ZmS: Herr Professor Walter, wie konnte die Finanzkrise überhaupt entstehen, wenn es doch für Banken viele Gesetze und Vorschriften gibt?
Norbert Walter: Irgendwann zu Beginn dieses Jahrzehnts haben die amerikanische Zentralbank und einige asiatische Zentralbanken sehr viel Geld zu sehr niedrigen Zinsen zur Verfügung gestellt und zwar über einen längeren Zeitraum. Die Folge war, dass die Banken ihren Kunden viel Geld zum Kauf von Immobilien, aber auch für Autos, Urlaub und sonstigen Konsum geliehen haben. Als dann die Energiepreise stiegen, die Lebensmittel teurer wurden und die Inflationsrate anstieg, haben die Zentralbanken die Zinsen erhöht. Dies wiederum hatte zur Folge, dass viele ihre Kreditraten nicht mehr bezahlen konnten und deshalb ihr Haus verkaufen mussten.
Wenn man gezwungen ist, ein Haus zu verkaufen, erzielt man meistens schlechte Preise, dann hat man möglicherweise einen Kredit für das Haus von einer Million und bekommt aus dem Hausverkauf nur 500 000 - das heißt, es fehlen 500 000, und die Bank macht Verluste. Wenn die Banken viele derartiger Geschäfte machen, werden alle nervös und die Immobilienpreise sinken dramatisch.
Das Ganze hat dann einen Dominoeffekt: Viele Kredite können nicht mehr bedient werden und beim Hausverkauf werden viel zu geringe Preise erzielt. Eigentlich hätten sich die Banken denken können, dass Häuserpreise nicht nur immer weiter steigen. Bei den Banken gab es viele Erfahrene, die schon einmal erlebt haben, dass Häuserpreise auch fallen können. Man hätte den Wert eines Hauses nicht in voller Höhe beleihen dürfen, sondern zum Beispiel nur mit 70 Prozent. Dann kann der Preis um 30 Prozent fallen, und man kann aus dem Hausverkauf immer noch den Kredit zurückzahlen.
Auch hätten die Risikomanager der Banken höhere Zinsen verlangen müssen, damit man aus den Erträgen der Kunden, die ihre Kredite bedienen können, die Verluste aus Not leidenden Krediten hätte ausgleichen können. Und schließlich haben auch die Aufsichtsbehörden versagt, da diese für die Immobilienfinanzierungen ein höheres Eigenkapital der Banken hätten fordern müssen, damit - wenn die Geschäfte schiefgehen - die Banken die Verluste selbst auffangen können. Es gibt also viele Ursachen für die Finanzkrise: Die Banken haben die Häuser zu hoch beliehen und haben sich in der Risikobeurteilung und bei der Festsetzung der Kreditzinsen für ihre Kunden geirrt, und schließlich haben auch die Aufsichtsbehörden versagt.
»Sicherlich kann man durch das Aufarbeiten dieser Krise viel lernen und die Fehler vermeiden«
Welche Auswirkungen hat die Finanzkrise auf uns Bürger?
Walter: Die Finanzkrise hat eine ganz breite Wirkung, die Folgen sind nicht nur für Industrieunternehmen und Banken, sondern auch für die Bürger spürbar. Da kann es beispielsweise vorkommen, dass eine Bank, die Verluste aus Immobilienkrediten erlitten hat, einem Unternehmen, das Geld für Investitionen benötigt, keinen Kredit mehr geben kann. Und dann hat die Finanzkrise natürlich auch Auswirkungen auf das Vermögen der Aktionäre: Wenn der Aktienkurs der Deutschen Bank von 110 auf 20 Euro fällt, sind hiervon alle, die die Deutsche- Bank-Aktie gekauft haben, betroffen - Studenten, Facharbeiter und alle sonstigen Aktionäre. Durch den Kursverlust büßen die Aktionäre dann vier Fünftel des Aktienwertes ein. Die Amerikaner sind hiervon viel stärker betroffen als beispielsweise wir Deutschen, da 40 Prozent der Amerikaner, aber nur 10 Prozent der Deutschen Aktien besitzen.
Welche Länder sind von der Finanzkrise - neben den USA - besonders betroffen? Welche Länder sind nicht betroffen?
Walter: Das war eine ganz merkwürdige Geschichte, da hat eine gewisse Konzentration stattgefunden. Besonders betroffen sind neben den Investmentbanken in den USA insbesondere Deutschland, zum Beispiel Sachsen und Nordrhein-Westfalen, aber auch andere Bundesländer, und die sonst so soliden und konservativen Schweizer. Von der Finanzkrise nicht betroffen sind die asiatischen Banken und die Schwellenländer, die aufgrund ihrer Wirtschaftsdynamik genügend gute Bankgeschäfte abschließen konnten und nicht auf den Abschluss risikoreicher Ersatzgeschäfte mit amerikanischen Wertpapieren angewiesen waren, wie das viele europäische Banken waren.
Glauben Sie, dass man durch entsprechende Gesetze und Kontrollen künftige Finanzkrisen vermeiden kann?
Walter: Sicherlich kann man durch das Aufarbeiten dieser Krise und der Fehler, die man hierbei gemacht hat, viel lernen und die gleichen Fehler künftig vermeiden. Aber die Welt produziert immer wieder neue Probleme und die Menschen werden auch künftig Fehler machen. Außerdem vergessen die Menschen sehr schnell und jeder will seine eigenen Fehler machen.
Jeder lernt aus den eigenen Fehlern am besten. Dennoch glaube ich, dass es künftig bessere Kontrollinstrumente geben wird, dass die Anforderungen an das Eigenkapital von Banken und an die Bankmanager steigen werden und dass sich die Erfolgsbeteiligungen für Bankmanager an langfristigen und nicht an kurzfristigen Geschäftserfolgen orientieren. Trotzdem, Finanzkrisen wird es sicherlich auch in Zukunft geben.
Glauben Sie, dass trotz der Staatshilfen Banken Pleite gehen können und Sparer ihr Geld verlieren?
Walter: Das glaube ich nicht, ich denke aber, dass die Rechnung für den Steuerzahler verdammt hoch wird. Ich hoffe, dass man sehr genau hinschauen wird, wo man Geld zur Rettung von Banken hingibt und dass künftig etwas Besseres dabei herauskommt. Im Moment bin ich da noch etwas skeptisch.
»2009 wird ein sehr unerfreuliches, ein sehr schmerzhaftes Jahr werden«
Glauben Sie, dass der Tiefpunkt der Finanzkrise schon erreicht ist, oder steht uns Schlimmeres noch bevor?
Walter: Uns steht noch Schlimmeres bevor, wir sind noch nicht durch. 2009 wird ein sehr unerfreuliches, ein sehr schmerzhaftes Jahr werden. Der Staat wird neue Schulden machen. Steuererhöhungen wird es im kommenden Jahr aufgrund der schwierigen konjunkturellen Lage nicht geben.
Herr Professor Walter, herzlichen Dank für das Interview. (ZmS)
Dominik Haarer und Robin Gust, Albert-Einstein-Gymnasium Reutlingen, Klasse 9d