TÜBINGEN/MÖSSINGEN. Manchmal hilft ein Blick von außen: Die Neue Züricher Zeitung befindet, dass in der Regierung des Nachbarlandes »nach wie vor Traumtänzer den Ton angeben. Dort wird Migration als rein logistisches Problem betrachtet und gilt der humanitäre Impuls weit überwiegend den Zuwanderern, nicht den Einheimischen«. Dabei »ächzen die Kommunen unter dem nicht abreißenden Zustrom von meist jungen Männern ohne Ausbildung, die wegen des deutschen Rechtssystems in den ersten drei Monaten nicht arbeiten dürfen und auf Kosten der Steuerzahler leben, was in der Bevölkerung zu Unverständnis und Ablehnung führt«, so die NZZ.
Tübinger Landrat fordert »Pflicht zur Arbeit«
Landkreistagspräsident Joachim Walter (CDU) hatte bereits im Sommer für Flüchtlinge eine Pflicht zum Arbeiten gefordert, »hilfsweise auch gemeinnützig«. Dafür brauche es »praktikable, bürokratiearme Umsetzungsformate«, so der Tübinger Landrat. Er und seine Kollegen fordern außerdem eine Absenkung der Standards bei Aufnahme, Unterbringung und Betreuung. »Die Kommunen sind an der Leistungsgrenze. Ich fürchte, dass uns dies am Ende gesamtgesellschaftlich auf die Füße fallen wird«, so Walter.
Vierzig Flüchtlinge im Monat, Tendenz steigend
Seit Januar dieses Jahres sind im Landkreis Tübingen über 360 Asylbewerber angekommen, denen Wohnraum beschafft werden muss. Die Flüchtlinge kommen aus Syrien, Afghanistan, Nordmazedonien, der Türkei und den Maghreb-Staaten. Im Schnitt also vierzig im Monat, Tendenz steigend (Februar: 15, September: 68); zumal im Vorjahr 2022 insgesamt 420 Geflüchtete im Kreisgebiet registriert wurden.
Zusätzlich über 1.800 Ukrainer
Seit Beginn dieses Jahres sind siebzig Asylbewerber auf die Kreisgemeinden verteilt worden. Die Menschen kommen aus den Erstaufnahmeeinrichtungen aufgrund einer Zuteilungsquote nach Tübingen, wo der Kreis für die »vorläufige Unterbringung« zuständig ist. Wenn keine Wohnung gefunden wird, werden sie den Gemeinden ebenfalls nach einem festgelegten Schlüssel zur »Anschlussunterbringung« zugeteilt.
»Kapazitäten sind erschöpft - Landratsamt Tübingen«
Nicht in diesem Zahlen enthalten sind die Flüchtlinge aus der Ukraine. Nach Angaben des Landratsamt sind seit Kriegsbeginn im Februar 2022 1.811 Menschen auf die Kreisgemeinden verteilt worden. In diesem Jahr bislang 460, in diesem Monat zuletzt 79. Die »Direktzugänge« in private Unterkünfte sind nicht erfasst.
»Manche Kommunen im Kreis Tübingen haben bei beiden Flüchtlings-Gruppen die Quote erfüllt, manche nicht«, teilt Pressesprecherin Martina Guizetti mit. »Jede Kommune tut aber ihr Bestes.« Es sei aber rechtlich klar, »dass eine Ablehnung von Zuweisungen nicht möglich ist, da in den Landeserstaufnahmestellen die Kapazitäten erschöpft sind.«
»Die Kommunen tun ihr Bestes - Landratsamt Tübingen«
Über die Aufnahmekapazitäten der Städte und Gemeinden liegen dem Landkreis keine Informationen im Detail vor. »Es ist uns aber bekannt, dass die Lage – wie auch beim Landkreis selbst – sehr angespannt ist. Wohnraum steht nur sehr begrenzt zur Verfügung«, so die Behördensprecherin.
In Mössingen, wo am 9. Oktober in der Gemeinderatsitzung der Bau einer umstrittenen Flüchtlingsunterkunft in Belsen beraten werden soll, sehen die Zahlen wie folgt aus: Momentan hat die Stadt 193 Personen in der Anschlussunterbringung. Die monatlichen Zugänge sind steigend, 118 waren es noch im Dezember 2022. Von den somit 75 in diesem Jahr aufgenommenen Personen stammen laut Pressesprecherin Nicole Siller acht aus Somalia, vier aus dem Irak, einer aus Nigeria und 62 aus der Ukraine (13 Familien und neun Einzelpersonen).
Über 200 Flüchtlinge in Mössingen
»Um die Quote zu erfüllen, müssen wir in diesem Jahr noch weitere 24 Personen unterbringen«, so Siller. »Vereinzelt stehen der Stadt noch städtische und angemietete Wohnungen zur Verfügung. Wir sind aber dringend auf Privatwohnraum angewiesen, sonst schaffen wir das nicht«. Gleichzeit stehe die Verwaltung vor dem Dilemma, Unterbringungsmöglichkeiten für in Not geratene einheimische Personen bereit zu stellen. Hinzu kommen laufende Kosten, die den Haushalt belasten. Im letzten Jahr musste die Stadt über 160.000 Euro für Wohnraum (Ausstattung, Reparaturen) aufbringen.
Auch im Landratsamt heißt es: »Ob die zunehmend spärlicher werdenden Vermietungsangebote angenommen werden können, muss oft spontan geklärt werden, beispielsweise hinsichtlich der Beurteilung des Sanierungsbedarfs.«
"Kurzfristig drohen Notunterkünfte in Hallen" - Landratsamt Tübingen"
Der Landkreis kontaktiert insbesondere die Gemeinden, die ihrer Aufnahmeverpflichtung noch nicht vollumfänglich nachgekommen sind. "Bewährt hat sich das "Kombi-Modell": Anmietung einer Unterkunft durch die Gemeinde, Untervermietung an den Landkreis für die Zeit der vorläufigen Unterbringung, anschließend Weiternutzung durch die Gemeinde für die Anschlussunterbringung.
»Wenn wir keine Wohnungen und Container mehr zur Verfügung stellen können, müssen wohl kurzfristig wieder Notunterkünfte in Turnhallen eingerichtet werden.« (GEA)