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Weg von der schiefen Bahn

REUTLINGEN. »All die riesen Steine auf meinem Weg, die ich nach und nach weggekickt habe, hätten mich sonst nicht zu dem gemacht, der ich bin.« Der 30-jährige Alexander alias »Wandam«, so sein Künstlername als Rapper, erzählt über seine Zeit im Knast und wie er sein Leben wieder in den Griff bekommen hat. Er war acht Jahre alt, als er langsam auf die schiefe Bahn geraten ist. Seine Mutter beging Selbstmord und sein Vater hatte wenig Zeit für ihn. So kam es dazu, dass er bei seinem Onkel wohnen musste, der ihn mit zwölf Jahren rausgeschmissen hat, nachdem er bei einem Ladendiebstahl erwischt wurde.

Bei Wandam lief nicht immer alles glatt. Davon berichtet er in seinen Songs.  FOTO: FILIP GORSKI
Bei Wandam lief nicht immer alles glatt. Davon berichtet er in seinen Songs. FOTO: Filip Gorski
Bei Wandam lief nicht immer alles glatt. Davon berichtet er in seinen Songs. FOTO: Filip Gorski
Seitdem ging es bei ihm nur noch bergab. In der neunten Klasse wurde er zum Halbjahr von der Schule geschmissen, aus seiner Wohngruppe wurde er ausgeschlossen, er lebte mal hier und da und trank ungeheuer viel Alkohol, ging auf Partys, war in Schlägereien verwickelt. So lebte er bis zu seinem 25. Lebensjahr, als etwas passierte, was sein Leben für immer veränderte. Er wurde wegen Körperverletzung verurteilt, obwohl er, wie er sagt, unschuldig war, aber niemanden verraten wollte. Die Strafe dafür: zehn Monate Gefängnis. Über seine Zeit im Knast sagt er: »Alles verlorene Zeit, aber man war ja irgendwo selber schuld. Mein Vorstrafenregister ließ dem Richter den Glauben an meine Unschuld nicht zu.«
»Ich bin kein Gangster. Ich bin ich. Ich bin die Straßen meiner Stadt«
Zu seinem Leben und seinen Eindrücken in der Rottenburger Justizvollzugsanstalt erzählt er: »Wenn du in den Knast kommst, bist du erst mal niemand. Du musst dir deinen Status erst verdienen. Oder es sind Leute da, die dich kennen und die selbst einen hohen Status haben, dann gehörst du vielleicht zu einem von denen.« Er selbst hatte Glück und kannte so jemanden, wurde deshalb akzeptiert und in Ruhe gelassen. Aber das ist nicht bei jedem so, denn auch im Knast gibt es eine Hierarchie. »Sei respektvoll und korrekt zu den anderen, dann ist man vielleicht auch korrekt zu dir«, erklärt Wandam die Spielregeln.

Nach wenigen Wochen in der Rottenburger Vollzugsanstalt wurde er für vier Monate in die Außenstelle Maßhalderbuch auf der Schwäbischen Alb verlegt, wo die Häftlinge etwas mehr Freiraum genießen. Wenig später wurde sein Antrag auf eine Unterbringung im Rottenburger Freigängerheim bewilligt – nach nur zwei Monaten wurde er, weil er Alkohol getrunken hatte, zurück in die Justizvollzugsanstalt in Rottenburg verlegt.

Nach sieben langen Monaten im Gefängnis kam er frei. Sein Antrag auf die sogenannte Dreiviertelstrafe wurde nur unter der Voraussetzung bewilligt, sich einer Antiaggressions- und einer ambulanten Alkoholtherapie zu unterziehen – ausgesetzt auf zwei Jahre Bewährung. Er verließ das Gefängnis mit den Worten, dass die Justizvollzugsbeamten ihn nie wieder sehen würden.

Nach seiner Freilassung ging aber nicht sofort alles bergauf. Wandam ging weiterhin auf Partys und trank Alkohol. Der entscheidende Punkt kam, als er vier Tage lang von zu Hause weg war, ohne seiner damaligen Freundin Bescheid zu sagen, woraufhin sie ihn verließ. Daraufhin wachte er wirklich auf und merkte, wie sehr er in Schwierigkeiten steckte. Also fing er an, sein Leben aufzubauen und regelmäßig Musik zu machen. Musik hatte er auch vorher schon gemacht, aber meist in angetrunkenem Zustand und sehr unregelmäßig. Nun schreibt er regelmäßig seine Lieder und produziert diese teilweise mit.

»Jeder Mensch kann irgendetwas besonders gut, findet heraus, was es ist, versucht, daran festzuhalten und alles dafür zu tun, um es zu perfektionieren. Es könnte sich eines Tages auszahlen.« Kürzlich hat er seine erste Solo-EP »Alexander EP« veröffentlicht, die auf www.bq4life.de, Spotifiy, Amazon oder iTunes erhältlich ist. In dem Song »Yerba Buena Island« beispielsweise erzählt er vom Gefängnis. In »Irina pt. 1« spricht er seine verstorbene Mutter an, die ihm oft nach ihrem Tod noch in seinen Träumen erschienen ist. Ein Song, der ihm auch sehr am Herzen liegt, ist »Bruder«, begleitet von seinem ehemaligen Bassquiat-Kollegen KAAS. Eine Antwort auf den gleichnamigen Song seines besten Freundes Tua, ein Mitglied der Band »Die Orsons«, in dem er sagt, dass Wandam sein Leben in den Griff bekommen solle und dass er Angst habe, ihn zu verlieren. »Tua ist einer der besten und ehrlichsten Menschen, die ich kenne. Sein vorübergehender Kontaktabbruch damals war mit der Grund, aus der ganzen Sache rauszukommen. Er hatte irgendwann den Glauben an mich verloren. Heute ist aber wieder alles bestens.«
»Jeder Mensch kann irgendetwas besonders gut, findet heraus, was es ist«
Seine Texte schreibt Wandam, um alles zu verarbeiten, was ihm in seiner Vergangenheit widerfahren ist. »Ich könnte natürlich auch 08/15-Gangsterrap machen, der vielleicht sogar mehr Erfolg verspricht, aber ich bin kein Gangster. Ich bin ich. Ich bin die Straßen meiner Stadt und sie bleiben für immer ein Teil von mir.« Heute steht Wandam auf eigenen Füßen, hat einen festen Job, macht nebenbei seine Musik, hat hier und da ein paar Auftritte und eine feste Freundin, die er noch aus der gemeinsamen Jugendzeit kennt. Vor drei Jahren hat er mit dem Trinken und vor einem Jahr sogar mit dem Rauchen aufgehört. Und er ist stolz, dass er zu den fünf Prozent gehört, die nicht wieder ins Gefängnis zurückkehren, sondern die Kurve gekriegt haben. Damit ist er das beste Beispiel dafür, dass es auch anders geht und man sich verändern kann, wenn man es wirklich will. Man braucht nur einen starken Willen und ein Ziel vor Augen! (ZmS)

Henni Simmerl, Leonie Weimer und Felicia Ulbrich, BZN-Gymnasium Reutlingen, Klasse 9d