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Tübinger Stiftung gründet Institut, das KI und Neurowissenschaften verbindet

Professor Philipp Berens ist Gründungsdirektor des neuen Institute for Artificial Intelligence in Brain Health in Tübingen.  FOT
Professor Philipp Berens ist Gründungsdirektor des neuen Institute for Artificial Intelligence in Brain Health in Tübingen. FOTO: STÖHR
Professor Philipp Berens ist Gründungsdirektor des neuen Institute for Artificial Intelligence in Brain Health in Tübingen. FOTO: STÖHR

TÜBINGEN. Krankheiten erkennen, bevor sie entstehen: Das ist das Ziel am neuen »Hertie Institute für Artificial Intelligence in Brain Health« in Tübingen, das Künstliche Intelligenz (KI) und Neurowissenschaften verbindet. Hier sollen in den vergangenen Jahren im Bereich Data Science an der Uni Tübingen entwickelte Verfahren und Algorithmen dazu dienen, medizinische Daten besser zu verarbeiten, Auffälligkeiten früher zu erkennen, Krankheitsverläufe besser vorhersagen und sie dann gezielter behandeln zu können, erläutert Gründungsdirektor Professor Philipp Berens. Zehn Millionen Euro hat die Hertie-Stiftung für die nächsten fünf Jahre in das Projekt investiert.

An dem bundesweit ersten Institut, das die Prävention und Diagnose von Erkrankungen des Nervensystems mithilfe der künstlichen Intelligenz erforscht, setzt man auf die »Genauigkeit, Robustheit und Nachvollziehbarkeit« von klinisch eingesetzten KI-Methoden. Komplexe Datensätze aus dem Klinikalltag sollen dafür sorgen, sagt Berens, Sprecher des Exzellenzclusters »Maschinelles Lernen: Neue Perspektiven für die Wissenschaft«.

Den Datenmengen Herr werden

Das Sehen besser zu verstehen, ist das Forschungsfeld von Berens. Im Bereich der Augenheilkunde untersucht er unter anderem die altersbedingte Makuladegeneration, eine häufige Erkrankung der Netzhaut des Auges. Das fortgeschrittene Alter ist der größte Risikofaktor neben Rauchen, Bluthochdruck und einer genetischer Belastung. Menschen über 60 sollten daher regelmäßig zum Screening gehen, raten Augenärzte.

Wenn man nichts unternimmt, kann die Makuladegeneration zu starken Sehbehinderungen oder zur Erblindung führen. Heilbar ist die Augenkrankheit nicht, die eine erhebliche Einschränkung der Lebensqualität mit sich bringt. Berens erzählt von Patienten, die bewusst ein letztes Mal Klavier gespielt oder gemalt haben, bevor ihr eingeschränktes Sehen das nicht mehr zuließ. Die Erkrankung lässt sich jedoch verlangsamen, wenn sie rechtzeitig erkannt und behandelt wird.

Über sogenannte OCT-Geräte, mit denen der Augenhintergrund aufgenommen wird, werden Auffälligkeiten auf der Netzhaut mit einer deutlich höheren Präzision als bisher erfasst.

Um die Krankheit aufzuhalten, muss sie immer wieder behandelt werden. »Und je früher man damit beginnt, desto länger lässt es sich hinauszögern«, erklärt Berens. Mit neuen KI-gestützten Methoden lassen sich auf den vergrößerten Ausschnitten Anzeichen einer Makuladegeneration automatisch erkennen.

Am Institut werden bisher öffentlich verfügbare Datensätze zur Entwicklung von Algorithmen verwendet, aus denen sich dann individuelle Modelle für den wahrscheinlichen Verlauf der Krankheit erstellen lassen. Berens könnte sich aber auch vorstellen, eine eigene Kohorte, das heißt Gruppe von Patienten, zusammenzustellen, um mit seiner Grundlagenforschung zur Funktion der Netzhaut fortzufahren.

Mit der Entwicklung einer schnellen und genauen Methode zur Diagnose »ist unser Auftrag« erfüllt, sagt der Wissenschaftler. »Wir veröffentlichen unsere Erkenntnisse und den Programm-Code.« Diesen über ein Produkt in die allgemeine Praxis zu überführen, sei dann Aufgabe eines Start-ups oder einer Firma. »Dabei unterstützen wir zum Beispiel Doktorandinnen oder Doktoranden, die etwas ausgründen wollen, gerne.«

Das Institut sei »ein bedeutender Meilenstein auf dem Weg hin zu einer Medizin 4.0«, betont Professor Bernd Pichler, Dekan der Medizinischen Fakultät Tübingen, zum Start der Einrichtung. »Mit der Digitalisierung der medizinischen Forschung und Krankenversorgung werden wir zukünftig richtungsweisende Fortschritte erzielen.« Vor allem dabei, »den gigantischen Datenmengen Herr zu werden, die beim Einsatz modernster medizinischer Diagnoseverfahren entstehen«, sei die KI hilfreich. (GEA)