TÜBINGEN. Herr Loskill, sie haben »The 3R Länd Conference« mit organisiert. Was habe ich mir darunter vorzustellen?
Das war eine internationale Tagung mit rund 200 Leuten. Viele kamen aus der Region, der Rest aus Europa und den USA. Das Ziel war, unterschiedliche Wissenschaften zusammen zu bringen: WissenschaftlerInnen, die Modelle entwickeln, und beispielsweise BiologInnen, die zu bakteriellen Infektionen forschen.
Können Sie das präzisieren?
Es geht um Bioengineering. Für dieses interdisziplinäre Gebiet gibt es keinen passenden deutschen Begriff. Wir arbeiten an der Schnittstelle einerseits der Biologie, Medizin und Pharmazie, andererseits der Ingenieur- und Physikwissenschaften. Wir haben zirka 20 verschiedene Abschlüsse im Team.
In Ihrem Vortrag sprachen Sie über den Aufbau menschlicher Gewebe durch die Verwendung von Organ-on-Chip und organartige Technologien. Verstehe ich es richtig, sie lassen organisches Gewebe in einem Speichermedium wachsen?
Der Begriff »Chip« ist eher historisch. Damit muss man aufpassen: Das hat nichts mit dem Computer zu tun. Es handelt sich um mikrophysiologische Systeme. Man arbeitet mit microfluidic chips, die ähnlich wie Polymer-Lego-Blöcke aussehen. Die Gemeinsamkeit mit den Computerchips liegt in der Größenordnung und teilweise in den Herstellungsverfahren.
Heißt das sie bauen kleine Gehäuse und lassen darin Organe, von Fettgewebe bis zu einem schlagenden Herz, nachwachsen?
Es geht um kleinste Plattformen, die das kontrollierte Herstellen von Gewebe ermöglichen. Man muss es sehen wie einen transparenten Lego-Block aus Plastik, in den kleine Kanäle und Kammern eingearbeitet sind. Die Idee ist, dass die Kanäle Blutgefäße nachbilden und dass in den Kammern menschliches Gewebe aufgebaut wird. Wir schaffen so eine Umgebung, die den Zellen vorgaukelt, sie seien noch im Körper. Dann verhalten sie sich auch so. Das sind humanbiologische Prozesse außerhalb des Körpers.
Woher kommt das Gewebe? Muss man es nicht vorher einem Körper entnehmen?
Es gibt zwei Verfahren. Entweder wir bekommen Gewebebiopsien, etwa Abfälle von Operationen. Oder wir arbeiten mit Stammzellen und können daraus Gewebe aufbereiten.
Der Begriff »Abfall« irritiert mich in diesem Zusammenhang ein wenig.
Wenn sie zum Beispiel eine Mandel-Operation haben – die Mandeln sind Abfall. Daraus können wir kleine Gewebe-Modelle entwickeln, auf denen man wissenschaftliche Studien aufbauen kann.
Können Sie auf dies Weise künftig tatsächlich Tierversuche umgehen?
Man muss differenzieren. In absehbarer Zeit ist es leider nicht möglich, ganz ohne Tierversuche zu arbeiten. Aber es gibt immer mehr neue Methoden sie zu ersetzen oder zumindest zu reduzieren – je mehr Modelle entwickelt werden. In ihrer Keynote sprach Daniela Salvatori, Professorin an der Universität Utrecht, auch über die Bedeutung, neue Ausbildungsmethoden zu entwickeln, die einer neuen Generation von WissenschaftlerInnen dabei hilft, Tierversuche zu reduzieren. (GEA)