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Israeli und Palästinenser kämpfen für Frieden in Nahost

Ein palästinensischer Freiheitskämpfer und ein israelischer Ex-Soldat besuchten die Redaktion des REUTLINGER GENERAL-ANZEIGER und berichteten, wie schwierig der Kampf für den Frieden ist.

Osama Iliwat und Rotem Levin
Osama Iliwat und Rotem Levin Foto: Steffen Schanz
Osama Iliwat und Rotem Levin
Foto: Steffen Schanz

REUTLINGEN. »Deutschland muss die Initiative von Südafrika für einen sofortigen Waffenstillstand in Gaza unterstützen«, fordert Osama Iliwat, ehemaliger palästinensischer Polizist und Widerstandskämpfer. »Hört auf uns Israelis Waffen zu liefern. Die Waffen machen alles nur noch schlimmer«, fügt Rotem Levin, ehemaliger israelischer Soldat und Friedensaktivist hinzu.

Die beiden Menschen aus dem Nahen Osten gehören zu der Gruppe »Combatants for Peace«, einer Organisation von ehemaligen Kämpfern beider Seiten, die nun als Friedensaktivisten, Sicherheit, Gerechtigkeit und Menschenrechte für alle Menschen zwischen Jordan und Mittelmeer fordern. In der GEA-Redaktion erzählten die beiden ihre Geschichte und sprachen über ihr Anliegen. Am 16. Oktober, eine Woche nach dem Hamas-Überfall seien sie nach Deutschland gekommen. Zwei Wochen wollten der Israeli und der Palästinenser in Deutschland bleiben. »Doch wir haben gemerkt, dass es hier viel mehr Leute gibt, die uns zuhören wollen. In Israel will derzeit niemand etwas von unserem Anliegen wissen«, sagt Levin. Osama Iliwat befürchtet zudem, wegen seiner Facebookposts in Israel inhaftiert zu werden.

»Menschen in ihren Häusern zu überfallen ist kein Widerstand«

Der Israeli Rotem Levin, 33, ist Arzt. Er schildert wie er aufgewachsen ist, im Respekt für die Armee. Ein Cousin seiner Mutter fiel im Westjordanland, er galt in der Familie als Held. Levin leistete seinen Wehrdienst, in Israel drei Jahre in der selben Einheit, in der sein Vater gedient hatte. »Kriegsdienstverweigerung gab es nicht«. Zweifel kamen ihm, als er auf Befehl seines Kommandeurs eine Rauchgranate in ein Haus im Westjordanland warf. »Wir hätten das nicht tun sollen. Es gab keinen militärischen Grund dafür mitten in der Nacht diese Leute zu erschrecken, außer den, sie zu terrorisieren«, sagt er heute. Bereits auf dem Rückweg seien ihm und einem Kameraden Zweifel gekommen. Doch weder die Offiziere, noch die Menschen in seiner Familie und in seinem Umfeld hätten seien Ansicht hören wollen. Während des Medizinstudiums lernte er arabisch und kam mit Palästinensern in Kontakt. Levin spricht vom »Durchbrechen der Segregationsblase« nennt.

Der Palästinenser Osama Iliwat, 45, erzählt, wie er bereits in frühester Kindheit von der willkürlichen Gewalt der israelischen Besatzung traumatisiert wurde. »Ich erlebte, wie sie meinen Vater schlugen, wie sie meinen Nachbarn schlugen und den Bäcker, der uns das Brot verkaufte«, erzählt er. Mit 14 wurde er verhaftet. Ohne Anklage, ohne Gerichtsverfahren. Die Erfahrungen haben ihn geprägt. »Ich habe in meinem Bett das Tränengas gerochen«, erzählt er. »Ich habe mich nie sicher gefühlt.«, sagt er. Selbst hier in Deutschland wechsle er instinktiv die Straßenseite, sobald er einen Soldaten in Uniform sehe. »Ich hatte vor allem Angst« erzählt Iliwat.

Dann kam 1993 das Oslo-Abkommen. Iliwat gab es Hoffnung. »Ich habe gehofft, dass das Oslo-Abkommen Sicherheit in mein Leben bringt«, erzählt er. Iliwat trat als Polizist in den Dienst der Autonomiebehörde. Er erlebte jedoch, wie das Westjordanland in A, B und C-Zonen aufgeteilt war. »Die Kriminellen mussten nur in eine C-Zone fliehen und wir konnten sie als Polizisten nicht verfolgen. Die Israelis hat Kriminalität nicht interessiert, so lange es nicht gegen Israel ging«, erzählt er. Später musste er Palästinenser davon abhalten, in Gebieten der Siedler zu protestieren. Dann geschah etwas, das im heute noch die Tränen in die Augen treibt: »Die israelischen Soldaten haben einen Schulfreund von mir erschossen. Ich habe gesehen, wie er gestorben ist.« Iliwat ging nicht mehr zum Dienst. Ein Jahr lang, bis er gekündigt wurde.

