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Tübinger Uni-Frauenklinik hilft, wenn der Nachwuchs ausbleibt

An der Tübinger Uni-Frauenklinik verhelfen verschiedene Therapieformen zum ersehnten Kind

Dr. Melanie Henes, Leitende Oberärztin der Hormon- und Kinderwunschsprechstunde an der Uniklinik, im Beratungsgespräch.  FOTO: U
Dr. Melanie Henes, Leitende Oberärztin der Hormon- und Kinderwunschsprechstunde an der Uniklinik, im Beratungsgespräch. FOTO: UKT
Dr. Melanie Henes, Leitende Oberärztin der Hormon- und Kinderwunschsprechstunde an der Uniklinik, im Beratungsgespräch. FOTO: UKT

TÜBINGEN. »Ihr sehnlichster Wunsch ist es, schwanger zu werden und ein gesundes Kind in den Armen zu halten? Was bei anderen Paaren so natürlich erscheint, klappt bei Ihnen nicht? Mit diesem Problem sind Sie nicht allein: In Deutschland betrifft das jedes Jahr etwa 800 000 Paare«, heißt es auf der Homepage des Kinderwunsch-Zentrums der Tübinger Universitäts-Frauenklinik.

Das Team um Dr. Melanie Henes hat es sich deshalb zur Aufgabe gemacht, Paare auf ihrem individuellen Weg zum Wunschkind zu begleiten. Über 10 000 Besuche wurden im vergangenen Jahr registriert. Und die Erfolgsaussichten sind sehr hoch: Sie liegen bei 50 bis 75Prozent, sagt die Reproduktionsmedizinerin.

Von Unfruchtbarkeit spricht man, wenn sich bei regelmäßigem Geschlechtsverkehr über ein bis zwei Jahre keine Schwangerschaft ergibt, erklärt Melanie Henes. Das Paar sollte auf jeden Fall nicht zu lange warten, bis es sich Hilfe holt. Zumal die Entscheidung für Kinder mittlerweile deutlich später getroffen wird als früher, und die Eltern dementsprechend älter sind. »Ab einem Alter von 35 Jahren sind die Schwangerschaftsraten selbst bei einer künstlichen Befruchtung nicht mehr so gut wie mit Mitte zwanzig.«

Oft beide Partner betroffen

Ungewollte Kinderlosigkeit gehört zu den sich verstärkenden Problemen der Gesellschaft. Sie wird neben dem demografischen Wandel eine der größten Herausforderungen für die Medizin der Zukunft, weiß man im Kinderwunsch-Zentrum. »Schon heute wird mehr als jede sechste bis siebte neu in Deutschland geschlossene Ehe ungewollt kinderlos bleiben, und das mit stetig steigender Tendenz.«

Mit jeweils 30 bis 40 Prozent sind die Ursachen der Unfruchtbarkeit auf Männer und Frauen gleich verteilt. Bei Männern liegt es meist daran, dass nicht genügend funktionsfähige und bewegliche Spermien produziert werden. Tatsächlich ist die Spermienkonzentration bei Männern in den vergangenen Jahren deutlich gesunken, wie diverse Studien gezeigt haben. Bei Frauen können hormonelle Störungen, Veränderungen der Eileiter oder der Gebärmutter sowie die weitverbreitete Erkrankung Endometriose der Grund sein.

MÖGLICHKEITEN DER KINDERWUNSCHBEHANDLUNG

Zwei Arten der künstlichen Befruchtung

Im Jahr 1997 wurden mehr als 6 500 Kinder nach einer Kinderwunschbehandlung geboren, 2020 waren es bereits 22 200. Das geht aus dem Jahrbuch des Deutschen IVF-Registers hervor. Die Kosten tragen zum Teil die Krankenkassen. Neben der Eisprungstimulation, die von der Kasse übernommen wird, bietet die Uniklinik zwei Arten der künstlichen Befruchtung an: Die Insemination für 160 bis 200 Euro, die In-vitro-Fertilisation (IVF) oder die Intrazytoplasmatische Spermieninjektion (ICSI) für 1 500 bis 3 000 Euro, die zur Hälfte von der Kasse gezahlt werden. Bei der IVF-Therapie werden die gewonnen Eizellen im Labor mit dem aufbereiteten männlichen Samen zusammengebracht und in den Brutschrank gegeben. Bei der ICSI-Therapie, deren Kosten bei rund 4 000 Euro anfangen, wird jeweils ein Spermium in je eine Eizelle eingebracht. Das Kinderwunsch-Zentrum bietet täglich Sprechstunden sowie einen monatlichen Infoabend an. (GEA) 07071 2983117 ivf-sprechstunde@ med.uni-tuebingen.de

