Am Sternplatz steht Bruno Schuh vom Ordnungsamt und wird von Passanten gelöchert. Er nimmt es mit Humor. »In Köln haben sie die Evakuierung ja auch geschafft, dann werden wir sie auch hinbekommen.« Die Südstadtbewohner nehmen es gelassen. »Ich brauche heute nicht mehr zu arbeiten«, verkündet froh gelaunt eine Frau am Handy. Manche wundern sich sogar trotz des Lautsprecherwagens, was da für ein Gewese gemacht wird, und warum genau da die Grenze verläuft, wo man selbst gerade noch Betroffener ist. Was einen Mitarbeiter vom Ordnungsamt philosophisch werden lässt. »Irgendwo muss man ja die Grenze ziehen.«
»In Köln haben sie die Evakuierung ja auch geschafft«Für die Evakuierten stellt die Stadt ein Ausweichquartier in der Mensa Uhlandstraße zur Verfügung. Empfangen werden die Menschen von Mitarbeitern des DRK. Dieser Dienstag ist ein langer Tag für die Helfer. Gruppenführer Mike Dornberger vom DRK Mössingen/Ofterdingen nimmt’s gelassen. »Dafür haben wir ja oft geübt. Jetzt können wir’s auch mal anwenden.« »Und bisher gehen unsere Pläne auf«, fügt Friederike Schäberle vom Kreisauskunftsbüro hinzu. 110 Helfer – praktisch der gesamte Kreis Tübingen – wurden alarmiert, die Gruppe aus Kirchentellinsfurt und Kusterdingen war bei den Ersten, die um 11.30 Uhr eintrafen. Die Einsatzleitung richtete sich bei der Horn-Arena ein.
Am Nachmittag beginnen die Helfer in der Uhlandstraße mit der Versorgung der Evakuierten, verteilen Äpfel, Melonen-Schnitze, Saft, Kaffee und Tee. Jeder Ankömmling wird mit Namen registriert – »das ist wichtig, um jederzeit den Überblick zu haben«.
Der Andrang in der Uhlandstraße ist eher mäßig. Eine Wohngruppe vom Freundeskreis Mensch in der Christophstraße trifft früh ein, danach folgen Einzelne, die dem Aufruf der Stadtverwaltung Folge leisten. Einige nehmen den Fahrdienst des DRK in Anspruch. Insgesamt kommen 112 Menschen in die Mensa in der Uhlandstraße.
Auch auf dem Neckar herrscht Flaute. Ein Polizeiboot kontrolliert, dass kein Stocherkahn sich der Sicherheitszone näherte. Wer stochern will, kann, dies nur von der Neckarbrücke stromaufwärts tun. Stocherer Sakis Liberidis gehört zu denen, die von Absagen betroffen sind. Er hätte eine Gruppe mit jungen Frauen aus Reutlingen mitnehmen sollen, doch denen war die Sache nicht geheuer. Liberidis nutzt den Abend, lädt spontan Freunde ein und wartet, bis Entwarnung gegeben wird, um seinen Kahn wieder an der Anlegestelle in der Bismarckstraße festzumachen.
»Der Kopfzünder hat viel Schweiß und Mühe gekostet«Die Evakuierung läuft dann doch viel schneller als geplant. Um 19.40 Uhr haben die Polizisten ihre Arbeit abgeschlossen. Rund zwei Stunden haben sie dafür gebraucht. Um 19.45 Uhr ist die Sicherheitszone geräumt. An der Blauen Brücke stehen zwei Polizisten und halten den Verkehr auf. Das Leben an der verkehrsreichen Tübinger Kreuzung steht still. Die B 28 ist ab 19.30 Uhr gesperrt. Der Rückstau von fünf Kilometern hält sich in aber in Grenzen. Die Polizei hatte schon den gesamten Nachmittag im Radio Autofahrer aufgefordert, das Gebiet großräumig zu umfahren. Dann klingelt bei einem Beamten das Handy. Wartende blicken hoffnungsvoll auf. Der Polizist redet kurz, nickt, und sein Kollege tritt das Absperrband nach unten. Es ist 20.22 Uhr. Die Bombe ist entschärft.
Leippert steht völlig verschwitzt vor dem kleinen Zelt auf dem Güterbahnhofsgelände. Die Arbeit ist getan, die Zünder sind draußen. 30 bis 35 Bomben hat er in seinem Berufsleben schon entschärft. Routine wird es trotzdem nicht. Eine knappe halbe Stunde hat das Ganze in Tübingen gedauert. Es hat ihn »viel Schweiß und Mühe gekostet«. Der Heckzünder war kein Problem, der Kopfzünder allerdings hatte vom Absturz einen Schlag abbekommen. Das erschwerte die Arbeit des Feuerwerkers.
Mit einem Bagger wird die Bombe verladen. Ordnungsamtsleiter Rainer Kaltenmark nimmt es erleichtert zur Kenntnis. Wäre die Bombe gezündet worden, dann hätte er in einem Umkreis von 500 Metern evakuieren müssen. Splitter hätten in die angrenzenden Wohngebiete fliegen, Fensterscheiben zu Bruch gehen können. Bis vier Kilometer seien Splitter schon geflogen, sagt Leippert. Wäre die Bombe im Krieg gezündet worden, hätte sie einen vier Meter tiefen Krater von rund acht Meter Durchmesser hinterlassen. Jetzt wandert sie nach Stuttgart ins Depot und wird anschließend zersägt. (GEA)