GOMARINGEN. Drei stellvertretende Bürgermeisterinnen (die Vierte war verhindert). Dazu der Bürgermeister mit Frau und Sohn: So sah das Empfangs-Komitee im Gomaringer Rathaus für Günther Oettinger aus. Der 70-Jährige ist inzwischen Privatier und leitet seine Oettinger Consulting mit Sitz in Hamburg. Fünf Jahre lang war er baden-württembergischer Ministerpräsident, danach neun Jahre EU-Kommissar. Und immer noch ist er geschätzter Gesprächspartner und Redner.
Bürgermeister Steffen Heß hatte sich gewünscht, dass der Besucher sich ins Goldene Buch der Gemeinde einträgt. Außerdem gab's Gelegenheit, an frühere Besuche zu erinnern und mit Bildern und Zahlen vorzuführen, was sich in Gomaringen getan hat.
»Mössingen ist eine geschickte Stadt. Und dort kriegt man auch einen Parkplatz. - Kirsten Gaiser-Dölker«
Oettinger - in Begleitung seines Sohnes Alexander, der wie einst der Papa in Tübingen studiert - ist mit der Gegend durchaus vertraut. Nach dem Jura-Studium war er Referendar am Landgericht und Assistent an der Uni. Gewohnt hat er in Mähringen. Und neugierig, wie sich die Region entwickelt, ist er auch.
Wieso wechselte die Wiesazgemeinde vor 51 Jahren in den Landkreis Tübingen? Was sind die nächsten Vorhaben im Ort und wo liegen die Probleme? Wie weit sind die Kandidatenlisten für die Kommunalwahl am 9. Juni gediehen? Und wie viele Sitze im Kreistag wird der gemeinsame Wahlbezirk mit Nehren, Ofterdingen, Dußlingen und Kusterdingen bekommen? Nicht nur darüber tauschten sich die Gastgeber und der ehemalige Ministerpräsident aus.
Zum Einkaufen nach Tübingen oder Reutlingen
Oettinger fragte auch nach den Verbindungen zu den Nachbarstädten. Gudrun Bühler (CDU) und Petra Rupp-Wiese (Grüne) bekannten, dass sie sowohl nach Tübingen als auch nach Reutlingen zum Einkaufen fahren. Kirsten Gaiser-Dölker (FW) brachte Mössingen ins Spiel. »Mössingen ist eine geschickte Stadt. Und dort kriegt man auch einen Parkplatz.«
Abgeholt wurde Oettinger nach dem Kurzbesuch im Rathaus von Willi Kemmler, der ihm im Namen der höchst aktiven Bürgerstiftung den Haldenplatz vorführte und ihn dann in den Bürgersaal des Schlosses brachte, wo den Ex-EU-Kommissar eine große Zuhörerschar erwartete. Kemmler hatte Oettinger im vorigen Jahr bei einer Veranstaltung in Metzingen spontan eingeladen. Gastgeber war da der Förderverein Schwäbischer Dialekt, der Referent bot Witz und Ironie und beleuchtete kurzweilig in freier Rede »Die Welt auf Express-Schwäbisch«.
Im Bürgersaal in Gomaringen hatte Oettinger anderes im Sinn und wollte aufrütteln. In Washington drohe ab 5. November eine Autokratie. Trump bereite seinen Rachefeldzug vor. In vielen Ländern sei die Demokratie in Gefahr. Die Situation in China macht ihm Sorgen, viel mehr noch Putins Drohungen. Viele Deutsche wähnten sich in trügerischer Sicherheit, »dabei sind wir kurz vor dem Dritten Weltkrieg«. Und auf diesen Fall sei die Bundeswehr völlig unzureichend vorbereitet. »Die Gomaringer Feuerwehr ist besser aufgestellt.«
»Seit acht Jahren ist Deutschland immer Letzter. - Günther Oettinger«
Was die politische und wirtschaftliche Lage In Deutschland betrifft: Dafür ist nach seinem Dafürhalten das Abschneiden beim Eurovision Song Contest sinnbildlich. »Seit acht Jahren ist Deutschland immer Letzter.« Defizite in Bildung und Erziehung. Die Energie-Versorgung bedroht - unter anderem durch den Ausstieg aus der Atom-Energie. Die Infrastruktur zerrüttet. Schienenstrecken, Straßen und Schifffahrtswege in miesem Zustand. Die Industrie verlagert ihre Produktion in Nachbarstaaten wie Polen. »Wir sind mitten im Prozess der De-Industrialisierung«, befand der Ex-Politiker sarkastisch, »da hilft nur Cannabis.« Deutschland habe das Potenzial, seine Wettbewerbsfähigkeit wieder zu erlangen. Aber dazu müsse sich einiges ändern. Und die Klimaziele dürften nicht immerzu verschärft werden.
Einige Zuhörer hatten anderes erwartet. Kemmler, mehrere Jahrzehnte SPD-Kreisrat und Gemeinderat, bekannte: »Wenn ich gewusst hätte, dass Sie eine ganz andere Rede halten, hätte ich mich darauf vorbereitet.« Wenn Oettinger gemeinsame Anstrengungen verlange, müsse auch die Rolle der CDU thematisiert werden, die auf vielen Feldern jede Zusammenarbeit verweigere. Oettinger sieht sich da jedoch nicht als der richtige Ansprechpartner. Er habe nur aufwecken und aufrütteln wollen. »Ich bin nicht mehr CDU. Ich bin raus. Ich bin nur noch einfaches Mitglied.« Eine längere Diskussion war wegen Zeitknappheit nicht möglich. Der 70-Jährige hatte weitere Termine. Erst in Ludwigsburg und danach in Reutlingen, wo er den Mitgliedern beim Hermann-Schaufler-Stammtisch sein Kommen zugesagt hatte. (GEA)