MÖSSINGEN. Man wird es nicht ausgerechnet haben, aber es müssen Hunderte von Kilometern gewesen sein, die die Musikanten der Kapelle im Laufe ihres Bestehens marschiert sind und dabei für die am Straßenrand stehenden Zuhörer frohgemut geblasen haben. Klingende Festumzüge in der Region sind in den letzten Jahrzehnten sehr selten geworden. Doch im 125. Jahr seines Bestehens läuft der Musikverein nach wie vor mit Pauken und Trompeten durch die Stadt. In normalen Jahren zum Maibaumstellen, am gestrigen Sonntag aber wie in den guten alten Festzeiten zum großen Geburtstagsjubiläum in einem kurzen, aber prächtigen Umzug.
Zusammen mit dem Gastgeber formierten sich zwanzig Gruppen am neuen Marktplatz, um von dort durch die Innenstadt über die Falltorstraße und Lehr zum Festzelt am Freibad zu ziehen.
Und für diesen musikalischen Lindwurm wurde extra eine Kostbarkeit aus dem Stadtarchiv geholt. Eine historische Kopfbedeckung der Steinlachtaler Tracht – die Schäppel. Claudia Mozer wurde die Ehre zuteil, die Brautkrone vorneweg zu tragen. Früher durften die Dorfmädchen sie erstmals zur Konfirmation aufsetzen. Als Zeichen, dass sie nun ins heiratsfähige Alter kommen. Die letzte Gelegenheit war immer die eigene Hochzeit, danach kam die Frau »unter die Haube« und trug die Haubentracht.
Dieser Aspekt muss beim Mössinger Musikverein buchstäblich betont werden. Denn seit 1971, als Mössingen seine Nachbarorte Talheim und Öschingen eingemeindete und mit der Anlage von Bästenhardt auf dem Weg zur Stadt war, wurden die Musikanten vermehrt für Repräsentationszwecke eingesetzt. Hierfür ließ man nach Vorlagen die historische Steinlach-Tracht nachschneidern.
Dass das Pferdegespann des Brauhauses Fischer am Zuganfang fuhr, versteht sich von selbst: Beim 40sten Bestehen des Musikvereins wurde erstmals Mössinger Bier ausgeschenkt. Eine Partnerschaft, die seit 85 Jahren hält.
Nicht nur Musiker zogen am alten Rathaus vorbei. Zwischen den Kapellen aus Ofterdingen, Rottenburg, Unterjesingen, Kusterdingen, Salmendingen und Mägerkingen liefen Turner und Fußballer der Sportvereinigung. Auch sie feiern Geburtstag, nämlich den 120sten. Die weiteste Anreise hatte der Musikverein Merklingen von der Ostalb, vom Schwarzwaldrand kamen die Musikanten aus Rexingen. Und als letzte Steinlachtalgemeinde war Derendingen mit dabei. Mössingens Kleintierzüchter und der Albverein präsentierten sich fantasievoll. Der altehrwürdige Liederkranz Belsen folgte zwischen der Mössinger Feuerwehr-Oldtimer-Parade.
Umzugserprobt und stets in Agitation mit dem Publikum, das Häs gegen historische Handwerkskleidung eingetauscht, zeigte sich der Original Steinachtaler Fasnetsverein im 30. Jahr seines Bestehens. Zum großen Finale sammelten sich die Hundertschaften von Musikanten und Festgäste im großen Zelt auf dem Schotterplatz am Freibad. Dort ging das Feiern in einen bunten Heimatabend über, bei dem über ein Dutzend Vereine Vorführungen zum Besten gaben. Im Riesenzelt hatte bereits am Freitagabend das grandiose Festwochenende seinen Ausgang genommen und am heutigen Montag wird es ab 16.30 Uhr mit dem »Handwerkervesper« enden.
Bürgermeister Martin Gönner hatte es zusammen mit Braumeister Tobias Fischer beim Fassanstich spritzen, danach die Tiroler Blasmusikformation »Viera Blech« mit 800 Festgästen drei Stunden lang krachen lassen. Schon beim Festakt im Juni war der Musikverein und sein Wirken als lebendiges Band zwischen den Generationen gewürdigt, das Engagement seiner 398 Mitglieder, ihr vielfältiger Einsatz für die Stadtgesellschaft, die Spielfreunde zu Recht gelobt worden. Gönner bezeichnete die Musiker »als Eckpfeiler des Mössinger Vereinslebens.«
Irene Haag zeigte sich als Vorsitzende besonders stolz »über die gelebte Kameradschaft« und betonte, dass es »in unserer materialistisch eingestellten Gesellschaft keine Selbstverständlichkeit mehr ist, dass sich so viele Menschen in ihrer Freizeit zusammenfinden und viel Spaß dabei haben, sich selbst und anderen durch das Musizieren eine Freude zu bereiten«.
Auch Co-Vorsitzender Detlef Kehl sieht seinen Verein »auf dem richtigen Weg«. Von den 118 aktiven Musikern sind 65 Jugendliche. Von Nachwuchsproblemen keine Spur. Beim Jugendnachmittag am Samstag, überdies mit Spieltischen und kleinem Vergnügungspark, konnten vor allem die Eltern bei Kaffee und Kuchen hören, dass die Ausbildung ihrer Kinder auf hohem Niveau stattfindet. Zu Gast war auch die Jugendgruppe des Musikzuges Ofterdingen. Dass sich keine weiteren Gruppen beteiligt haben, trübte ein wenig das Gesamtbild des Festes, so Haag. Umso mehr freute man sich am Abend über ein brodelndes 1.200-Plätze-Zelt beim Auftritt der Alpenrock-Partyband »Rockspitz«.
Nicht genug danken konnte Haag den zahllosen Ehrenamtlichen, die die Vorbereitungen des Mammutfestes schulterten. Tatkräftig halfen in der Bewirtung die Freunde der Narrenzünfte »Saibachdeifel« und OSFN mit, der CVJM und die Handballer der Spvgg, die Walkinggruppe und der Musikverein Nehren. (GEA)