MÖSSINGEN. Der Einbürgerungstest des Bundesverwaltungsamts umfasst 33 Fragen, von denen 17 richtig beantwortet werden müssen. In Mössingen gibt es hingegen eine vereinfachte Form des Integrationsverfahrens: »Man wird erst ein waschechter Mössinger, wenn man ein Gütle und einen Balkenmäher hat«, behauptete Oberbürgermeister Michael Bulander, der selbst vor 22 Jahren aus Oberschwaben eingereist war, »hier mit meiner Familie aber jetzt meine Heimat gefunden hat«. Kultur-Café-Vorstand Michael Niethammer stellte klar: »Das Statussymbol eines Mössinger Mannes ist sein Hänger.«
Selten verläuft ein Festakt so unterhaltsam wie am Freitagabend beim Auftakt zum großen Doppeljubiläumsjahr 2024, in dem die mit den vormaligen selbstständigen Gemeinden Öschingen und Talheim und den Teilorten Belsen, Bästenhardt nebst Ziegelhütte zusammengebildete junge Stadt ihren 50. Geburtstag feiert – und auch noch die Ersterwähnung des Ortsnamens vor 1.250 Jahren. Nicht zu vergessen Bad Sebastiansweiler, dessen Kurbetrieb im Juli sein 100sten Bestehen feiern wird.
Große Feste im Juli und September
Schwungvoll ging der Start ins Geburtstagsjahr allerdings nicht vonstatten. Der festliche Auftakt in der ebenso dekorierten, voll besetzten Quenstedt-Aula war zwar launig, aber nicht wirklich bewegt. Analog zur Zahl des Jubeljahres wurden 125 Redeminuten gehalten und 12,5 Minuten lang drei festliche Musikstücke dargeboten. Natürlich vom altehrwürdigen Hauptorchester des Musikvereins, der Mitte September sein 125-jähriges Bestehen feiern wird. Bereits am städtischen Festwochenende des 6./7. Juli soll es dann aber rund her gehen.
Apropos rund: Den Jubiläumsreigen rundeten Dines Christen und Jürgen Wissenbach ab. Inmitten der Gäste, die einen bunten Querschnitt der Bürgerschaft abbildeten, feierten beide Gemeinderäte ihren 80. Geburtstag gleich mit. Dass Mössingen, vor 15 Jahren zur Großen Kreisstadt erhoben, zum bestimmenden Zentralorts des Steinlachtals geworden ist, wurde durch den Überraschungsbesuch von Reutlingens OB Thomas Keck deutlich. Er machte wieder bewusst, dass beide Markungen aneinandergrenzen. Etwas verwunderlich hingegen, dass mit Joseph Reichert aus Ofterdingen nur ein einziger Bürgermeister aus dem Landkreis seine Aufwartung machte.
So blieb es Landrat Joachim Walter vorbehalten »als Zeitzeuge heute dabei zu sein«. Die Zeiten seien nicht immer leicht für Mössingen gewesen, »aber es hat sich zu einer dynamischen, modernen Stadt entwickelt, die sich wirklich sehen lassen kann, in der alle Generationen Lebensqualität vorfinden.« Mit Menschen, »die sich vielfältig einbringen und die Stadt lebens- und liebenswert machen.«
Gute Zukunft prognostiziert
Zuvor hatte der OB Rückschau auf die stürmische Entwicklung und das gelungene Zusammengehen der Teilorte gehalten und ins Bewusstsein gebracht, »was über Generationen bis zur Gegenwart eine lebendige, bürgerschaftliche Kraft unseres Gemeinwesens geschaffen hat.« In den letzten 150 Jahren ist der Ort von 3.500 auf 21.000 Einwohner angewachsen. Allerdings: »Ohne Öschingen und Talheim wäre Mössingen heute noch ein Dorf.«
Deren Bewohnern wurden von einem württembergischen Beamten 1607 als »halsstarrig, widerspenstig und rebellisch« tituliert. Im Jahr 1827 gab es gar Aufruhr gegen die Einsetzung eines unbeliebten Schultheißen, der durch Polizeieinsatz niedergerungen wurde – wie 1933 der einzigartige Versuch des Generalstreiks gegen Hitlers Machtergreifung.
»Die Rückschau war nie ihr Ding«, so der OB. »Auch nicht die Resignation, sondern der Blick nach vorne: Viele Auswanderer suchten ihr Glück in der Ferne, die Dagebliebenen packten energisch zu.« Und heute blicke Mössingen »in eine gute Zukunft«.
Mosterei fehlt in der Stadt
Regierungspräsident Klaus Tappeser pries Mössingen als Stadt der Vielfalt, des Streuobst, der Schulen, des Sports, der Inklusion, der Kinderbetreuung, eine Gewerbe- und Einkaufsstadt im Wandel. Er war neben MdB Martin Rosemann (SPD), MdL Daniel Lede Abal (Grüne) und Manuel Hailfinger (CDU) der prominenteste Gast und hatte die weiteste Anreise. Anlass für den witzigen Moderator und Bühnenkünstler Jakob Nacken, sich einen Überblick darüber zu verschaffen, wo die anwesenden heutigen Mössinger geboren wurden. Zahlreiche Gäste outeten sich als Hausgeburten. Beim entferntesten Geburtsort hatte Jubilar Christen mit Kopenhagen zunächst die Nase vorn. »Noch jemand von weiter weg?«, fragte Nacken und bekam den Zuruf »Wuppertal«.

Im Gelächter ging der Punkt dann aber an die Jugendgemeinderätin Yeganeh Azimi aus Afghanistan. Sie gehörte zu den vier Mössinger Bürgern, die in zwei Gesprächsrunden über die Geschichte (Franziska Blum), Kleinkunst und Streuobst (Michael Niethammer) und die Eingemeindungen (Albrecht Schumacher) debattierten. Ihre Wünsche für die Zukunft: »Dass es gelingt, die restlichen Pausa-Gebäude zu sanieren und deren Sammlung repräsentativ zeigen zu können«, so Museumsleiterin Blum. Niethammer sagte »es geht gar nicht, dass die Streuobststadt keine eigene Moste mehr hat.« Alt-Ortsvorsteher Schumacher wünscht sich ein »gutes Miteinander zwischen den Teilorten und die Einstellung, dass das Glas immer halbvoll und nicht halbleer ist.« Azimi befand, dass es aus Sicht der Jugend »ganz O.K. in der Stadt ist, auch wenn ein paar spezielle Einkaufsläden fehlen.«
Bevor der Liederkranz Talheim das lang ersehnte neue Jubiläumsbier zum Ausschank bereitstellte, ließ sich Nacken für ein improvisiertes Abschlusslied noch Stichworte aus der Menge zurufen, die als Synonym für Mössingen stehen sollen: Das sind, laut Publikum, der Bergrutsch, der Rosenmarkt und die Lichtspiele, aber auch die Schnapsbrennerei, der Steinlachstrand und die Schirmscheißer. (GEA)