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Aktuell Geschichte

Über Rote Kultur auf dem Land - Mössingens Aufstand gegen die Nazis

»Linke im Steinlachtal« informierte über die Hintergründe des Generalstreiks in Mössingen vor 90 Jahren. Der Widerstand gegen die Nazis und Hitler war in Mössingen ganz stark.

Links und rechts eine rote Fahne: Claudia Jochen zeigt die Insignien der Arbeiterbewegung. Im Hintergrund Ursel Reutter und Jürg
Links und rechts eine rote Fahne: Claudia Jochen zeigt die Insignien der Arbeiterbewegung. Im Hintergrund Ursel Reutter und Jürgen Jonas. FOTO: EBER
Links und rechts eine rote Fahne: Claudia Jochen zeigt die Insignien der Arbeiterbewegung. Im Hintergrund Ursel Reutter und Jürgen Jonas. FOTO: EBER

MÖSSINGEN. Jakob Textor war ein mutiger Mann. Im Reichstagswahlkampf 1932 hisste er in einer nächtlichen Aktion die rote Fahne auf dem Pausa-Schornstein, im Jahr darauf fertigte der gelernte Maler das bekannte Banner zum Widerstand gegen Hitler: »Heraus zum Massenstreik!« Nicht nur ihm widmete die »Linke im Steinlachtal (LiST)« ein Abendprogramm über die »Rote Kultur auf dem Land«.

Nur wenige Stühle waren im Saal in der Mössinger Tonnenhalle leer geblieben. Das Thema 90 Jahre Generalstreik lockte offenbar. Aber wie war es dazu gekommen, fragten die Veranstalter, ausgerechnet im Dorf Mössingen? Mit Liedern, Bildern und Texten beleuchteten Claudia Jochen, Jürgen Jonas und Martin Kallenberg die Geschichte der Arbeiterbewegung im Steinlachtal. Teils in historischer Arbeiter- und Bauernkleidung standen sie mit Gerhard Futter und Ursel Reutter auf der Bühne, begleitet von Julian Jochen-Warth am Tasteninstrument und Moderatorin Sabine Lehmkühler.

Einige Zeitgenossen Textors waren der Meinung, auf den Kirchturm hätte die rote Fahne gehört. Die Kirche hatte so ihre Probleme mit der kommunistischen Bewegung, nicht erst, als der Hechinger Armenarzt Friedrich Wolf im Ort vor den Genossen offen über Familienplanung und Empfängnisverhütung sprach. Deutlich wurden durch die lebendigen, szenischen Darstellungen, wie verwurzelt die linke Kultur im dörflichen Alltag war.

Linke Arbeiter und Bauern gründeten eigene Sportvereine (Jakob Textor nahm sogar 1925 an der Arbeiterolympiade in Frankfurt teil), organisierten einen Konsumverein mit zeitweilig 1 000 Mitgliedern für die Versorgung mit Lebensmitteln und besuchten »ihre« Wirtshäuser. Dort politisierten sie, war zu erfahren, beim Bier, etwa in der »Silberburg«. Das Lokal lag etwas außerhalb, wo heute das Freibad ist.

Die einzelnen, sehr kurzweiligen Kapitel des Programms wurden stets mit einem Lied aus der Arbeiterbewegung abgeschlossen. Das Lied von der Einheitsfront (»Es macht uns kein Geschwätz nicht satt«) und das Lied von der Solidarität mögen wohl auch in der Langgassturnhalle seinerzeit erschallt sein. Sie war 1925, so informierten die Akteure auf der Bühne, in Eigenregie der linken Arbeiterschaft gebaut worden.

Sport und Bildung fanden dort eine Heimstatt, eine Bühne diente für Konzerte. Dort formierte sich auch 1933 der Protestzug der streikenden Arbeiter gegen die Machtübernahme Hitlers. War die Gesangsbeteiligung im Publikum anfangs noch zögerlich – die Texte der Lieder wurden an die Wand projiziert –, wuchs sie durch die mitreißenden Darbietungen an und gipfelte schließlich in der schmetternd vorgetragenen »Internationalen«, inklusive gereckter Faust.

Die »Linke im Steinlachtal« hatte es geschafft, historischen Personen ein Gesicht zu geben und das Publikum mitzunehmen auf einen Rundgang durch einen wesentlichen Teil der Mössinger Ortsgeschichte. Ihre Forderungen aktuell: Eine Straße soll nach Jakob Textor benannt werden. Und es solle wissenschaftlich untersucht werden, inwieweit Nationalsozialisten und Kirchenleute aus dem Ort an der Deportation von Menschen in die Tötungsanstalt nach Grafeneck beteiligt gewesen sind. (rab)