OFTERDINGEN/TÜBINGEN. Der 55-jährige Ofterdinger, der im Februar 2023 einen Polizeibeamten mit einem Messer attackierte, muss wahrscheinlich in ein psychiatrisches Krankenhaus. Dies forderten am Dienstag jedenfalls die Erste Staatsanwältin Bettina Winckler und Verteidiger Markus Weiß-Latzko übereinstimmend in ihren Plädoyers. Sie stützten sich dabei auf das psychiatrische Gutachten. Professor Hermann Ebel hatte bei dem Angeklagten eine schizoide Psychose diagnostiziert. Nach Auffassung Ebels stellt der 55-Jährige derzeit weiterhin eine Gefahr für die Allgemeinheit dar.
Bis 2010 war der Ofterdinger unauffällig gewesen. Als dann seine Eltern starben, stritt er sich mit seinen Geschwistern um das Erbe. Womöglich war dies der Anlass, dass der Angeklagte im Jahr 2010 plötzlich von der Bildfläche verschwand. Erst sieben Jahre später tauchte er wieder in Ofterdingen auf. Recht schnell war der 55-Jährige dann völlig von der Rolle.
Heftiger Streit vor dem Haus der Geschwister
Er beschimpfte seinen ehemals besten Freund, beleidigte und bedrohte sehr übel seine Geschwister wie auch Polizeibeamte. Ein Kriminaloberkommissar listete gestern 17 Vorfälle auf, die sich seit 2017 in Ofterdingen und Mössingen ereignet hatten und die von der Polizei auch registriert worden waren. Dabei ging es immer um wüste Beleidigungen und Drohungen, die der 55-Jährige von sich gegeben hatte, wie »ich stech‘ dich ab« oder »in brenne dein Haus ab«.
Am 17. Februar 2023 kam es abends wieder zu einem heftigen Streit vor dem Haus der Geschwister. Wie zuvor schon beleidigte und bedrohte er erneut seine Schwestern und seinen Schwager. Die riefen die Polizei, die kurz darauf vor Ort erschien. Einer der Streifenbeamten wollte die Situation beruhigen, trennte die beiden Parteien und verlangte die Papiere des 55-Jährigen. Der lief allerdings weg.
Erheblich gereizt, getrieben und aggressiv
Als der Beamte den Ofterdinger an der Schulter festhalten wollte, drehte der 55-Jährige sich um, zog ein kleines Klappmesser aus der Jackentasche und stach auf den Polizisten ein. Der Streifenbeamte erlitt eine kleine Stichwunde am Hals. Eine Kollegin kam dem Beamten zu Hilfe. Zusammen konnten sie den 55-Jährigen überwältigen. Die Polizistin zog ihm das Messer aus der Hand. Eine spätere Blutprobe ergab, dass der Ofterdinger zur Tatzeit über zwei Promille Blut im Alkohol hatte.
Über seine Gefühle und Gedanken wollte der Angeklagte im Prozess vor der Schwurgerichtskammer des Tübinger Landgerichts nicht so recht reden. Nach den Aussagen der Zeugen wie auch nach seinen Untersuchungen, in denen der Angeklagte ebenfalls auffällig war, steht für den psychiatrischen Gutachter aber fest: der 55-Jährige befand sich in den vergangenen Jahren in einem psychotischen Ausnahmezustand. Der Angeklagte sei erheblich gereizt, getrieben und aggressiv gegenüber den Geschwistern aufgetreten. Es habe sich deutlich eine psychotische Störung entwickelt, die chronisch geworden sei.
Gutachter: Angeklagter stellt eine Gefahr für die Allgemeinheit dar
Da der Angeklagte auch fremdgefährdend sei und keine Krankheitseinsicht zeige, stelle er derzeit, psychiatrisch unbehandelt, eine Gefahr für die Allgemeinheit dar. »Man muss sich fast wundern, dass das so lange gut gegangen ist«, meinte Ebel gestern. Der Angeklagte, der wegen seiner Krankheit bei der Tat möglicherweise steuerungsunfähig gewesen war, erfülle alle Voraussetzungen für eine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus, die Ebel am Schluss seines Gutachtens auch empfahl.
Diese Begutachtung griff auch Staatsanwältin Winckler in ihrem Plädoyer auf. Sie sieht in dem Messerstich auf den Polizeibeamten einen versuchten Totschlag. Dieser Angriff sei eine »enorme Steigerung« gegenüber den vorherigen Taten gewesen. Es seien weitere erhebliche Straftaten zu befürchten. Winckler: »Man muss die Allgemeinheit vor ihm schützen.« Das Gericht müsse die Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus anordnen.
Gericht verkündet ein Urteil am Mittwoch
Auch Verteidiger Weiß-Latzko schloss sich dieser Forderung an. Allerdings sah er in der Tat »nur« eine gefährliche Körperverletzung. Nachdem der Polizeibeamte den 55-Jährigen mit Pfefferspray besprüht habe, könne man nicht ausschließen, dass der Angeklagte nicht mehr viel gesehen und nur als Drohung mit dem Messer herumgefuchtelt habe. Es sei kein zielgerichteter Stich gewesen.
Ein Urteil will die Schwurgerichtskammer am Mittwoch verkünden. (GEA)