TÜBINGEN. Die Verhandlungen um die »Münze 13« gestalten sich zäh: Das Studierendenwerk als Eigentümer des Wohnheims in der Münzgasse 13 besteht auf einen Kaufpreis von mindestens 300.000 Euro. Das sei laut Gutachten der Verkehrswert des Gebäudes. So viel sind die Bewohner, die das Haus seit Jahren gerne kaufen würden, aber nicht bereit zu zahlen. Zumal ein vom Land in Auftrag gegebenes »Mängelbeseitigungs-Gutachten« für die »Münze 13« Kosten in Höhe von 2,1 bis 2,6 Millionen Euro ermittelt hat.
»Wir wären bereit, über die Sanierungskosten hinaus einen symbolischen Kaufpreis zu leisten«, sagt Lena, eine der Sprecherinnen der Bewohner. Darauf wollte sich die Gegenseite aber nicht einlassen: Erst vor Kurzem ist wieder ein von Baubürgermeister Cord Soehlke moderiertes Gespräch mit den Beteiligten erneut ohne Ergebnis beendet worden. Im April will man sich noch einmal zusammensetzen.
Das geschichtsträchtige und reich mit Graffiti verzierte Gebäude neben der Stiftskirche gehört zwar dem Studentenwerk Tübingen-Hohenheim, wird aber seit vielen Jahren von den Bewohnern selbst verwaltet und sollte dringend saniert werden. Der rechtliche Rahmen für den Kauf und die Verhandlungen wurden mit einer GmbH und der Vereinsgründung ermöglicht. In diversen Arbeitskreisen und der Hausversammlung läuft die Arbeit am Finanzierungs- und Sanierungsmodell auch schon auf Hochtouren.
»Die Sanierung in bewohntem Zustand wird eine Herausforderung werden «
Das Land ist Eigentümerin des Grundstücks und einverstanden, dass die Bewohner es in Erbpacht übernehmen, damit es im Besitz des Landes bleibt. Die stadtbildprägende Immobilie müsse außerdem angemessen gepflegt und sozialen Zwecken dienen. Das ist auch im Interesse der derzeit 22 Bewohner, von denen etwa die Hälfte Studenten sind.
Schließlich gehe es nicht nur darum, Raum zum Wohnen und günstige Mieten in Tübingen zu erhalten, sondern auch um den ideellen und kulturellen Wert des Wohnprojekts mit Angeboten von kostenlosen Konzerten und der Foodsharing-Station über die für alle offene Hausbar der »Blaue Salon« bis zu Vorträgen und Flohmärkten, betonen die Bewohner. Der ältester Mieter ist der 86-jährige James Hope, der seit der Besetzung des Hauses 1977 dabei ist. Im Januar erst ist ein Promotionsstudent eingezogen. Der Altersschnitt liegt insgesamt bei 30 Jahren.
Die Substanz des denkmalgeschützten Gebäudes ist mittlerweile ziemlich heruntergekommen, vor allem die Bäder müssten dringend gemacht werden, sagt Anja. Zumal in den vergangenen 20 Jahren nichts mehr gemacht wurde, nachdem die Heizung im Jahr 2000 von Öl auf Gas umgestellt wurde. »Die Sanierung in bewohntem Zustand wird eine Herausforderung werden.«
GESCHICHTE DES WOHNHEIMS IN DER MÜNZGASSE
Ehemalige Besetzer wollen Eigentümer werden
Das Grundstück Münzgasse 13 wurde dem Studierendenwerk Tübingen-Hohenheim im Zuge eines Erbbaurechts durch das Land Baden-Württemberg überlassen, um günstigen Wohnraum zur Verfügung zu stellen und ist zu diesem Zweck an das Studentenwerk vermietet. Das Gebäude wird mit zwischenzeitlicher Unterbrechung seit über 300 Jahren als Studentenwohnheim betrieben. Seit 1683 logierten dort Stipendiaten des »Martinianum«. Bis 1923 unterhielt die Stiftung das Wohnheim. Dann wurde es vom Studentenwerk übernommen, bis die Nazis in dem Haus eine Polizei- und Gestapo-Dienststelle einrichteten. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde es bis 1967 weiter von der Polizei genutzt, bis diese in einen Neubau umzog. Der Streit darüber, wie es mit dem Haus weitergeht, führte 1977 zu seiner Besetzung. Seit 2016 bemüht sich der mittlerweile gegründete Hausverein »Münze 13«, aus dem selbstverwalteten Wohnheim ein eigenständiges Projekt zu machen und das Haus zu kaufen. Mit dem Beitritt zum Mietshäuser-Syndikat hat der Verein nun eine bundesweite Institution hinter sich. Er braucht aber vor allem Geld, um das Haus zu kaufen. Infos zu den Direktkrediten gibt es auf der Homepage. (GEA) www.muenzgasse13.de
Den Sanierungsplan hat eine Architektin mit den Bewohnern ausgearbeitet. Das Haus soll stockwerkweise auf Vordermann gebracht werden, das heißt die Bewohner der entsprechenden Etage mit Einzelzimmer, Küche und Bad müssen sich für rund drei Monate, die für die Renovierung je Stockwerk anberaumt sind, eine andere Unterkunft suchen. Der Sanierungsfahrplan in Absprache mit dem Denkmalamt sieht einen Start im Januar 2024 und eine Dauer der Arbeiten von einem Jahr vor.
