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In Mössingen verfahren: Lkw landet in Steilhang

Der Fahrer eines Lastwagens mit einer Fuhre Schotter landet bei Suche nach einer Mössinger Bahnbrücke im Farrenberg-Steilhang.

Würde man eine solche marode Rückegasse befahren – auch wenn das Navi-Gerät diesen Weg anzeigt? Im Hintergrund die abgekippte Sc
Würde man eine solche marode Rückegasse befahren – auch wenn das Navi-Gerät diesen Weg anzeigt? Im Hintergrund die abgekippte Schotterladung. Foto: Meyer
Würde man eine solche marode Rückegasse befahren – auch wenn das Navi-Gerät diesen Weg anzeigt? Im Hintergrund die abgekippte Schotterladung.
Foto: Meyer

MÖSSINGEN. Man muss bei dieser unglaublichen Geschichte ein wenig ausholen: Es ist ziemlich genau hundert Jahre her, dass Bauarbeiter im Albgebirge eine Eisenbahnstrecke gebaut, genauer gesagt Bahnbrücken errichtet haben. Die Rede ist hier nicht von der schwäbischen Alb-Bahn, die 1893 von Honau nach Münsingen angelegt wurde, oder der Hohenzollernbahn, die man 1901 zwischen Gammertingen und Engstingen in Betrieb nahm. Das letzte große württembergische Ingenieursprojekt war 1914 die 18 Kilometer lange Heubergbahn von Spaichingen über Gosheim nach Reichenbach.

Wie auch immer. Alle drei Bahnlinien liegen, bei globaler Betrachtung, in der Nähe von Mössingen. Auch dort gibt es, übrigens seit 1869, eine Zollern-Alb-Bahn. Das hohe Alter geht auf die Knochen, respektive Brücken. Weswegen auf der Strecke diverse Bauwerke erneuert werden müssen. Beim Ernwiesenstadion wird bei Kilometer 16,8 der Strecke 4630 von Tübingen nach Sigmaringen seit März an einer neuen Bahnüberführung gebaut. Die Brücke wird von rund 7 auf 12 Meter verbreitert. Am Jahresende soll der parallel erstellte Neubau eingeschoben werden. Auf jeden Fall wird für die Rampen eine Menge Schotter benötigt.

Schotterladung vermisst

Den gibt’s am Rande des Neckartals ins Hülle und Fülle und wird unter anderem in Empfingen abgebaut. In einem der modernsten Schotterwerke im Land. Rund 1.000 Tonnen Gestein werden hier stündlich verladen und von 120 Lkw-Einheiten zwischen Rheintal und Oberschwaben zu Kunden gefahren. Einer davon ist die Deutsche Bahn AG mit ihrer Baustelle in Mössingen.

Die hat unlängst vergeblich auf eine der vielen Fuhren mit 25 Tonnen Schotter gewartet. Das Fahrzeug war im 33 Kilometer weit entfernten Steinbruch gestartet, kam aber nie am Ziel an – und auch nicht zurück. Das verwundert zunächst, rühmt sich doch die Firma über »die modernste, auftragsgesteuerte Disposition mit direkter Fahrzeuganbindung (GPS)« zu verfügen. Es sei denn, man arbeitet mit verbundenen Logistikunternehmen und mit Personal, das, sagen wir mal vorsichtig, mit der regionalen Geografie und Topografie nicht vertraut ist. Oder sich blindlings auf ein Navigationsgerät verlässt. Oder die Kreisverkehre verwechselt.

Fahrverbote ignoriert

Fakt ist, dass besagter Lkw über die B 27 nach Mössingen gefahren ist. Beim ersten Kreisel am Nordring hätte er allerdings Richtung Bästenhardt abbiegen sollen und wäre nach 1.000 Metern an der Bahn-Baustelle gelandet. Stattdessen fuhr er geradeaus durch die Innenstadt, unterquerte die Bahnstrecke und ließ sie bei der Fahrt durch die Innenstadt immer weiter hinter sich. Hier hätte der Fahrer stutzig werden können. Beim dritten Kreisel am Friedhof ignorierte er das Verbotsschild für Lastkraftwagen und verließ das Stadtgebiet auf der Grabenstraße Richtung Talheim. Kurz danach folgte er dem Hinweisschild auf den einen Kilometer entfernten Waldwanderparkplatz »Linden«. Er bog auf den landwirtschaftlichen Weg ein und steuerte seinen Mehrtonner die Steilstrecke hoch und erreichte nach 120 Höhenmetern den Ausgangspunkt für die Mössinger Premium-Spazierwanderwege.

