Von einer neuen Methode wurde gesprochen und von Mediation und Eisbergmodellen. Ich verstand nur Bahnhof. Aber vielleicht war es genau das, was mich an diesem Projekt so interessierte. Ich wurde neugierig und wollte wissen, um was es sich bei dieser in anderen Ländern so erfolgreichen Methode des Konfliktlösens handelt.
Konflikte und Eisberge
Bei der fast einjährigen Ausbildung lernte ich dann, was ein Konflikt überhaupt ist, wie man interessiert zuhört, was es mit dem Eisbergmodell auf sich hat und vor allem wie man einen Streit auseinandernimmt und ihn dann Schritt für Schritt löst.
Auch wenn ein Streit in der Realität noch einmal ganz anders aussieht, konnten wir aus Rollenspielen viel darüber lernen, wie ein Streit meistens aussieht und was ein Konflikt mit einem Eisberg zu tun hat. Bei einem Eisberg sieht man nur etwa 20 Prozent seiner Größe, der Rest ist unter der Wasseroberfläche. Genauso ist es bei einem Streit: Der Streitschlichter kennt nur einen kleinen Teil des Geschehens. Alle die anderen Dinge sind nicht sichtbar wie beispielsweise Gefühle und Gründe, die verschwiegen werden.
»Keiner kann zu einer Schlichtung gezwungen werden.« Das bedeutet, dass beide Seiten ihr Einverständnis für eine Schlichtung geben müssen. Wenn einer dies nicht tut, kann nicht geschlichtet werden.
Ralf und Martin haben seit längerer Zeit schon einen Streit. Nachdem vor ein paar Tagen Martin von Ralf im Sportunterricht ausgelacht worden ist, weil er beim Fußballspielen nie den Ball getroffen hat, hat er Ralfs Geodreieck zerbrochen. Martin bekam dafür einen Klassenbucheintrag. Meist ist das alles, was ein Streitschlichter weiß, bevor er in eine Schlichtung geht. Oft weiß er sogar gar nicht, um was es sich handelt.
Ralf wollte schon lange mal zu den Streitschlichtern gehen, Martin lehnte dies aber bis jetzt immer ab. Möchte aber nachdem er ins Klassenbuch eingetragen worden ist, doch auch den Konflikt lieber lösen. In der Pause gehen beide in Raum 120 - den Streitschlichter-Raum - und treffen dort zwei Streitschlichter, die mit ihnen einen Termin für den Nachmittag ausmachen.
Lösung in vier Phasen
In den letzten Tagen der Sommerferien haben wir unseren Raum im Kepi gestrichen und eingerichtet. Momentan sind hier in der zweiten großen Pause Streitschlichter zu einer Art »Streitschlichter-Bereitschaft« anwesend. Sie schlichten kleinere Konflikte, oder vereinbaren einen Termin, wenn sich herausstellt, dass die Konkliktlösung etwas länger dauern wird. Der Ablauf einer Schlichtung wird auch als Mediation bezeichnet, die aus fünf Phasen besteht:
In der ersten Phase, der sogenannten Einleitung, werden die Regeln erklärt. Im zweiten Schritt geht es darum, die Sichtweisen zu klären, damit das Problem definiert werden kann. Die dritte Phase besteht darin, den Konflikt zu erhellen, also unter die »Wasseroberfläche« zu schauen und zum Beispiel die Gefühle, die im Konflikt unterschwellig da sind, herauszufinden.
Im vierten Schritt wird dann eine Lösung gesucht. Dabei ist es wichtig, dass die Vorschläge von den Streitenden kommen und nicht von den Schlichtern. Im fünften und letzten Schritt wird eine Vereinbarung getroffen und möglichst gleich ein Nachtermin ausgemacht, um zu überprüfen, ob die Vereinbarungen eingehalten werden, oder ob der Streit wieder neu entfacht ist.
Ralf und Martin werden erstmal die Regeln erklärt: Das Wichtigste dabei ist, dass jeder den anderen ausreden lässt. Danach einigen sie sich, wer anfängt. Hier beginnt die zweite Phase: Beide erzählen nacheinander, was sich ereignet hat. In dieser Phase erzählen meistens beide die Ereignisse so, dass sie möglichst positiv dastehen. Im dritten und wichtigsten Schritt versucht der Schlichter nach Gefühlen, Bedürfnissen und Wünschen zu fragen. Da sollte möglichst viel vom Eisberg sichtbar werden.
Vertrag soll Abkommen festigen
Ralf hatte das Auslachen - den Konfliktauslöser - anders gemeint, als Martin es verstanden hatte. Und er wünscht sich, dass sie wieder Freunde werden. Martin möchte, dass Ralf ihn erstmal in Ruhe lässt. Hierbei muss der Streitschlichter aufpassen, dass er nicht zu schnell zu den Lösungen geht, denn oft werden die Wünsche zu schnell zu Lösungsverschlägen.
Wenn die Streitschlichter glauben, dass sie nun alles wissen, gehen sie zur vierten Phase über: Ralf und Martin bekommen beide mehrere Zettel, wo sie draufschreiben sollen, was jeder vom anderen erwartet und was er selbst zu tun bereit wäre. Ralf will, dass sein Geodreieck ersetzt wird und dass Martin sich entschuldigt. Dafür will auch er sich entschuldigen. Martin will, dass beide wieder Freunde werden, und ist bereit sich dafür zu entschuldigen, dass er Ralf ausgelacht hat.
Beide akzeptieren die Lösungen des anderen. Um dies etwas wirksammer zu machen, wird ein Vertrag verfasst, bei dem Martin, Ralf und die Streitschlichter unterschreiben. Um zu schauen, ob das Streitschlichten funktioniert hat, oder ob noch einmal geschlichtet werden muss, wird zwei Wochen nach der Schlichtung nochmals ein Termin ausgemacht.
Darf kein Richter sein
So wie ich es hier beschrieben habe, ist es nicht immer. Oft sind es nur ganz kleine Streitigkeiten, manchmal geht es aber auch um größere Konflikte.
Ein Streitschlichter soll den Konfliktparteien nur helfen das Problem ihres Streits zu lösen, er darf kein Richter sein der Vorgaben macht oder urteilt. Geschlichtet wird normalerweise mit maximal drei Personen und ebenso vielen Streitschlichtern. Dabei ist es wichtig, dass jeder Schlichter sich auf einen Streitenden konzentriert, ihm genau zuhört und gezielte Fragen stellt. Dies ist besonders bei der Sichtweisenklärung und bei der Erhellungsphase sehr wichtig.
Wichtig ist auch: Wenn Gewalt im Spiel ist, muss ein Lehrer eingeschaltet werden, denn genau da sind die Grenzen der Streitschlichtung erreicht. (ZmS)
Simon Rittershaus, Kepler-Gymnasium Tübingen, Klasse 8A