MÖSSINGEN-BELSEN. An jenem Donnerstagabend des 16. November 1911 schien die Welt unterzugehen: Gegen 22.25 Uhr erschütterte mit einer Stärke von 6,1 das heftigste in Deutschland je gemessene Erdbeben mit Epizentrum in Albstadt die Region. Bis nach Berlin und Bremen waren die Erschütterungen zu spüren. Menschen rannten in Panik aus ihren Häusern. Auch in Belsen taumelten die Gäste der Wirtschaft »Sonne« auf die Straße. Lediglich der Zimmermann Geiger blieb am Stammtisch sitzen. Als sich der Schreck gelegt hatte und Tausende von massiven Bauwerke in der Region beschädigt oder zerstört waren, stellte man Gauger zur Rede, warum er in aller Welt in der Gaststube geblieben war. »Ach, des isch doch ein Fachwerkhaus. Des fällt ed so oifach z’amme«, soll er gesagt und dabei Recht behalten haben.
»D'Flecka no ond naus«
Anekdoten wie diese gab es bei einem kurzweiligen Rundgang durch Belsen – »D’Flecka na ond naus« – von zwei Männern, die im Dorf aufgewachsen sind und sich für dessen Geschichte interessieren: Der Kirchengemeinderat Matthias Schlegel und der Diakon Berthold Rath. Ihr zusammengetragenes Wissen teilten sie mit fast hundert Mitläufern, die ihnen unter dem Motto »Z’Belsa eikehra« folgten. Los gings am Gemeindehaus. Ein Neubau von 1995, der den gegenüberliegenden Betsaal von 1880 ersetzte. Initiiert war dieser vom Gemeinschaftspfleger Gottlieb Schwarz worden, weil es an einem Versammlungsraum fehlte. Vordergründig für kirchliche Zwecke, wo aber zwangsläufig auch »Töpfe ihre Deckele« gefunden haben. Wie in den nach Geschlechtern getrennten Lichtstuben und Quartieren, die, so wusste Rath zu berichten, bis in die 1930er Jahre von den Heranwachsenden zur Winterzeit besucht wurden. Und, zumindest anfangs, unter strenger Aufsicht des Kirchenkonvents standen.
Gasthaus Rose heute Seniorenheim
Schwarz, der große Sohn der Gemeinde, hob bis zu seiner Berufung als Missionar in Borneo noch weitere »Kontaktbörsen« aus der Taufe: Kirchenchor, Jungfrauenverein, CVJM und den Posaunenchor – der nächstes Jahr 100sten Geburtstag feiert.
Belsens kurzlebigste Gaststätte war die 1866 errichtete »Rose«. Nach dem Tod des letzten Wirts Johann Martin Nill 1942 wurde das Gasthaus geschlossen, im Mai 1972 abgerissen und die Uhrenfabrik Kübler erbaut. Nach der Betriebsaufgabe errichtete die Familie hier das Seniorenheim »Haus Rose« – »Eine schöne Reminiszenz an die Wirtschaft«, freut sich Schlegel, in der der Leiter der benachbarten Oberdorfschule in den 1910er Jahren »gern einen über den Durst getrunken hat«, wohl um seinem Kummer über die verschmähte Liebe »des Rosenwirts Riekele« hinwegzukommen.
Älteste Gaststätte unbekannt
Welches Gasthaus das älteste von Belsen ist, harrt noch einer Klärung. »Da ist längst noch nicht alles erforscht worden«, so Schlegel. Vielleicht die »Sonne«? Michael Streib ist 1727 als erster bekannter Wirt genannt. Ihre längliche Ausrichtung an die Brühlstraße weist auf ein hohes Alter. Denn die heutige Sackgasse hatte eine Fortsetzung als überregionale zollerische Hauptstraße, mit denen die Hechinger Grafen ihre Besitzungen bis Öschingen erschlossen haben. Das ist ewig her. Die Erinnerungen der Rundgänger reichten nur bis zu August Röcker, der die Gaststätte von 1927 bis zu seinem Tod 1961 betrieb. Dem folgte Hugo Rinkenburger und Familie Hugo Staiger.
Die »Krone« im Herzen des Altdorfes ist auch ein Alterskandidat. Erst 1759 genannt, stand sie an der Südseite der unteren Barbelsenstraße. Ein großer Keller zeugt davon. Die Häusergruppierung heißt »Ringeltanz«, was wohl ein Hinweis für ein »Amüsierviertel« ist. Zuletzt wir 1807 der Metzger und Wirt Conrad Rath dort erwähnt.
Weithin bekanntes Tanzlokal
Zum »Schandfleck« hat sich der einst stolze »Adler« entwickelt, er wird seit den frühen 1990ern nicht mehr betrieben. Ob sein Name vom Attribut des Evangelisten Johannes abgeleitet wurde, wie Rath vermutet, weiß man nicht. Vermutlich bereits 1681 wurde es als Gasthaus erbaut, mit eigenem Brunnen im Keller, 1965 von Anton Mayer mit Kegelbahn modernisiert avancierte es zum beliebten Speiselokal mit Versammlungsstätte.

Am Ende der Wirtshausrunde folgt das »Café Kautt« alias »Grotte« und Bahnhofswirtschaft. Hervorgegangen aus einer Kantine für die vorwiegend südländischen Gastarbeiter beim Bau der Bahnlinie um 1868. Die goldene Zeit waren die 1950/60er Jahre, als das Tanzlokal mit Galerie und romantischen Sitznischen zum beliebten Treffpunkt der Region wurde, 1983 wurde die letzte Single aufgelegt. Seit 2002 weitestgehend in griechischer Hand respektive Küche, ist der »Bahnhof« heute Belsens größte Gastronomie mit 115 Sitzplätzen. (GEA)