an. 2001 schließlich wurde sie bekann,t als »das Sams« in Ben Verbongs Verfilmung des gleichnamigen Kinderbuchs von Paul Maar, spielte dort ein »merkwürdiges halbhohes, menschenähnliches Wesen«.
Gemischte Gefühle beim Casting
ChrisTine Urspruch ist, mit einer Körpergröße von 1,32 Metern, eine kleinwüchsige Frau. »Ich ging mit gemischten Gefühlen zum Casting«, vertraut sie Bernadette Schoog an. »Eigentlich wollte ich niemals solche Zwergenrollen annehmen, oder einen Pumuckl spielen. Ich wollte die Medea spielen!« Aber die Chemie im Team stimmte, an die Zusammenarbeit mit Ulrich Noethen erinnert sie sich Urspruch noch heute mit großem Vergnügen. Seit 23 Jahren nun muss sie sich vom überkandidelten Münsteraner Pathologen Boerne als »Alberich« ansprechen und mit einem wüsten Zwergenkönig vergleichen lassen, bekannt aus nordischer Mythologie und Wagner-Oper. Hier wie dort in ihrer »Tatort«-Rolle und als Gesprächspartnerin im Sparkassen Carré: Sie nimmt es lachend.
Humor, sagt ChrisTine Urspruch, zähle mehr als Empörung: »Es ist eine Erleichterung, die da eintritt. Manchmal ist es ja wirklich zum Lachen, und wir sollten alle das Leben nicht immer nur ernst nehmen.« Die Zeiten aber haben sich gewandelt, dies weiß Bernadette Schoog, und ChrisTine Urspruch bestätigt es: Drehbuchautoren bekommen genauere Vorschriften im Hinblick auf ihre Figuren, ihre Konstellationen, Inhalte. Den alten, freieren, auch gröberen Ton vermisst ChrisTine Urspruch ein wenig: »Manchmal«, sagt sie, »wünschte ich mir, da käme noch ein richtiger Burner.«
Eine eigene Serie?
Ihre Rolle im »Tatort« jedoch entwickelte sich, im Lauf der Jahre, Silke Haller wird dort in manchen Folgen nun auch in die Ermittlungen mit einbezogen, und das freut ihre Darstellerin – »Mein Traum wäre, wenn es ein Spinn-off geben würde, in dem Alberich im Mittelpunkt steht.« In der kommenden »Tatort«-Folge, zu sehen im Dezember, wird diese Figur jedoch kaum im Vordergrund stehen, dies verrät sie: »Dort geht es um ein Pärchen, es gibt sehr viele Zweierszenen, die anderen Schauspieler haben nicht so viel zu tun.«
Seit sie die Rolle der Silke Haller übernahm, drehte ChrisTine Urspruch weitere Fernsehproduktionen. In Zusammenarbeit mit dem Drehbuchautor Torsten Lenkreit entstanden Serien wie »Dr. Klein« und »Einspruch, Schatz!«, wiederum ganz auf sie zugeschnitten. Sie weiß, dass vor allem Schauspielerinnen in einem Alter über 50 sich oft schwertun, tragende Rollen zu finden; sie ist glücklich, bei solchen Produktionen im Vordergrund stehen zu dürfen. Einer ihrer Wünsche – einmal eine wirklich finstere Rolle zu spielen, eine böse Frau – ist noch nicht in Erfüllung gegangen. Der Wunsch, wieder Theater zu spielen, indes muss warten – ChrisTine Urspruch erhielt erst jüngst verlockende Angebote, die sie absagte, da sie bereits für Dreharbeiten verpflichtet war. Einen weiteren Wunsch wird sie sich sicher irgendwann erfüllen: Den, in New York zu leben, sich einmal als New Yorkerin zu fühlen, im großen Apfel einen ganzen Tag zu Hause zu bleiben. Sie schwärmt von den freundlichen Verkäufern bei Tiffany’s, die sich nichts daraus machen, wenn eine Kundin sich einen Ring nicht leisten kann – »Anprobieren ist umsonst!« Sie hat den Segelschein erworben und das Bodenseeschifffahrtspatent erworben, sie liebt es, in einem Boot dahinzufliegen. »Ich glaube, dass ich vielleicht schon etwas an Mut, Selbstbewusstsein und Tapferkeit in die Wiege gelegt bekommen habe«, sagt sie. »Und deshalb bin ich immer gut mit mir selber umgegangen.«
Vom Sams verfolgt
Als Silke Haller, die Rechtmedizinerin, steht ChriTine Urspruch bald wieder vor der Kamera – das Sams dagegen ist Vergangenheit, verfolgt die Schauspielerin aber immer noch. Nicht nur als ungute Erinnerung an den nicht atmungsaktiven Neoprenanzug, den sie in dieser Rolle tragen musste. Erst vor wenigen Wochen gab sie eine Lesung mit dem »Sams« – und jüngst begegnete ihr bei Dreharbeiten auch ein junger Praktikant, der diese Filme als Kind sah und ihr sage: »Wegen Ihnen bin ich zum Film gekommen.« ChrisTine Urspruch genießt es, von dem seltsamen Wesen, das sie einst spielte, verfolgt zu werden. (GEA)