Informationen kommen nicht an
Der Arbeitskreis Miteinander hat den Dokumentarfilm am Dienstagabend in der Pausa in Mössingen gezeigt. Gekommen sind rund 30 Interessierte, etwa die Hälfte türkischstämmig. Was in ihrem Kulturkreis das Besondere am Umgang mit kranken Familienangehörigen ist, erklärt Gülcan Izgi. »Wir haben die Pflicht, uns um unsere Eltern zu kümmern.« Das ist Teil des muslimischen Glaubens. Besonders zärtlich – wie auch im Film zu sehen ist – sei der Umgang mit den kranken Eltern. Ein Unterschied zu deutschen Verhältnissen? »Dazwischen liegen Welten.«Ein besonderes Verantwortungsbewusstsein bei türkischstämmigen Familien hat auch Winfried Hornef festgestellt. »Hinzu kommt ein Ehrgefühl, das in ihnen stark verankert ist.« Hornef arbeitete 24 Jahre lang als Arzt in Mössingen und ist zusammen mit seiner Frau Irmgard Teil des Arbeitskreises Miteinander. Auf Dauer, so vermutet Hornef, kann die familiäre Pflege aber nicht aufrechterhalten werden. Schließlich leben auch die Mitglieder türkischer Familien zunehmend im Land verstreut und sind nicht vor Ort, wenn Hilfe gefragt ist.
Unterstützungsmöglichkeiten für pflegende Angehörige, so wird im Film und bei der anschließenden Diskussion bemängelt, findet nicht in ausreichendem Maß den Weg in Familien mit Migrationshintergrund. »Es gibt da eine Riesenlücke, Ärzte müssten besser aufklären«, findet die 30-jährige Dielk Aydin. Zugleich aber weiß sie, dass Familien, die ihre Eltern ins Pflegeheim geben, von den türkischen Mitbürgern womöglich »komisch angeschaut« werden. Für viele steht zudem die Sprache im Weg. »Die erste Gastarbeitergeneration spricht oft kein Deutsch«, so Gülcan Izgi.
Studie erfragt Erwartungen
Die Dritte aber tut es. Alles aufgeben, um einen Angehörigen zu pflegen? Die 27-jährige Serap Aydin kann sich das kaum vorstellen. Sie wünscht sich eine größere Bereitschaft türkischer Mitmenschen, Gespräche zum Thema Pflege zu führen.Darüber würde sich auch Andrea Kronenthaler freuen. Sie leitet am Institut für Allgemeinmedizin der Uni Tübingen eine Studie, die erforschen will, wie sich türkischstämmige Bürger ihre Pflege im Alter vorstellen und was sie von Angehörigen, Hausärzten, Pflegediensten und Pflegeinstitutionen erwarten. Ziel ist es, eine Zugangsgerechtigkeit zu Hilfsangeboten zu schaffen. »Da gibt es gesellschaftlichen Handlungsbedarf«, erklärt Kronenthaler. Ärzte, aber auch Pfleger und die Politik, sollen für den Umgang mit der Zielgruppe sensibilisiert werden.
Auch der Arbeitskreis Miteinander will helfen, Fragen zur Pflege zu klären. Im Februar und März sind insgesamt drei Kurse für Frauen geplant, in denen das Krankheitsbild Demenz, Unterstützungsmöglichkeiten und der Umgang mit Hilfsgeräten erklärt wird. Infos dazu gibt es bei der IAV, die ihr Büro in der Pausa, Löwensteinplatz 1, hat. (GEA)
0 74 73/41 41
iav-moessingen@gmx.de
HILFSANGEBOTE
Die Informations-, Anlauf- und Vermittlungsstelle (IAV) berät ältere hilfe- und pflegebedürftige Menschen und deren Angehörige jeder Nationalität. Ebenso hilft die Geronto-Psychiatrische Beratungsstelle (0 74 73/91 08 24) Menschen, die an einer Demenz erkrankt sind oder im Alter mit seelischen Schwierigkeiten zu kämpfen haben. Beide Angebote sind kostenlos und unterliegen der Schweigepflicht. Auch Hausbesuche werden angeboten. (hai)
MEINUNG GEFRAGT
Für die Studie "CarEMi" am Institut für Allgemeinmedizin der Uni Tübingen werden türkischstämmige Personen zwischen 30 und 99 Jahren aus den Landkreisen Tübingen und Reutlingen gesucht, die in einem etwa einstündigem Gespräch –
auf Wunsch in Türkisch –
von ihren Vorstellungen zur Pflege im Alter berichten. (hai)
0 70 71/8 52 15
silke.orlikowsky-rein@uni-tuebingen.de

