TÜBINGEN. Der 23-jährige Gambier, der am 23. März 2023 im Alten Botanischen Garten (kurz: Bota) nach einem Streit niedergestochen wurde, hatte, obwohl die Rettungskräfte schnell vor Ort gewesen waren, keine Chance gehabt zu überleben. Wie der Tübinger Rechtsmediziner Frank Wehner am Donnerstag in seinem Gutachten vor Gericht erklärte, hat der Angreifer, ein 27-jähriger Mann aus Tübingen, damals »mit ganz gewaltiger Macht« zugestochen.
Der Stich durchtrennte Seitenäste der Hauptschlagader. Das Opfer sei innerhalb weniger Minuten verblutet, so Wehner gestern vor der Schwurgerichtskammer des Tübinger Landgerichts. Die Rettungskräfte hatten den 23-Jährige zwar noch reanimiert, der Gambier starb allerdings noch am selben Tag in der Klinik an seiner schweren Verletzung im Brustbereich unterhalb des linken Schlüsselbeins.
Tatwaffe landete in der Ammer
Der Angriff kam offenbar so plötzlich für das Opfer, dass es den Stich nicht mehr abwehren konnte. Wehner fand bei dem 23-Jährigen keine Abwehrverletzungen. Die Tatwaffe war ein Küchenmesser mit einer Klingenlänge von 13 Zentimetern. Der Stich drang so tief und wuchtig ein, dass noch eine Rippe durchtrennt und ein Brustwirbel verletzt wurden.
Das Messer warf der 27-jährige Angeklagte auf der Flucht unmittelbar nach der Tat weg. Ein Feuerwehrmann fand es später in der Ammer, die durch den »Bota« fließt.
Opfer mehrfach wegen Drogenbesitzes vorbestraft
In der Vergangenheit hat es in Presseberichten mehrmals geheißen, dass das Opfer in den Drogenhandel in Tübingen verstrickt gewesen sei. Auch Oberbürgermeister Boris Palmer hatte damals von einem Dealer, der erstochen worden sei, gesprochen. Dies lässt sich bisher allerdings nicht belegen, wie auch Nebenklagevertreter Holger Rothbauer am Donnerstag betonte.
Der 23-jährige Gambier wurde zwar mehrmals von der Polizei mit Cannabis erwischt und vom Tübinger Amtsgericht deshalb auch zu Geldstrafen verurteilt. Dabei handelte es sich aber immer um sehr geringe Mengen, die nur als Eigenkonsum betrachtet werden können. Von Drogenhandel war bei den Prozessen nie die Rede gewesen, nur von Drogenbesitz.
Tritte und Schläge gegen Polizeibeamte
Allerdings war der 23-Jährige zweimal wegen Gewaltdelikten aufgefallen. Im Jahr 2020 war er ohne Ticket mit dem Bus gefahren. Kontrolleure hatten ihn erwischt. Einer Überprüfung seiner Personalien wollte sich der Gambier nicht unterziehen. Er wehrte sich mit Schlägen, Tritten und heftigen Beleidigungen gegen die herbeigerufenen Polizisten.
Im zweiten Fall war er im Februar 2023 mit einem Somalier in Streit geraten. Dabei schlug der 23-Jährige mit einer Bierflasche so heftig auf den Kopf seines Kontrahenten ein, dass die Flasche zersplitterte. Mit dem scharfen Rest griff er den Somalier noch einmal an und verletzte ihn am Hals in der Nähe der Hauptschlagader. Das Opfer musste notfallmäßig in der Klinik versorgt werden. Seine Schnittwunden wurden genäht.
Wegen dieses Vorfalls wurde der Gambier wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Bewährungsstrafe von einem Jahr und zehn Monaten verurteilt. Bei dem Streit war es um die schwangere Freundin des 23-Jährigen gegangen.
Angeklagter hatte heftigen Streit mit seiner Mutter
Aber nicht nur der Gambier, auch der 27-jährige Angeklagte ist wegen eines Gewaltdeliktes polizeibekannt. Im August 2019 war der Tübinger heftig mit seiner Mutter aneinandergeraten. So heftig, dass die Polizei kommen musste. Der alkoholisierte 27-Jährige ging auch auf die Beamten los, schlug einen zweimal mit der Faust ins Gesicht und spuckte einen anderen an. Außerdem stand er einmal wegen Besitzes und Erwerbs von Waffen und Munition vor Gericht.
In Tübingen hatte der Gambier zwei Identitäten benutzt. Nachdem seine Freundin in Tübingen das gemeinsame Kind zur Welt gebracht hatte, hatte der 23-Jährige aber versucht, mit seiner richtigen Identität eine Aufenthaltserlaubnis für Deutschland zu bekommen. Vorher hatte er nur eine Duldung besessen.
Der Prozess wird am kommenden Mittwoch fortgesetzt. Die Schwurgerichtskammer will dann auch am Nachmittag bereits ein Urteil verkünden. (GEA)