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Aktuell Geschichte

Verlorene Heimat

REUTLINGEN. Die Donauschwaben stammen ursprünglich hauptsächlich aus Westdeutschland. Aufgrund großer Not infolge des Dreißigjährigen Krieges (1618–1648) wurden sie von Kaiserin Maria Theresia Mitte des 18. Jahrhunderts aufgefordert, ihre Heimat zu verlassen und die bisher unbewohnten Regionen des österreich-ungarischen Reiches, die Batschka und das Banat, zu erschließen und zu besiedeln.

Wegen des streng katholischen Glaubens der Kaiserin wurden am Anfang nur katholische Siedler ausgewählt. Später konnten sich auch Protestanten, beispielsweise die Siebenbürger Sachsen, in dem Land zwischen Donau und Theiß, dem sogenannten Banat, ansiedeln. Des Weiteren mussten die Auswanderer ein Handwerk beherrschen oder Bauern sein. Damit die Siedler allerdings nicht bei Null anfangen mussten, bekamen sie vom Staat ein Startkapital, meistens Geld und etwas Vieh.

Mit Schachtel auf der Donau

Die meisten Siedler starteten ab Ulm mit Booten, den sogenannten »Ulmer Schachteln«, und fuhren die Donau entlang gen Südosten. Dort angekommen fanden sie einfache, durch die Regierung schon vorgefertigte Häuser vor, die größtenteils aus gestampftem Lehm bestanden. Doch zur profitablen Landwirtschaft war das Land allerdings noch nicht geeignet, das heißt, es musste zuerst urbar gemacht werden. Die Wälder mussten abgeholzt und die Sümpfe, von denen das gefährliche Sumpffieber ausging, das viele Siedler dahinraffte, trockengelegt werden.

Es dauerte rund zehn Jahre, bis das Land endlich urbar war. Nun konnten die Siedler mit profitabler Landwirtschaft und Handwerk beginnen. Nach und nach entstand mit dem Fleiß und dem Durchhaltevermögen der Donauschwaben in der Region zwischen Theiß und Donau eine blühende und erschlossene Landschaft. Es bildeten sich Dörfer und sogar Städte mit Anschluss an die Eisenbahn.

Eines dieser Dörfer ist Gajdobra (deutsch: Schönau) zwischen der Stadt Novisad (deutsch: Neusatz) und der Donau gelegen. In dem Dorf wohnten und arbeiteten viele Bauern und Handwerker, aber auch Fabrikarbeiter, die in den drei großen Hanffabriken beschäftigt waren. Es gab sowohl reiche als auch ärmere Bauern. In Gajdobra gab es eine Schule, eine Kirche, eine Bank, ein Rathaus und vier Gaststätten, aber auch alles andere, was zu einem größeren Dorf gehört, wie beispielsweise Ärzte, Schmieden und Fachgeschäfte.

Ein ganzes Volk auf der Flucht

Aber der Hauptwirtschaftszweig war die Landwirtschaft, die reiche Erträge abwarf. So wurden große Mengen Getreide nach der Ernte nach Deutschland geschickt, obwohl die Batschka nun offiziell zu Österreich-Ungarn gehörte. Doch diese Idylle wurde jäh unterbrochen, als der Erste Weltkrieg im Juli 1914 ausbrach. Da die Gajdobraer zu Österreich-Ungarn gehörten, kämpften sie auf Seiten der Mittelmächte – Deutschland, Österreich-Ungarn, Rumänien und das Osmanische Reich – in Italien, Serbien und Russland. Als der Erste Weltkrieg aber verloren wurde, fiel die Batschka an Jugoslawien, das heutige Serbien. Also wurde in der Schule zusätzlich zu Deutsch Serbisch gelernt.

Auch die Währung änderte sich. Nach dem Ersten Weltkrieg kehrte wieder Ruhe in Gajdobra ein. Diese Ruhe währte allerdings nicht lange, denn am 6. April 1942 wurden die Donauschwaben unverhofft in den Zweiten Weltkrieg mit hineingezogen, und das idyllisch gelegene Land wurde zum Kriegsschauplatz, denn am Palmsonntag 1942 erreichte die Gajdobraer die Nachricht, dass die deutsche Wehrmacht Belgrad bombardiert habe und in Jugoslawien einmarschiert sei. So wurden erneut Soldaten aus Gajdobra in die deutsche Armee eingezogen. Da aber die Deutschen immer weiter zurückgedrängt wurden, mussten die Gajdobraer am 12. Oktober 1944 von der deutschen Armee aus ihrem Dorf evakuiert werden.

Als Grund für die Evakuation gab man jedoch vor, neue Waffen gegen den Feind in dieser Region testen zu wollen – dass der Krieg so gut wie verloren war, verschwieg man ihnen. Es hieß, dass die Bewohner nach spätestens drei Wochen wieder zurück in ihr Dorf gehen könnten. Dies war ebenso eine Lüge. So erging es nicht nur den Gajdobraern, sondern allen Donauschwaben. Nun war ein ganzes Volk ohne Land und auf der Flucht. Diese war voller Strapazen, gereist wurde in einfachen Pferdewagen.

Auch die Angst war ein ständiger Begleiter, denn immer wieder wurden sie von alliierten Flugzeugen beschossen. Man musste oft unter freiem Himmel oder bestenfalls in einer Scheune übernachten, da niemand die Flüchtlinge beherbergen wollte. Als Schlesien auch verloren war, ging es mit dem Zug weiter nach Bayern. Dort wurden dann von den Amerikanern, den Besatzern von Bayern, die neuen Wohngebiete zugewiesen. Doch nicht für alle Donauschwaben ging die Flucht so gut aus. Weil einige zu spät aufgebrochen waren, starben sie in jugoslawischen Konzentrationslagern. So kam es, dass allein aus Gajdobra über 600 Menschen von etwas über 3000 in Lagern oder als Soldaten im Krieg ihr Leben ließen.

Wichtiges Kapitel der Geschichte

Diejenigen wiederum, denen die Flucht gelang, fanden in Bayern ihre zweite Heimat. Einige jedoch reisten weiter, zum Beispiel bis nach Reutlingen. Doch ihre wahre Heimat, das Land zwischen Theiß und Donau, kann durch nichts ersetzt werden. Paradoxerweise haben viele Donauschwaben wieder zurück zu ihrem Ursprung gefunden – nach Westdeutschland. Das Ganze ist ein sehr wichtiges Kapitel europäischer Geschichte, das nicht vergessen werden sollte. Auch sollte man derer gedenken, die aufgrund von Flucht und Vertreibung ihr Leben verloren haben. (ZmS)

David Eitel, BZN-Gymnasium Reutlingen, Klasse 9a