In 15 bis 30 Prozent der Fälle sind beide Partner davon betroffen, in fünf bis zehn Prozent ist keine Ursache erkennbar. »Aber auch dann können wir helfen«, sagt Henes. Allerdings dürfen die Frauen nicht älter als 45 sein. Es sei denn, sie verfügen über eingefrorene Eizellen aus jüngeren Jahren. Dann werden Patientinnen bis 50 Jahre behandelt, so Henes.

Vor allem viele Frauen informieren sich auch schon über entsprechende Foren, woran es liegen könnte, dass sie nicht schwanger werden. Im Kinderwunschzentrum werden zur Entscheidung, welche Therapie infrage kommt, in einem ersten Schritt ein Hormonprofil der Frau erstellt und ein Spermiogramm des Mannes herangezogen, erläutert die Ärztin. Dann werden Vorbelastungen wie Erektionsstörungen, Krebsbehandlungen oder unregelmäßige Zyklen abgeklärt. Auch die psychische Belastung spielt beim unerfüllten Kinderwunsch eine große Rolle. »Geben Sie den Stress bei uns ab«, empfiehlt sie den Rat suchenden künftigen Eltern.

»Romantisch ist anders«

Nach der Besprechung aller Befunde kann mit der Zyklusüberwachung und einer medikamentösen Stimulation der optimale Zeitpunkt für die Befruchtung der Eizelle gefunden werden. Wenn das ebenso wie die Insemination nicht funktioniert, kommt die In-vitro-Therapie zum Einsatz. "Das ist immer noch ein Tabu-Thema", weiß Henes. Dabei werden Eizellen der Frau entnommen und im Labor mit den Spermien des Partners oder eines Samenspenders zusammengebracht. Eizellenspenden sind in Deutschland dagegen nicht erlaubt. »Romantisch ist anders«, hat ihr kürzlich eine Patientin gesagt. Dabei wurden seit der Einführung dieser Methode in den 70er-Jahren über zehn Millionen Kinder in Deutschland künstlich gezeugt.

Weniger Mehrlingsgeburten

Sollte auch das In-vitro-Verfahren nicht klappen, gibt es noch die Möglichkeit, eine reife Eizelle mit einem einzigen, ausgewählten Spermium zusammenzubringen. Beim Geschlechtsverkehr haben etwa 15 Millionen Spermien pro Milliliter Ejakulat die Chance, ans Ziel zu gelangen, bei der In-vitro-Therapie sind es immer noch 100 000, die im Labor pro Eizelle hinzugegeben werden. Dort werden die befruchteten Eizellen dann in den Brutschrank gegeben und als Embryo schließlich in die Gebärmutter übertragen.

Seit einigen Jahren wird einer Frau nur noch jeweils ein Embryo eingesetzt, obwohl drei erlaubt sind. Das gilt auch bei eingefrorenen Eizellen. Dadurch hat sich die Zahl der Mehrlingsgeburten und die damit verbundenen Risiken nach einer künstlichen Befruchtung deutlich reduziert, erklärt Henes.

Die Kosten einer künstlichen Befruchtung übernehmen in der Regel zumindest zur Hälfte die gesetzlichen Krankenkassen. Allerdings nur bei verheirateten Paaren. Und vorausgesetzt, die Frau ist älter als 25 und jünger als 40 Jahre und der Mann nicht älter als 50. Ganz besonders freut sich die Repoduktionsmedizinerin, wenn ihre Patientinnen nach der Entbindung im gleichen Gebäude vorbeikommen und ihr das Ergebnis ihrer Behandlung vorführen. (GEA)