HECHINGEN. Die beiden wichtigsten Botschaften haben sie am Samstagmorgen bereits im Foyer der Stadthalle aufgehängt: »Zu viel ist zu viel. Ampel ruiniert Landwirtschaft«, steht auf einem Transparent. Und direkt daneben hängt ein weiteres: »Landwirtschaft ist bunt, nicht braun.« Darunter strömen nicht nur weit mehr Besucher als sonst bei Bauerntagen ins Hechinger Museum, auch Politiker stehen Schlange. Niemand will in diesem Jahr beim Bauerntag der Kreisbauernverbände Tübingen und Zollernalb fehlen.
Dass der Bauerntag in diesem Jahr ganz im Zeichen der Proteste der Landwirte stehen würde, war klar. Und Jörg Kautt, Kreisobmann des Bauernverbands in Tübingen, gibt die Richtung vor: »Seit Jahren werden wir mit immer mehr Auflagen und Bürokratie überzogen, die sinnbefreit und ideologisch ist«, sagt er. Er klagt über »Dokumentationen für alles, mit fünf Durchschlägen, Pflanzenschutz, Düngung und Bodenbearbeitung«.
Kautt will klarmachen: Die Landwirte gehen nicht allein wegen des Diesels auf die Straße, oder der Kürzung ihrer Subventionen. Vielmehr habe der Haushaltsentwurf des Bundes im Dezember eben »den Damm zum Überlaufen gebracht und auch zum Bersten«, sagt Kautt.
Er klagt über mangelnde Planungssicherheit beim Tierschutz, während das Freihandelsabkommen »all diese Standards nicht fordert«, verlangt, »dass in Brüssel und Berlin die Vernunft einkehrt«.
Während aus den Reihen der Landwirte zuletzt stellenweise Forderungen zu vernehmen waren, die Proteste auf französisches Niveau zu heben, fällt in Hechingen auf: Die Verantwortlichen beim Bauernverband bemühen sich vielmehr um Versachlichung. »Wir dürfen die Traktordemos nicht überstrapazieren«, sagt Jürgen Maurer.
Lieber am Handy sparen
Der Vizepräsident des Landesbauernverbands tritt als Hauptredner ans Mikrofon, referiert über »Landwirte in der Mitte der Gesellschaft«. Es sei guter Stil, mahnt er, nach den Traktordemos perspektivisch wieder »zurück an den Tisch zu kehren«. Und Maurer weiß, dass das, was er dann tut, ungewöhnlich ist. Aber zu wichtig ist ihm diese Botschaft, die er ganz deutlich machen will: »Lassen Sie die Finger von der AfD«, gibt er eine Nicht-Wahlempfehlung in den Saal. »Die AfD ist unglaubwürdig, sie ist keine Lösung für unsere Probleme, bitte machen Sie da kein Kreuz.« Vielmehr sei das Gebot der Stunde, sich kritisch mit den »etablierten Parteien« auseinanderzusetzen.
Maurer selbst macht das in Hechingen vor, regt sich ziemlich auf, etwa über den aus seiner Sicht zu strengen Tierschutz: »Wir können Tiere nicht totstreicheln.« Man müsse trennen zwischen Haus- und Nutztieren. Er schimpft auf »Klimakleber«, lobt die Proteste der Landwirte (weil man da Rettungsfahrzeuge durchlasse). Er will nichts wissen von »fairen Preisen, die nichts bringen«. Und nimmt längst nicht nur die Politik in die Pflicht. Bei der Biodiversität etwa, da könne jeder Privatmann etwas tun. Wie? Nicht die Böden versiegeln! Und keinen englischen Rasen, »den niemand braucht«. Und auch mit den Verbrauchern geht Maurer hart ins Gericht. Seine Beispielrechnung: Wer nicht alle zwei, sondern erst alle drei Jahre ein neues Handy kaufe, habe auch mehr Geld für Lebensmittel.
Als »handwerklich mangelhaft« bezeichnet Maurer die Sparpläne der Bundesregierung Ende 2023. So, »als hätte die der Lehrling gemacht«, schimpft Maurer. Der im Übrigen nicht glaubt, »dass Özdemir von nichts wusste«. Und dennoch: Auch wenn viele Landwirte sich wünschten, dass man noch lauter werde, findet Maurer: »Wir sollten nicht demonstrieren wie die Franzosen.« Um dann ganz klarzuziehen: »Wir hier in Deutschland machen keinen Aufstand, wir machen von unserem Grundrecht auf Demonstrationen Gebrauch.«
Und weil auch in Hechingen Kritik an der Darstellung der Einkommen von Landwirten laut wird, stellt sich Maurer in der Stadthalle demonstrativ gleich mehrfach vor »das hohe Gut der Pressefreiheit«. Alexander Schäfer, Kreisobmann beim Bauernverband im Zollernalbkreis, sagt später, nach Maurers Rede: »Diese Demokratie-Aussagen sind mir noch wichtiger als die fachlichen Aussagen.« Schließlich ist Maurer nach Hechingen gekommen, um über Landwirte in der Mitte der Gesellschaft zu sprechen. Und Schäfer selbst legt seit Beginn der Bauernproteste großen Wert auf die Abgrenzung zu »Trittbrettfahrern«, betont auch am Samstag: »Wir setzen uns für demokratische Werte ein. Wir sind überzeugte Europäer.« (ZAK)