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Lauter Puzzlestücke zusammengesetzt

TÜBINGEN. Vor wenigen Tagen hat er mit der Nachricht überrascht, dass die Höhlenbären vermutlich ausgestorben sind, weil sie sich strikt vegan ernährt haben. Jetzt sitzt Hervé Bocherens in der Runde im Institut in der Sigwartstraße und erzählt Journalisten, dass Wisente ursprünglich keine Waldbewohner sind, und wie das Pferd vom Auftauchen des »Störfaktors Mensch« profitierte: Der Mensch jagte Mammuts, die schönen Weiden waren frei für andere Vierbeiner, die zuvor gar nicht so viel grasten, sondern reichlich Blätter fraßen.

Der Biogeologe an der Uni Tübingen hat ein weit gefasstes Forschungsspek-trum und ist in mehreren internationalen Arbeitsgruppen aktiv. Das mit den Bären war nur ein Ergebnis der gemeinsamen Studien und besagt: Die großen Vettern der Braunbären waren offenbar nicht nur Vegetarier, sie verschmähten sogar Würmer, Insekten oder Eier. Sehr unflexibel und ein großer Nachteil, als der Mensch auf der Bildfläche erschien und es ungemütlich kalt wurde.

»Es ist wie ein Puzzle, bei dem viele Stücke fehlen. Und wir wissen nicht, wie das ursprüngliche Bild genau aussah.« So charakterisiert der Franzose, der auch in den USA und in Kanada lebte, das Vorgehen der Wissenschaftler. Letzte Sicherheit gibt es nicht. Aber wer die Bausteine passend zusammensetzt, kommt zu neuen Erkenntnissen.

Eines seiner Forschungsobjekte ist die Mammut-Steppe. Ein unglaublich artenreiches Öko-System, das von Spanien bis nach Alaska reichte. Mit Bär, Löwe, Wolf, Hyäne und Säbelzahntiger – und einer großen Schar von Pflanzenfressern. Die Mammuts hatten eine prägende Rolle. Und erst als der Mensch vor 20 000 Jahren auch in die Rückzugsgebiete der Tiere in Sibirien vordrang, begann sich das Aussterben abzuzeichnen. Zuvor hatten sich die Mammuts in besseren Phasen auf den Weiden im Westen immer wieder neu ausgebreitet.

Der 53-Jährige und seine Kollegen setzen Puzzlestück um Puzzlestück zusammen. Und sie nutzen dabei modernste Methoden. Knochen und Zähne werden neu datiert, die Bestandteile analysiert – sodass sogar exakte Aussagen über den Speiseplan vor vielen Tausend Jahren getroffen werden können.

Im Labor des Instituts lagern Proben in kleinen Glasdöschen. Sozusagen das Mammut oder der Säbelzahntiger in Pulverform. Durch geochemische Analysen kommen die Wissenschaftler Schritt für Schritt voran – wobei Bocherens gesteht, dass er doch zu gerne eine Zeitreise unternehmen würde, um einmal über die eiszeitliche Mammut-Steppe zu wandern und die Theorien durch den Augenschein zu ergänzen.

Aber nicht nur für die Vergangenheit haben die Forschungen Bedeutung. In Polen und bei der Umsiedlung von dortigen Wisenten hat man festgestellt, dass die Tiere nicht wie angenommen im Wald bleiben. Kein Wunder, sagen die Forscher, Wisente waren ursprünglich Bewohner des Graslands und sind nur in die Wälder zurückgedrängt worden. Man müsste ihnen andere Flächen anbieten. (-jk)