TÜBINGEN. Kleine Schnitte statt »großer« Operationen? Galle- und Blinddarm-Patienten sind schon damit vertraut. Minimal-invasive Techniken werden in der Chirurgie immer häufiger angewendet. André Mihaljevic ist ausgewiesener Spezialist und will diese Methoden in Tübingen auch in anderen Fällen als Standard etablieren.
Weniger Schmerzen, kürzerer Aufenthalt in der Klinik. Weniger Infektionen und andere Komplikationen. Patienten erholen sich schneller und finden leichter zurück in den Alltag: Das sind aus Sicht des neuen Ärztlichen Direktors deutliche Vorteile der schonenden Operationstechnik. Der 46-Jährige sieht das als logischen nächsten Schritt in seiner Disziplin und setzt dabei auch Robo-Technik ein.
Neulich hat Mihaljevic auf dem Gang ein Gespräch zweier Patienten aufgeschnappt. Einer der beiden erzählte, er sei vom Roboter operiert worden. Der Professor musste schmunzeln, mischte sich aber nicht ein. Genau genommen läuft es ein wenig anders: Die Operateure nutzen Roboter-Systeme und 3-D-Aufnahmen der Kameras und steuern die Instrumente an der Konsole.
Bessere Datengrundlage
Diese Methode wird immer häufiger zur Anwendung kommen, glaubt der Fachmann für Bauchspeicheldrüse, Speiseröhre und Magen. 40 bis 50 Speiseröhren-OPs werden bisher in Tübingen pro Jahr vorgenommen. Er geht davon aus, dass viele Kliniken keine Speiseröhren-OPs mehr machen werden, wenn sich rumspricht, dass sie in Tübingen minimal-invasiv ausgeführt werden.
Die Zahl der Eingriffe, die das 23-köpfige Ärzte-Team bisher pro Jahr bewältigt, ist hoch: Mehrere Hundert an Pankreas und Leber, gut 300 bei Dickdarm- und Mastdarm-Krebs. Dazu kommen viele Notfälle mit Galle, Blinddarm oder Darmverschluss. Nicht selten wird auch in der Nacht operiert, weil Patienten nach Komplikationen aus kleineren Krankenhäusern nach Tübingen verlegt werden und nicht viel Zeit bleibt. Das Team soll bis auf 30 Ärzte wachsen. Gegenwärtig nutzt man vier OP-Säle, »aber das reicht nicht«. Immerhin besteht die Aussicht, dass in einigen Jahren weitere zur Verfügung stehen.
»Leber-Chirurgie und -Transplantation in Tübingen sind exzellent«, sagt der neue Ärztliche Direktor, der zuvor in Heidelberg und München war und drei Jahre in Ulm. Die Tübinger sind die Einzigen in Baden-Württemberg, die auch Transplantationen bei Kindern vornehmen und Lebendspenden möglich machen.
Der Einsatz der technischen Systeme sorgt auch dafür, dass Daten erhoben werden, die man bei herkömmlichen OPs nicht gewinnen konnte. Mihaljevic geht davon aus, dass auch dies den Patienten zugutekommt. Fortschritte in Sachen künstliche Intelligenz führen dazu, dass der Operateur mehr Fakten kennt und bessere Entscheidungen treffen kann. Und auch beim Training des Nachwuchses kann KI hilfreich sein.
Jogging-Lauf zur Arbeit
Zusammen mit den Kollegen in der Urologie und der Frauenheilkunde will Mihaljevic ein Robotic-Zentrum gründen. Im Medizin-Studium sollen neue Lernmethoden greifen. Dass ihm das liegt, hat er schon bewiesen, denn 2019 bekam er den Ars-Legendi-Preis für medizinische Lehre. Als besonderer Schwerpunkt soll die übergreifende Ausbildung zusammen mit der Pflege und anderen Gesundheitsberufen gestärkt werden – Heidelberg war in diesem Punkt etwas früher dran.
Wer sich um die Gesundheit anderer verdient macht, kümmert sich besser auch darum, selber fit zu bleiben. Der 46-Jährige, der schon Marathon-Läufe in Berlin, London, New York, Boston und Chicago absolviert hat, verwandelt den täglichen Weg zur Arbeit in eine Laufstrecke. Der bekennende Frühaufsteher (»um 4.30 klingelt der Wecker«) joggt den Österberg hinab und den Schnarrenberg zur Klinik hinauf – und nimmt dabei keineswegs den kürzesten Weg. (GEA)