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Aktuell Omzug

Frau Venusberg lässt’s in Rottenburg krachen

Das närrische Rottenburg feiert den sechshundertsten Geburtstag seiner Schirmherrin Gräfin Mechthild

Selfies mit Hexen waren besonders beliebt. FOTOS: MEYER
Selfies mit Hexen waren besonders beliebt. Foto: Jürgen Meyer
Selfies mit Hexen waren besonders beliebt.
Foto: Jürgen Meyer

ROTTENBURG. Abertausende ausgelassene Menschen in den Altstadtgassen von Rottenburg: Das geht nun schon seit sechshundert Jahren zur Fastnachtszeit so. Na ja, wie es im Wort schon heißt, fast so lange schon.

Am 7. März 1419 jedenfalls wird die spätere Gräfin Mechthild geboren, Frau des Grafen Ludwig I. von Württemberg. Sie ist die Mutter des Tübinger Universitätsgründers Eberhard im Barte, wird mit 31 vermögende Witwe, weshalb der klamme Erzherzog von Österreich mit ihr die Ehe eingeht. Der stirbt 1463, und sie beschließt, es fortan an ihrem Witwensitz im vorderösterreichischen Rottenburg, salopp gesagt, richtig krachen zu lassen.

Mechthild hat »köstliche Fastnachten gehalten«, heißt es in der berühmten Zimmerschen Chronik über »Frau Venusberg«, dem »überflaischgirigen Weib«, deren »Wesen und Hofhalten aller Freuden und Wollust, so man erdenken mag, überflissig voll gewesen« sei.

Als sie 1482 stirbt, ist der Hofnarr, ihr Liebhaber, in ihrem Testament bedacht worden. Ihre Gebeine kommen nach Güterstein bei Urach, werden später in die Tübinger Stiftskirche überführt. Royalisten fordern schon lange eine Umbettung neckaraufwärts, wo die Erzherzogin zur Protektorin der Rottenburger Fastnacht erhoben worden ist.

Seit neunzig Jahren ist ihr Hofstaat mit zahlreichen Einzelfiguren symbolischer Bestandteil des närrischen Treibens. Dreizehn Darstellerinnen sind seither in die Rolle der Mechthild geschlüpft. Seit 2005 präsentiert Manuela Kaupp – neben den Bischöfen – die wichtigste Person der Stadtgeschichte. Diese führt den alljährlichen Omzug an, wie auch jetzt wieder am Sonntag im Jubiläumsjahr. Exakt 84 Zünfte, Musikkapellen und Laufgruppen bildeten den längsten, größten und schönsten närrischen Lindwurm der Region.

Musikkapellen begleiteten die Narren.
Musikkapellen begleiteten die Narren. Foto: Jürgen Meyer
Musikkapellen begleiteten die Narren.
Foto: Jürgen Meyer

Wer das zweistündige Spektakel an dem 1,7 Kilometer langen Rundkurs in erster Reihe genießen wollte, musste zeitig seinen Platz einnehmen. Denn schon lange vor Omzugsbeginn drängten sich an die fünf Zuschauer pro Quadratmeter an den Bordsteinkanten. Summa summarum also rund 20 000 Zuschauer.

Die wurden mancherorts fast vom Winde verweht. Auf den beiden Neckarbrücken war es recht zugig; in den Gassen der Doppelaltstädte (Ehingen war im Mittelalter selbstständig) kam das Konfetti wie bei einem Sandsturm waagrecht dahergeflogen. Auffällig viele Polizeibeamte zeigten an der Strecke Präsenz. Erstaunlicherweise ließen sie aber das wilde Treiben der Hexen und anderer Schreckgestalten einfach gewähren.

Kleiner Rottenburger »Ahland«.
Kleiner Rottenburger »Ahland«. Foto: Jürgen Meyer
Kleiner Rottenburger »Ahland«.
Foto: Jürgen Meyer

Unzählige Zuschauer wurden mit Papierschnipsel in jedweder Form, Sägemehl unterschiedlicher Konsistenz, mit Hopfen und anderen Samen, je nach Narrenfigur, beworfen. Von den Zentnern an Bonbons und anderen Süßigkeiten ganz zu schweigen. Wie anno dazumal gab’s »ein groß Rennen und Stechen auf dem Markt«. Mechthild hätte es großartig gefunden. Das fröhliche Hauptkontingent des Umzugs bildeten die Traditionszünfte rund um die Bischofsstadt. Aber auch junge Narrenvereine aus Kusterdingen und Nehren durften mitlaufen. (GEA)