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Tübinger Post-Covid-Patienten über ihre Symptome

Post-Covid-Patienten haben oft eine lange Leidensgeschichte und viele Therapieversuche hinter sich. Betroffene aus Tübingen und der Region berichten von ihrer Krankheit und weshalb sie auf ein regionales medizinisches Netzwerk hoffen.

Auch kleine Anstrengungen sind eine Herausforderung: Post-Covid-Patienten berichten von extremer  Kurzatmigkeit und großer Ersch
Auch kleine Anstrengungen sind eine Herausforderung: Post-Covid-Patienten berichten von extremer Kurzatmigkeit und großer Erschöpfung. Foto: B. BOISSONNET / BSIP
Auch kleine Anstrengungen sind eine Herausforderung: Post-Covid-Patienten berichten von extremer Kurzatmigkeit und großer Erschöpfung.
Foto: B. BOISSONNET / BSIP

TÜBINGEN. Treppensteigen geht gar nicht. Auch der Besuch in der Stadt ist für viele Post-Covid-Patienten mit großen Anstrengungen verbunden. Stimmengewirr, jede Menge Eindrücke auf einmal – das können sie kaum verarbeiten. Viele leiden unter »Brainfog«: »Man steht morgens auf und hat das Gefühl, vier Bier getrunken zu haben«, beschreibt es ein Betroffener. Medizinische Hilfe ist schwer zu bekommen. »Es gibt zurzeit keine Behandlung, die die Ursachen von Long Covid selbst bekämpft«, schreibt die Bundesregierung auf ihrer Homepage. Was das heißt, erleben Betroffene täglich an ihrem eigenen Körper. Im Raum Tübingen/Reutlingen hoffen sie nun auf ein regionales Netzwerk von Ärzten und Therapeuten, die sich auf Post-Covid-Patienten spezialisiert haben oder sich dafür interessieren.

Von dem Netzwerk verspricht sich Helga Lipinski-Class eine große Erleichterung für die Betroffenen, die oft eine lange Leidensgeschichte verbunden mit vielen Therapieversuchen hinter sich haben. Lipinski-Class ist die Ansprechpartnerin einer Selbsthilfegruppe, die sich vor über zwei Jahren im Tübinger Sozialforum gegründet hat. Gestartet wurde die Gruppe mit zwei Mitgliedern, mittlerweile sind es 46. Nicht alle nehmen regelmäßig an den Treffen teil. Für viele bedeutet selbst der Besuch im Sozialforum eine zu große Anstrengung. Einige der Betroffenen kommen für den GEA zusammen, um zu berichten, wie es ihnen mit ihrer Krankheit geht. Ihre Namen wollen sie nicht nennen. Sie fürchten, stigmatisiert zu werden. Mit ihrem Leiden fühlen sie sich alleine gelassen. Vergessen. »Wir passen nicht in die Leistungsgesellschaft«, beschreibt es eine 64-Jährige.

»Wir passen nicht in die Leistungsgesellschaft - Post-Covid-Patientin«

Es ist ein Leben mit angezogener Handbremse. Jede Anstrengung muss gut überlegt werden, ob sie zu schaffen ist. In extremen Wellen erlebt ein 53-Jähriger seine Krankheit. »An einigen Tagen läuft es richtig gut. Am nächsten Morgen kann ich nicht mehr aufstehen.« Seine Symptome sind vielfältig: Kopfschmerz, Muskelschmerzen, Konzentrationsprobleme und oft eine ungeheure Müdigkeit, die sogenannte Fatigue. Die Wellen kennen auch die anderen gut. »Es ist wie ein Tsunami. Manchmal saufen wir ab«, ergänzt eine Andere. Sie haben daraus gelernt. Post-Covid-Patienten müssen ihre Energie-Reserven gut einteilen und Überbelastung vermeiden. »Pacing« nennt sich das. Ein Begriff, der häufig im Gespräch fällt. Immer wieder werde ihnen empfohlen, Sport zu treiben oder sich möglichst viel zu bewegen. Aber das verschlimmert den Allgemeinzustand nur. Und so wissen die Langzeitkranken genau, wo ihre täglichen Grenzen liegen.

Das hat allerdings gravierende Folgen im Alltag. Berufstätigkeit ist kaum möglich, das soziale Leben der Betroffenen leidet. Zu den körperlichen Leiden kommen die seelischen dazu. »Man schämt sich«, beschreibt es eine 31-jährige Krankenschwester. Vor ihrer Corona-Infektion hat sie Vollzeit im Krankenhaus gearbeitet. Angesteckt hat sie sich bei der Arbeit. Jetzt weiß sie nicht mehr, wie es weitergeht. »Wie soll ich als Krankenschwester arbeiten. Es gibt Tage, an denen ich nicht laufen kann.«

»Es ist wie ein Tsunami. Manchmal saufen wir ab - eine Post-Covid-Patientin«

Das Fatale daran: Die Blutwerte der Patienten sind unauffällig, organische Schäden bei ihnen nicht feststellbar. Entsprechend oft werden Betroffene in die Ecke der Simulanten gesteckt. Oder aber das Leiden wird auf die Psyche geschoben. »Man muss sich selber darum kümmern, gesund zu werden«, sagt es eine Patientin. In der Gruppe tauschen sie sich über Therapiemöglichkeiten aus, geben sich gegenseitig Tipps, reden mit ihren Hausärzten darüber. Zu Hause recherchieren sie über ihre Krankheit im Internet. Manches davon sei für sie Gold wert gewesen, sagt eine Patientin. Ein Video zum Beispiel, indem von einem Mediziner Pacing beschrieben wird, habe ihr sehr geholfen. Alle zusammen würden es sehr begrüßen, wenn sich ein regionales Netzwerk bilden könnte. Sie versprechen sich viel davon. Nämlich eine kompetente Hilfe und Unterstützung, damit sie möglichst schnell wieder am Alltagsleben teilnehmen können.

Derzeit wird am Tübinger Institut für Allgemeinmedizin und Interprofessionelle Versorgung am Aufbau eines regionalen Netzwerks zur Versorgung für Post-Covid-Patienten geforscht und gearbeitet, unterstützt vom Sozialministerium. Dabei werden auch Betroffene mit einbezogen, berichtet Institutsmitarbeiterin Stefanie Völler. Zwei Netzwerke haben sich in Baden-Württemberg schon gebildet: in Ludwigsburg und im Rhein-Neckar-Gebiet. In Karlsruhe befindet sich gerade ebenfalls eines in Aufbau. Steht das Netzwerk einmal, dann können Hausärzte auf eine ganze Liste an Fachärzten, Physio- und Ergotherapeuten zurückgreifen, um ihren Patienten zu helfen. Mit Glück könnte das im Raum Tübingen/Reutlingen im Sommer 2024 der Fall sein, sagt Völler. Aber auch wenn das Netzwerk steht, ist und bleibt der erste Ansprechpartner für Long-Covid-Patienten ihr Hausarzt, betont Völler. (GEA)