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Aktuell Versorgung

Was macht das Gesundheitsamt, wenn keine Pandemie ist?

Covid, Fallzahlen, Tests - das Gesundheitsamt ist vielen Menschen erst während der Corona-Jahre so richtig ins Bewusstsein gerückt. Doch was macht die Behörde eigentlich, wenn kein pandemischer Ausnahmezustand herrscht? Sehr viel, weiß Anna-Lena Koneffke. Sie ist die erste Medizinstudentin in Baden-Württemberg, die während ihres Praktischen Jahres beim Gesundheitsamt mitarbeitet.

Das Gesundheitsamt bietet viele Beratungsangebote an, kontrolliert öffentliche Betriebe und kümmert sich um die Einschulungsunte
Das Gesundheitsamt bietet viele Beratungsangebote an, kontrolliert öffentliche Betriebe und kümmert sich um die Einschulungsuntersuchungen. Foto: Marijan Murat/dpa
Das Gesundheitsamt bietet viele Beratungsangebote an, kontrolliert öffentliche Betriebe und kümmert sich um die Einschulungsuntersuchungen.
Foto: Marijan Murat/dpa

KREIS TÜBINGEN. »Für die PJler ist das hier wie ein Gemischtwarenladen«, erklärt Birgit Walter-Frank und lacht. Die Leiterin der Abteilung Gesundheit des Landkreises Tübingen - das ist die korrekte Bezeichnung für das Gesundheitsamt - betreut mit ihrem Team ein landesweites Unikat: Anna-Lena Koneffke ist die erste Medizinstudentin in Baden-Württemberg, die einen Teil ihres Praktischen Jahres - umgangssprachlich »PJ« genannt - beim Gesundheitsamt absolviert. »Die Arbeit macht Spaß, denn sie ist vielfältig«, sagt die angehende Ärztin. Vom Infektionsschutz über vorschulische Untersuchungen, gesundheitliche Aufklärung und Trinkwasserüberwachung arbeitet Koneffke seit November in den vielfältigen Bereichen des »Gemischtwarenladens« mit, um die sich das Gesundheitsamt tagtäglich kümmert. »Für mich war das eine Reise ins Ungewisse«, gibt Koneffke zu. Denn: »Der öffentliche Gesundheitsdienst spielt im Studium kaum eine Rolle.«

Neues Wahlfach

Das soll sich in Zukunft ändern. Das PJ, das nach den zahlreichen Semestern der Theorie die Mediziner auf die praktische Arbeit am Patienten vorbereiten soll, ist in drei Bereiche aufgeteilt: Innere Medizin, Chirurgie und ein Wahlfach. Viele Studierende entscheiden sich dabei schon für ihr späteres Fachgebiet - wie etwa Augen- oder Frauenheilkunde. Ab kommendem Mai gibt es nun offiziell die Möglichkeit, die Wahlstation im Öffentlichen Gesundheitsdienst (ÖGD) zu belegen. Einen Facharzt können Mediziner zwar schon länger in diesem Bereich machen - aber erst, nachdem sie viel Erfahrung in Kliniken und Praxen gesammelt haben.

Für Koneffke war der Weg in den ÖGD ein wenig holpriger als er für ihre künftigen Nachfolger sein wird. Über einen Artikel im Ärzteblatt hat die angehende Ärztin von dem Projekt erfahren und sich darauf beworben, als noch gar nicht klar war, ob es überhaupt umgesetzt wird. Schließlich kamen Universität und Behörde auf sie zu. »Man muss bereit sein, über den Tellerrand hinauszuschauen«, erklärt die Studentin. Weg von der Behandlung des Individuums, wie im Studium gelernt und praktiziert, hin zu einem kollektiven Arbeitsansatz. »Man tut hier was für die Gesamtbevölkerung.«

Breites Beratungsangebot

Denn grundsätzlich beschäftigt sich das Gesundheitsamt mit allen Bereichen, die gesundheitlich und hygienisch für die Menschen relevant sind. Neben dem Infektionsschutz und der Verfolgung meldepflichtiger Krankheiten sind das Beratungsangebote für Schwangere oder Prostituierte, die Überprüfung und Beratung gesundheitsrelevanter Einrichtungen wie Pflegeheime und Tattoo-Studios oder die Überwachung von Badegewässern.

»Eine Hauptaufgabe ist aber die Einschulungsuntersuchung«, weiß Leiterin Walter-Frank. In Baden-Württemberg - und das ist deutschlandweit einzigartig - werden jährlich rund 2.300 Kinder bereits anderthalb Jahre vor ihrem Einschulungstermin untersucht. Speziell ausgebildete sozialmedizinische Assistentinnen - in Tübingen ausnahmslos Frauen und hauptberufliche Kinderkrankenschwestern - überprüfen, ob die Kinder gut sehen und hören können, ob es mit der Fein- und Grobmotorik klappt und wie gut sie die Sprache beherrschen. Sollte es an einer Stelle hapern, sei so noch genug Zeit, die Kinder entsprechend zu fördern, wie Walter-Frank erläutert. Zusätzlich werden die Familien durch einen Amtsarzt beraten.

Über- und Untergewicht nimmt zu

Auch Impfungen können durch die Untersuchung direkt überprüft werden, besonders gegen die hochansteckenden Masern. Die Schutzimpfung ist seit 2020 für Kita- und Schulkinder verpflichtend. »Eine kranke Person kann 15 gesunde Menschen anstecken. Bei Corona sind es zwei bis drei Personen«, erklärt die Leiterin des Gesundheitsamts. Und stellt klar: »Es herrscht aber kein Impfzwang.« Eltern, die sich wiederholt weigern, ihre Kinder gegen die gefährliche Krankheit zu impfen, müssen allerdings mit Bußgeldern rechnen.

Durch die breit angelegten Untersuchungen ist es dem Gesundheitsamt auch möglich, potenziell gefährliche Entwicklungen frühzeitig zu erkennen. Zum »Tag des Gesundheitsamts« hat die Abteilung einen Bericht zum Thema Kindergesundheit erstellt - im Vergleich zwischen den Vor- und Nach-Pandemie-Jahren. »Die Extreme nehmen zu«, sagt Walter-Frank mit Blick auf das Unter- und Übergewicht bei Kindern zwischen vier und sechs Jahren. So hat der Anteil von Untergewicht - gemessen am Body-Mass-Index (BMI) und im Jahresvergleich von 2020 und 2023 - um rund die Hälfte von 4,9 auf 7,5 Prozent zugenommen. Bei Übergewicht stieg der Anteil um ein Drittel - von 2,4 auf 3,1 Prozent. Gleichzeitig zeigt der Bericht aber auch eine positive Entwicklung auf: Die Masernimpfquote lag beim Einschulungsjahr 2023 bei über 95 Prozent - und damit um fast 10 Prozent mehr als noch 2020.

Spezialfall Tübingen

Rückschlüsse auf soziale oder kulturelle Ursachen lassen die Zahlen aber nicht zu. Bei jeder Untersuchung können die Familien einen Fragebogen ausfüllen, mit dem die Daten erhoben werden. Das geschieht allerdings freiwillig. Ob Probleme wie Über- und Untergewicht beispielsweise mit dem Sozialstatus zu tun haben, ist unklar. Rund 30 Prozent der Eltern machen dazu keine Angaben. »Und Tübingen ist da auch immer noch ein Spezialfall«, erklärt Walter-Frank. Wegen der hohen Akademiker-Dichte. (GEA)