DORTMUND/ROTTENBURG. An seinem 28. Geburtstag wird Sergej W. nervös gewesen sein. Traurig über die frische Trennung von seiner Lebensgefährtin. Aber auch voller gespannter Erwartung, ob sein grausam anmutendes Vorhaben gelingen würde. Vier Tage später, am 11. April 2017, soll der im russischen Tscheljabinsk geborene Deutsche einen Bombenanschlag auf den Mannschaftsbus von Borussia Dortmund verübt haben. Sergej W. hatte mit Optionsscheinen auf einen fallenden Kurs der Aktie des einzigen börsennotierten Fußball-Clubs in Deutschland gewettet. Zwei Menschen wurden verletzt. Die Fußballwelt war fassungslos. Am Mittwoch jährt sich die Tat zum ersten Mal.
Zehn Tage nach dem Anschlag wurde der junge Mann an seinem Wohnort in Rottenburg am Neckar festgenommen. Seine auffälligen Finanzgeschäfte hatten die Ermittler früh auf seine Spur gebracht. Schnell war auch klar, dass er zur Tatzeit das Zimmer 402 des Dortmunder Hotels »l'Arrivée« gemietet hatte, in dem die Mannschaft von Borussia Dortmund vor dem Champions-League-Heimspiel gegen AS Monaco abgestiegen war. Als Industriemeister für Elektrotechnik besaß W. außerdem das nötige Fachwissen für den Bau und die Zündung von Sprengsätzen.
Seit Ende Dezember 2017 verhandelt das Dortmunder Schwurgericht gegen Sergej W. wegen 28-fachen versuchten Mordes. Seinen 29. Geburtstag verbrachte der unscheinbare Mann mit dem braven Seitenscheitel an diesem Wochenende also in Untersuchungshaft.
Die drei Bomben waren explodiert, als der voll besetzte Dortmunder Mannschaftsbus um 19.15 Uhr am Hotel »l'Arrivée« zum Heimspiel gegen Monaco losgefahren war. Im Inneren des Busses wurde der damalige Dortmunder Innenverteidiger Marc Bartra schwer am Unterarm verletzt. Ein Polizist, der dem Bus auf einem Motorrad vorausfahren sollte, erlitt ein Knalltrauma.
Der Beamte ist bis heute dienstunfähig. Und auch die Spieler und Verantwortlichen des Bundesligisten haben die schlimmen Momente noch lange nicht verarbeitet. »Der Anschlag hat mein Leben verändert«, sagte zum Beispiel Torwart Roman Weidenfeller als Zeuge vor Gericht.
Der Angeklagte hat die Tat inzwischen gestanden. »Ich bedauere mein Verhalten zutiefst«, hat er vor Gericht ausgesagt. Ihm sei es aber wichtig zu betonen, dass er niemanden verletzen oder gar töten wollte. Lediglich Angst und Schrecken habe er verbreiten wollen. Der Anschlag habe echt wirken, aber tatsächlich so gut wie keinen Schaden anrichten sollen.
Wann immer der Angeklagte während der Verhandlung das Wort ergreift, wird es still im großen Saal 130 des Dortmunder Landgerichts. Sergej W. spricht mit einem harten, rauen Akzent, der das Land seiner Geburt verrät. In Russland hat er gelebt, bis er 13 Jahre alt war. Wenn die drei Bomben tatsächlich niemanden gefährden sollten, warum bestückte er jede einzelne dann mit 65 Metallstiften, die er selbst an seinem Arbeitsplatz gesägt und gefeilt hatte? »Das Ganze musste doch echt wirken«, hat Sergej W. auf diese Frage geantwortet. Mit voller Absicht habe er die mittlere Bombe deshalb auch in etwa einem Meter Höhe in einer Hecke neben der Bus-Strecke angebracht. Die Splitter sollten angeblich über den Bus fliegen.
In seiner Erklärung vor Gericht hat der Angeklagte durchblicken lassen, dass er im April 2017 Gedanken an Selbstmord hatte. »Keinen Sinn mehr« habe er in seinem Leben gesehen. Das Geld aus dem erhofften Börsengewinn habe er seinen Eltern hinterlassen wollen. Sein Urteil erwartet der Angeklagte nun frühestens im Juni. Auch für versuchten Mord könnten die Richter lebenslange Haft verhängen. So wie es aussieht, könnte Sergej W. also noch viele weitere Geburtstage in einem Gefängnis verbringen. (dpa)