Die Kosten für die Sanierung liegen laut ersten Schätzungen bei 2,2 Millionen Euro. Um einen günstigen Kredit bei der Bank für die Umsetzung zu bekommen, benötigen die Bewohner ein Eigenkapital in Höhe von einer Millionen Euro. Das soll über Direktkredite zusammengetragen werden. 334 000 Euro sind bisher schon auf dem Konto eingegangen. »Wir brauchen aber noch viele, die bereit sind, uns zu unterstützen«, betont Anja. Man rechne aber auch mit Fördermitteln vom Land für die energetische und denkmalgeschützte Sanierung.
»Das Land begrüßt es, dass die Bewohner das Gebäude übernehmen wollen«
Anliegen der Bewohner ist es, mit dem Kauf den Wohn- und Kulturraum in der Münzgasse zu erhalten. Unterstützung erfahren sie vom Mietshäuser Syndikat, in dem selbst organisierte Hausprojekte zusammengeschlossen sind, und dem auch die »Münze 13« beigetreten ist. Das Syndikat will unter anderem dafür sorgen, dass Wohnraum zu erschwinglichen Mieten zu haben ist.
»Wir können bestätigen, dass das Studierendenwerk den Bewohnern der Münzgasse 13 ein Kaufangebot unterbreitet hat«, erklärt Philipp Mang:, Pressesprecher beim Studierendenwerk Tübingen-Hohenheim. »Dieses Angebot ist bislang nicht angenommen worden. So weit der Sachstand.«
WIRKUNGEN UND ZIELE GEMEINSCHAFTLICHEN WOHNENS
»Wohnprojekte und ihre Bedeutung für die Stadtgesellschaft«
Unter dem Titel »Wohnprojekte und ihre Bedeutung für die Stadtgesellschaft« steht ein Vortrag mit anschließender Diskussion im Tanzsaal des Instituts für Erziehungswissenschaft (Alte Aula), Münzgasse 30 am Montag, 24. April, um 18.15 Uhr. In Tübingen wohnen einige Tausend Menschen in gemeinschaftlichen Strukturen von Baugruppen bis Wohnprojekten. Das ist angesichts der Stadtgröße eine beachtliche Zahl. Möglich ist das vor allem durch bürgerliches Engagement und die strukturelle Unterstützung durch die lokale Politik und Verwaltung. Dass Wohnprojekte eine von vielen Möglichkeiten sind, bezahlbaren Wohnraum zu schaffen und zu sichern, ist in Tübingen gut bekannt. Welche Wirkungen und Ziele gibt es aber darüber hinaus? Wie prägen Wohnprojekte ihre Nachbarschaft und die Stadtgesellschaft? Wie verändern sich hausinterne Gruppenprozesse im Lauf der Jahrzehnte? Dazu gibt es eine Einführung aus stadt- und raumsoziologischer Perspektive und eine Vorstellung des Mietshäuser Syndikats, das bundesweit eine der zentralen Organisationsformen für Wohnprojekte darstellt. Als Praxisbeispiel werden Erfahrungen aus dem Wohnprojekt Münze 13 diskutiert. (a)
Verhandelt wird auch noch über die Höhe des Erbbauzins’ und die Laufzeit der Erbpacht. Die Bewohner würden auch da gerne möglichst wenig zahlen und die Laufzeit nicht auf 30 Jahre begrenzen, sondern 50 oder 60 Jahre festschreiben. Damit sich die Investition auch lohnt und die Bank ihnen überhaupt einen Kredit für die Sanierung gibt, heißt es.
»Respekt, dass junge Menschen das stemmen und die Verantwortung für ein solches Projekt übernehmen wollen«, äußert Tübingens Baubürgermeister Cord Soehlke. »Wir brauchen die jungen Leute.« Seit eineinhalb Jahren laufen die Verhandlungen bereits, und es habe sich seither schon etwas bewegt. Von sehr kompliziert ganz am Anfang habe man sich mittlerweile wenigstens auf eine Richtung geeinigt. Wichtig ist ihm, dass es eine spekulationsfreie Lösung gibt. »Das ist auf Dauer wichtig für Tübingen.«
»Das Land begrüßt es, dass die Bewohner der ›Münze 13‹ das Gebäude übernehmen wollen«, sagt Renate Nemrawa vom Amt für Vermögen und Bau Bade-Württemberg in Tübingen. »Voraussetzung für die rechtlich notwendige Zustimmung des Landes dazu ist, dass die Bewohner ein tragfähiges Sanierungs- und Finanzierungskonzept vorlegen. Die Gespräche sind auf einem guten Weg.« (GEA)