Heute vergleicht er sein Verhältnis zur Autonomiebehörde mit einem Alkoholiker-Vater: »Er tut dir nicht gut, aber er ist immer noch dein Vater.« Die Autonomiebehörde habe das eigene Volk beschissen. Das Oslo-Abkommen sei von den Israelis Stück für Stück ausgehebelt worden, die Zahl der Siedler, die sich eigentlich zurückziehen sollten, habe sich vervierfacht. In den Verhandlungen von Oslo sei es um 30 Gefangene gegangen. Die Hamas habe jedoch für einen einzigen entführten israelischen Soldaten, Gilad Schalit, 1027 Gefangene freigepresst. Dadurch habe sich der Eindruck gefestigt, dass man mit Gewalt mehr erreiche, als mit Verhandlungen.

»Deutsche Waffen machen Israel nicht sicherer«

Iliwat gründete die Gruppe »Visit Palestine«. Die Idee war, einigen Israelis die Welt hinter der Mauer zu zeigen. Umgekehrt besuchte er auch die ehemaligen Konzentrationslage in Polen, versuchte die israelische Perspektive zu verstehen. Er sieht sich immer noch als Widerstandskämpfer gegen die israelische Besatzung. Doch den Angriff der Hamas am 7. Oktober verurteilt er mit deutlichen Worten: »Ich glaube an das Recht auf Widerstand. Aber Menschen in ihren Häusern anzugreifen und zu ermorden, das hat nichts mit Widerstand zu tun. Das ist ein Verbrechen.«

Er spreche als Freiheitskämpfer, wenn er sage: »Gewalt gegen Zivilpersonen lehne ich ab. Das ist nicht in meinem Namen und auch nicht im Namen des palästinensischen Volkes geschehen.« Dennoch sei die Rechnung der Hamas aufgegangen und ihr Ansehen bei den Palästinensern sei gestiegen. Iliwat betont: »Ich leiste keinen Widerstand gegen Juden. Ich leiste Widerstand gegen die Besatzung:«

Iliwat beklagt den moralischen Doppelstandard der internationalen Gemeinschaft. Denn, der Krieg, den Israel seit dem Hamas-Angriff mit seinen Bomben und Raketen in Gaza führe, sei ein noch größeres Verbrechen als die Verbrechen der Hamas. Auch die radikalen Siedler könnten Gewalttaten verüben, Dörfer niederbrennen und Menschen zusammenschlagen und umbringen und sich dabei sicher, sein, dass sie juristisch nicht belangt werden, erzählt Iliwat. »Internationales Recht muss auch in Palästina gelten. Menschenrechte müssen für alle gelten, sonst ist es Rassismus. Es muss nicht heißen: Stoppt den Genozid, sondern stoppt alle Genozide.«

Auch der Israeli Levin ist überzeugt davon, dass die einseitige deutsche Unterstützung für Israel den Israelis nicht weiterhilft. »Die Waffen, die uns Deutschland geschickt hat, sollten Israel zu einem sicheren Ort für Juden machen. Aber es hat sich gezeigt, dass Israel der unsicherste Ort für Juden ist« . Israel habe die sicherste Mauer der Welt gebaut, aber sie habe die Terroristen nicht davon abhalten können, einzudringen und furchtbare Verbrechen zu verüben. Es gebe keine Sicherheit für die Juden in Israel, wenn es keine Sicherheit für alle Menschen zwischen Jordan und Mittelmeer gebe. Es müsse für alle Menschen Sicherheit, Gerechtigkeit und das Recht auf eine gutes Leben geben, sagt Levin. Dann könne ein Heilungsprozess einsetzen. (GEA)

Veranstaltung in Kirchentellinsfurt

»Combatants for Peace« wurde von israelischen Soldaten gegründet worden, die Zweifel an der Fortführung des Kampfes hatten und mit Palästinensern Kontakt aufnahmen. Sie besteht aus 15 Mitarbeitern und 40 ehrenamtlichen Aktivisten, die stets in Zweierteams arbeiten. Der wichtigste Termin ist, am Gründungstag Israels aller Toten beider Seiten zu gedenken. Am kommenden Sonntag, 21.1. sind Osama Iliwat und Rodem Levin um 11 Uhr in der Martinskirche in Kirchentellinsfurt. (GEA)