TÜBINGEN/BODELSHAUSEN. Vorbereitung. Jörg Kautt, Kreisobmann im Kreisbauernverband Tübingen, ist es wichtig, nicht zu provozieren. »Wir wollen nicht nur blockieren, sondern unsere Anliegen darlegen.« Am Mittwochmorgen ist der Landwirt aus Immenhausen ein viel gefragter Mann. Der große Schlepperkorso steht kurz bevor. Die Anspannung beim Telefonat am Morgen ist zu spüren. Am frühen Nachmittag geht es los. Kautt will rechtzeitig am Festplatz eintreffen. Schließlich müssen die Traktoren in Reih und Glied gebracht werden. Insgesamt 500 Flugblätter mit Verhaltensregeln werden verteilt. Niemand soll sagen können, er habe von nichts gewusst. »Wir müssen gegenseitig aufpassen«, sagt Kautt. »Wir sind Demokraten, wir sind Europäer.« Auf beides ist der Kreisobmann aus Immenhausen stolz.
Auf dem Weg zum Festplatz. Der 200 PS starke Schlepper, mit dem Kautt zum Tübinger Festplatz fährt, ist acht Jahre alt. Das 200 PS starke Gefährt hat 90.000 Euro gekostet. Damit ist der Landwirt zu achtzig Prozent auf Wiese und Acker unterwegs. Und da ist der Kreisobmann auch schon mitten im Thema: Als Landwirt müsse man Rücklagen bilden, um Wirtschaften zu können. »Wir brauchen ein finanzielles Polster.« Und dass die Bauern die Mineralölsteuer zurückerstattet bekommen, ist für ihn nur folgerichtig. Schließlich nutze er mit seinem Schlepper nur selten die Straßen. Während er das erzählt, tuckert der Schlepper am Tübinger Tierheim vorbei. Drei Rehe springen über die Straße. Genau das ist es, was dem Landwirt an seinem Beruf gefällt: das Leben mit der Natur und den Jahreszeiten. Bauer zu sein ist weniger ein Beruf als eine Lebensweise.
Angekommen. Kautt ist als Erster am Start. Kein Wunder, muss er doch als verantwortlicher Leiter der Versammlung auf die Einhaltung der Regeln achten. Und das sind eine ganze Menge. Platz für extreme Ansichten soll es jedenfalls keine geben an diesem Tag. Deshalb ist alles untersagt, was in eine derartige Richtung weisen würde. Eine Passantin fragt, wann es losgeht. Angst vor dem Stau hat sie nicht. »Ich fahre euch auch gern hinterher, weil ich eure Sache gut finde.« Von viel Zustimmung im Vorfeld hat Kautt schon unterwegs auf dem Schlepper berichtet. Das scheint sich auch hier zu bewahrheiten. Schaulustige, die zur großen Abfahrt bereitstehen wollen, sehen dem Ganzen mit Wohlwollen entgegen. Nach und nach treffen die Traktoren ein. Erst langsam, dann werden es immer mehr. Am Ende steht ein großer Teil des Festplatzes mit Fahrzeugen voll. Alle wohlgeordnet und startklar für das Fahren in der Kolonne.
Die Stimmung am Start. Die Stimmung ist gut. Im Gespräch werden die Landwirte aber deutlich. Die jüngsten angekündigten Kürzungen sind für viele nur der letzte Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat. Die Bauern fühlen sich auf allen Ebenen gegängelt. »Es hat sich eine ganze Menge angestaut«, sagt Gerd Klett. Der Nehrener Landwirt beklagt die überbordende Bürokratie und Überwachung seines Berufsstandes. »Wir wissen alle, was wir tun«, sagt er. Umso mehr ärgert er sich über Entscheidungen, die »über Nacht getroffen werden.« Ungehört und nicht wertgeschätzt fühlen sich hier viele. Dabei wirtschafte der Landwirt in vielfacher Hinsicht für die Region, sagt Thomas Schäfer aus Bodelshausen. »Wir tragen kein Geld nach Mallorca. Wir haben kein Konto in Lichtenstein. Jeder Cent bleibt in der Region.« Umbruchsgedanken habe dagegen keiner: »Außer beim Ackern«, wirft ein Landwirt schmunzelnd ein.
Letzte Generation. Vor dem Start hat sich schnell herumgesprochen, dass die Letzte Generation eine Aktion in der Tübinger Innenstadt zum Bauernprotest plant. Die Landwirte lassen es erst gar nicht auf eine Konfrontation ankommen, sondern biegen am Lustnauer Tor nicht wie geplant auf die Mühlstraße, sondern laut hupend auf die Wilhelmstraße ein. Währenddessen hat sich eine Handvoll protestierender Klimaschützer auf der Neckarbrücke eingefunden. Sie hatten gar nicht vor, die Schlepperfahrt massiv zu stören. Allerdings fragen sie sich, weshalb sie kriminalisiert werden, während das den Bauern nicht droht. »Es gibt keine Hausdurchsuchungen bei Ruckwied«, sagt Percy Collas Joo. Der Protest ist zurückhaltend. Immer dann, wenn die Fußgängerampel grün ist, beziehen sie Stellung auf einigen Fußgängerüberwegen und weisen auf ihr Anliegen hin. Auf den Bauernkorso treffen sie dabei nicht. Keine besonderen Vorkommnisse meldet die Polizei sowohl beim Bauernkorso, als auch bei der Protestaktion.
Volksfest. Nach der Schlepperfahrt kommen die Landwirte in Bodelshausen an der B 27 an. Beim Mahnfeuer werden sie schon von einer ganzen Reihe Menschen erwartet. Weit über tausend Menschen sind zusammengekommen. Es herrscht Volksfest-Stimmung. Mit dem Feuer wolle man »etwas Licht in die Dunkelheit der Politik bringen«, sagt Kautt in seiner Rede. Die Landwirtschaft habe ihre Klimaziele übererfüllt. Die Dieselsteuer werde erhöht, eine Kerosinsteuer dagegen abgelehnt. Das sei »ein Schlag ins Gesicht von jedem Bürger, der mit Diesel seine Arbeit verrichtet.« (GEA)