ROTTENBURG/AHRWEILER. Der Notfallseelsorger Boris Rademacher blickt nach einem dreitägigen Einsatz im Kreis Ahrweiler zurück auf seine Erlebnisse. Er war einer von 50 Fachkräften für Psychosoziale Notfallversorgung (PSNV) der Notfallseelsorge Baden-Württemberg und anderer Hilfsorganisationen, die von Bruchsal aus in Richtung Rheinland-Pfalz aufbrachen, um den Opfern der Flutkatastrophe beizustehen.
Nach 72 Stunden im Katastrophengebiet sagt Rademacher: "Bereits die Anfahrt war ein Abenteuer, denn die Straße im Tal ist zerstört und so mussten wir über einen Feldweg, der sehr vielen Löcher hatte, fahren. Dieser ging plötzlich in eine asphaltierte Straße über, die steil und kurvenreich ins Tal führte. Wie der Bürgermeister von Mayschoss berichtete, wurde diese Straße am ersten Tag nach der Flutkatastrophe quasi über Nacht für die Hilfskräfte gebaut. Erst damit war ein Zugang zu Mayschoss vorhanden. Vorher musste alles mit Hubschraubern und schwerem Gerät entlang der Ahr gebracht werden.
Bei einer ersten Erkundung wurde uns schnell klar, dass der Ort übel von der Hochwasserkatastrophe getroffen wurde, und die Schäden immens sind. Aber die Kirche vor Ort war zu einer Art Sammelstelle oder eher einem Warenhaus für die Bewohner geworden. Dort fand sich alles, von Hygieneartikeln über Kleidung bis hin zu Nahrungsmitteln und in der Sakristei befanden sich eine Apotheke und eine Arztpraxis. Wie uns die Apothekerin erzählte, war ihre Apotheke zuvor in der Nähe des Flusses und wurde durch die Wassermassen vollständig zerstört. Vor der Kirche befand sich eine Essensausgabe für jeden. Freiwillige kochten dort unter primitivsten Bedingungen ̶̶ in Mayschoss gab es weder Strom noch Wasser ̶ für die Bewohner und für die Hilfskräfte.
Apotheke in der Kirche
In Mayschoss werden zurzeit viele Häuser von Schlamm und Dreck befreit und einige Häuser werden auch abgebrochen, da sie akut einsturzgefährdet sind. Viele der Bewohner sagten uns, dass Sie den Ort verlassen wollen, nachdem die Häuser abgerissen sind. Darüber hinaus hätten nur 40 Prozent der Hauseigentümer eine Gebäudeschutzversicherung, die Hochwasser abdeckt, wie uns der Bürgermeister sagte. Für viele ist es nicht finanzierbar, das Haus zu sanieren oder gar ein neues Haus zu bauen", berichtet Rademacher.
Leichen liegen immer noch im Schlamm
Und der Rottenburger fährt fort: »Der Schlamm birgt allerdings auch noch Opfer, wie ein Baggerfahrer in der Nähe des Hotels Löchmühle erfahren musste. Er wollte das Haus nur von Schlamm befreien, als er plötzlich eine Leiche in seiner Baggerschaufel hatte. Wir wurden sofort zu dem Einsatzort gerufen, um den Baggerfahrer, den Lastwagenfahrer und eine Gruppe jugendlicher Helfer zu betreuen. Der Baggerfahrer meinte zu mir: ‚Ich wusste ja, dass ich jederzeit eine Leiche finden kann, aber ich hatte gehofft, dass ich davon verschont bleibe.‘ Es ist schwer, mit dem Anblick und dem Geruch einer gut zehn Tagen alten, in Schlamm begrabenen Leiche umzugehen. Und so betreuten wir drei Notfallseelsorger in den zurückliegenden drei Tagen insgesamt zwölf Personen, die damit konfrontiert wurden. Und noch jetzt sucht die Polizei mit Spürhunden nach weiteren Opfern, denn in jedem noch nicht erkundeten Haus, in jedem Fahrzeugwrack kann noch ein Opfer liegen.« (eg)