Der Fahrer war nun vier Kilometer von der Bahnlinie entfernt und weiterhin auf der Suche nach derselben. Spätestens zu diesem Zeitpunkt hätte er skeptisch werden sollen. Denn er befand sich nicht nur direkt am Fuße des dicht bewaldeten Farrenbergs. Sondern auch vor dem Verkehrszeichen »Waldweg gesperrt für Motorfahrzeuge und Gespanne.« Das zeigt unmissverständlich an, dass hier kein Weiterfahren erlaubt ist. Man muss allerdings dem Lkw-Fahrer aus dem slawischen Sprachraum zugutehalten, dass auf dem nicht in kyrillischen Schrift verfasstem Schild lediglich durchgestrichene Piktogramme eines Mopeds, eines Auto und eines Pferdegespannes abgebildet sind. Ein Lastwagen wird explizit nicht dargestellt.

Jede Menge Schotter: Die vom Schotter-Lkw-Fahrer nicht gefundene Brücken-Baustelle an der Bahnlinie bei Belsen.
Jede Menge Schotter: Die vom Schotter-Lkw-Fahrer nicht gefundene Brücken-Baustelle an der Bahnlinie bei Belsen. Foto: Meyer
Jede Menge Schotter: Die vom Schotter-Lkw-Fahrer nicht gefundene Brücken-Baustelle an der Bahnlinie bei Belsen.
Foto: Meyer

Der Mann fuhr also auf den geschotterten Waldweg, folgte dem Schild »Grillstelle unter Andeck«, orientierte sich an den Früchtetrauf-Symbol mit dem roten Apfel. Der immer steiler werdende Weg führte von 590 auf 690 Höhenmeter. Wenn es hier am vorgeschobenen Albtrauf eine Bahnlinie geben sollte, muss das eine tollkühne Trassenführung sein, dachte sich vielleicht der Fahrer.

An einer 90-Grad-Kehre, kurz vor dem berüchtigten Ziegelrutsch, sah der Lkw-Fahrer rot. In Form eines von Waldarbeitern angesprühten Pfostens. Während der überwindbare Waldweg rechts bergan weiterführte, zeigte der Holzstab links den Beginn einer Rückegasse an. Ein von sehr tiefen Spurrillen, mit schlammigen Wasserpfützen durchzogener Weg, direkt am Abhang. Für Fußgänger nicht passierbar.

Auf der Suche nach der Eisenbahnlinie ist der Lkw auf verbotenen Wegen in den steilen Waldhang gefahren.
Auf der Suche nach der Eisenbahnlinie ist der Lkw auf verbotenen Wegen in den steilen Waldhang gefahren. Foto: Meyer
Auf der Suche nach der Eisenbahnlinie ist der Lkw auf verbotenen Wegen in den steilen Waldhang gefahren.
Foto: Meyer

Normalerweise ist dieses Matschinferno nur mit speziellen Forstfahrzeugen mit entsprechender Bereifung zu bewältigen. Es sei denn natürlich, man hat eine Ladung Schotter zu liefern. Es kam, wie es kommen musste. Obwohl die Aussichtslosigkeit einer sich bessernden Befahrbarkeit des Geländes mit jedem weiteren Meter stieg, fuhr der Mann unbeirrt weiter in sein Unglück. Nach rund 250 Metern steckte der für vom Regen aufgeweichten Waldboden nicht geeignete Fünfzehntonner hoffnungslos fest. Zu Fuß stieg der Fahrer ins Tal hinab, um die herbeigerufene Hilfe einzuweisen. Als ein landwirtschaftlicher Spezialschlepper nach einer Stunde Suchfahrt die Stelle erreichte, zeigte sich, dass der tief eingesunkene, auf dem Bodenblech ansitzende Lkw zwar aufwendig mit einer Kette aus dem Schlamassel gezogen werden kann – aber nicht mit der Ladung.

Dem Bergeteam blieb nur die Möglichkeit, bis auf den nächsten Frosteinbruch zu warten, das Fahrzeug an Ort und Stelle auseinanderzuschweißen oder den Schotter im Wald abzuladen. Immerhin wurde die Arbeit insofern erleichtert, weil der Lkw über eine Seitenkippeinrichtung verfügt. Wenn man so will, hat die Geschichte auch etwa Gutes: Empfiehlt doch die Landesanstalt für Wald und Forstwirtschaft, schadhafte Rückegassen mit wasserdurchlässigen Grobschotter wieder zu befestigen. (GEA)