TÜBINGEN/REUTLINGEN. Politik und Wirtschaft setzen große Hoffnungen in grünen Wasserstoff – im Verkehr, als Brennstoff, zur Erzeugung von Strom und Wärme sowie als Rohstoff in der Industrie. Und dabei sind nicht nur Lösungen auf höchster Ebene und mit großem wirtschaftlichem Volumen gefragt. Auch bei den Landkreisen tut sich was. Reutlingen und Tübingen wollen die hiesigen Potenziale nutzen und treiben die Entwicklung gemeinsam voran.
»Wir kommen aus der Klimaschutzecke«, sagt Julia Bernecker. Sie ist zuständig für nachhaltige Regional-Entwicklung beim Landkreis Reutlingen, wo man früh erkannt hat: Wasserstoff wird als Energie-Speicher eine Rolle spielen. Wer eine regionale grüne Wasserstoff-Wirtschaft aufbaut, hat Vorteile – und tut etwas für die Umwelt.
2019 hat man sich das erste Mal beworben, um die Förderprogramme von Bund und Land zu nutzen, und im Jahr darauf bei Hy-Starter die Zusage bekommen. Tübingen war gewissermaßen als »Schatten« schon dabei. 2021 bewarben sich beide gemeinsam für Hy-Nature und erhielten 400.000 Euro Förderung.
Bedarf wird stark wachsen
Gudrun Gandenberger, zuständig für Wirtschaftsförderung im Landratsamt Tübingen, sieht ein regionales Energie-Konzept als Chance, die Entwicklung mitzugestalten. Impulse aus der Verwaltung seien von großem Nutzen. »Koordinieren und Akteure zusammenbringen, das können wir«, ist von beiden Seiten zu hören. Inzwischen hat sich ein Netzwerk herausgebildet.
Für Firmen in der Region ist die Sache schwierig zu beurteilen. Wie sicher ist die neue Technologie? Welche Mengen und Größen sind realistisch? Wie laufen die Genehmigungsverfahren? Welche Fördertöpfe kommen infrage? Gandenberger und Bernecker bieten Orientierung im Förder-Dschungel und stellen fest, dass sich manches verändert. Auch in den Behörden, die mit den Verfahren betraut sind. Denn wenn man Wasserstoff als Energieträger will, muss man die entsprechenden Voraussetzungen schaffen. Immerhin befindet man sich in einer Modellregion für grünen Wasserstoff.
Das Programm Hy-Nature ist inzwischen ausgelaufen. Im September zogen die Beteiligten Bilanz und waren sich einig, dass man nicht riskieren will, dass sich nun alles verläuft. Die gute Vernetzung will man weiter pflegen und alle mit aktuellen Infos versorgen. Eine Umfrage erbrachte viele positive Rückmeldungen. »Wir haben nicht die Lösung für die Energiewende, aber einen Baustein dazu«, betont Gandenberger.
Die Prognosen zeigen, dass grüner Wasserstoff auch in der Region zunehmend wichtiger werden wird. Der Bedarf in beiden Kreisen bis 2030 wird auf etwa 1.500 Tonnen beziehungsweise 50 Gigawattstunden geschätzt. 2045 könnten es dann 13.500 Tonnen oder 450 Gigawattstunden sein. Bis zum Jahr 2035 könnte ein Großteil des benötigten Wasserstoffs regional erzeugt werden. Bei der Abschluss-Veranstaltung waren ein Brennstoffzellenbus und ein wasserstoffbetriebenes Lastenrad zu sehen, die den Einsatz in der Praxis demonstrierten.
Verfahren vereinfachen
Bernecker und Gandenberger verfolgen die Fortschritte auf den einzelnen Feldern und finden: »Es ist richtig spannend.« Sie sind technik-affin und interessiert. Kann man Biomasse nutzen? Oder Abwasser und Klärschlamm? Wer sich mit ihnen unterhält, merkt gleich, dass sie für alle Aspekte offen sind und auf dem Laufenden bleiben wollen.
Zu den Empfehlungen im Abschlussbericht gehört auch die Einrichtung von Lernwerkstätten. Im Unterricht der Berufsschulen sollte das Thema möglichst bald eine Rolle spielen. Und die Genehmigungsverfahren für kleine Erzeuger dürfen nicht so aufwendig sein, dass sie für diese nicht mehr zu bewältigen sind. Gandenberger und Bernecker stehen als Ansprechpartnerinnen weiter zu Verfügung. (GEA)
INFO-ABEND
Einen Info-Abend für alle, die am Thema grüner Wasserstoff interessiert sind, gibt’s am Dienstag, 21. November, im Kamino in Reutlingen. Beginn ist um 18 Uhr. Veranstalter ist die Modellregion. Referenten befassen sich mit allgemeinen Fragen, aber auch mit speziellen Themen wie der Umstellung der Gasnetze. Der Abschlussbericht des Projekts ist online verfügbar. (-jk) www.hy-nature.de