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Aktuell INTERVIEW

Völlig anders als im Krimi

REUTLINGEN. Als wir im Klinikum am Steinenberg ankamen, um die Chefärztin der Pathologie, Dr. Gabriele Deubler, zu ihrem Beruf zu interviewen, hatten wir schon eine ganz genaue Vorstellung von ihrem Beruf: Leichen obduzieren und Todesursachen aufklären – das eben, was einem in Krimis vermittelt wird. Allerdings hatten wir uns da gewaltig geirrt!

ZmS: Was genau ist nun Ihre Aufgabe?

Gabriele Deubler: Ich bin Chefärztin für Pathologie und in dieser Aufgabe untersuche ich Gewebeproben und Zellen auf Erkrankungen.

»Gerichtsmediziner suchen nach Hinweisen, die zur Aufklärung eines Todes beitragen«
Man denkt ja immer, dass man in Ihrem Beruf Menschen aufschneidet – ist das so?

Deubler: Nein, wir in der Pathologie machen was ganz anderes: 98 Prozent unserer Patienten sind am Leben. Wir bekommen Gewebeproben und Zellen von Menschen, die krank sind. Diese wollen natürlich wissen, wie man ihnen helfen kann. Unter dem Mikroskop prüfen wir die Proben. Wir können hier nicht alle, aber viele Erkrankungen erkennen und können hieraus Hinweise geben, was man therapeutisch tun kann, also wie man helfen kann. Ob man operieren, Tabletten geben muss, oder was ganz anderes. Und ein ganz kleiner Prozentsatz der verbleibenden zwei Prozent sind die Verstorbenen, die dann tatsächlich von uns obduziert werden, um herauszufinden, woran diese gestorben sind. Natürlich nur dann, wenn die Angehörigen damit einverstanden sind.

Also wenn man im Fernseher so sieht, dass am Tatort Leichen mitgenommen und untersucht werden, machen das nicht die Pathologen?

Deubler: Das macht die Gerichtsmedizin. Man darf sich das aber auch nicht so vorstellen, dass der Gerichtsmediziner zum Tatort geht, und das Verbrechen aufklärt. Das tut er nicht, sondern die Polizei sorgt dafür, dass der Leichnam zur Untersuchung in die Gerichtsmedizin gebracht wird. Die Gerichtsmediziner suchen nach Hinweisen, die zur Aufklärung eines Todes beitragen. Wir haben gar nichts damit zu tun.

Sind Pathologie und Gerichtsmedizin also zwei völlig verschiedene Berufe?

Deubler: Es ist eine völlig andere Ausbildung (…) Sie sind verwandt, aber komplett getrennt. Ein Rechtsmediziner könnte nie als Pathologe arbeiten ohne zusätzliche Ausbildung und ein Pathologe auch nicht als Rechtsmediziner.

Was mögen Sie an Ihrem Beruf am meisten?

Deubler: Am meisten mag ich, dass es immer wieder etwas gibt, worüber man nachdenken kann, was man nicht kennt und dass man immer wieder in die Bücher schauen muss. Der Beruf wird nie langweilig.

Arbeitet man alleine oder im Team?

Deubler: Für die Diagnose, die man stellt, ist man verantwortlich. Wenn man als Pathologe Zweifel hat, geht man zu seinem Kollegen und legt es ihm vor und fragt ihn nach seiner Meinung. Teamarbeit, ja, wir sind eine Abteilung mit 25 Mitarbeitern, die diese Proben aufarbeiten. Das heißt, das Gewebe kommt aus dem OP oder von niedergelassenen Ärzten. Manchmal kleine, manchmal große Präparate, die erst mal in eine Form gegossen werden, damit man sie unter dem Mikroskop anschauen kann. Und dazu sind eine ganze Reihe Schritte notwendig. Das Gewebe muss untersucht werden, die interessanten Stellen müssen herausgeschnitten werden. Es wird dann eingebettet in Wachsblöckchen. Davon macht man Schnitte, die man dann auf dem Objektträger aufzieht und färbt, bevor sie unter dem Mikroskop beurteilt werden können.

»Wir machen was ganz anderes: 98 Prozent unserer Patienten sind am Leben«
Wird Ihr Alltag durch Ihren Beruf in irgendeiner Weise beeinflusst, insofern dass Sie irgendwas sehen und darüber nachdenken, wie das unter dem Mikroskop aussehen könnte? Oder sind Beruf und Alltag klar voneinander getrennt?

Deubler: Ich denke nicht darüber nach, wie etwas unter dem Mikroskop aussehen würde. Wir haben eine gewisse professionelle Distanz, die brauchen wir, um arbeiten zu können. Wir haben eine Vielzahl von bösartigen Erkrankungen hier und Patienten, die sterbenskrank sind. Das darf man nicht so an sich ranlassen, dass es zu einer dauerhaften Belastung wird, sonst kann man den Beruf nicht ausüben.

Wie viele Gewebeproben im Jahr müssen Sie bearbeiten?

Deubler: Wir haben im Jahr knapp 30 000 Patientenproben, die sind sehr unterschiedlich, es können kleine Proben sein, es kann aber auch ein ganzer Darm sein. Kleine Gewebeproben passen auf einen Objektträger, große Operationspräparate werden in manchmal über 100 Objektträgern aufgearbeitet.

Was haben Sie für technische Hilfsmittel?

Deubler: Wir haben ein Labor voller Technik. Also Färbeautomaten, Mikroskope, Schnellschnittautomaten, Entwässerungsautomaten, ein EDV-System (…), aber die Diagnose stellen wir mit dem bloßen Auge. Es ist nicht wie in der Labormedizin, in der man Blutproben hat und die in den Automaten rein gibt und dann kommt eine Auswertung. Das gibt es bei uns nicht.

Man bekommt ja nicht wirklich mit, dass viele Leute Pathologe werden wollen oder sind. Ist das ein unbeliebter Beruf oder wie erklären Sie sich das?

Deubler: Es gibt in der Bundesrepublik nur etwa 2 000 Pathologen oder angehende Pathologen. Die Anzahl reicht für die Aufgaben, die den Pathologen zufallen. Es stimmt, der Beruf ist in der Bevölkerung mit Vorurteilen behaftet.

Ist das ganze Krankenhaus sozusagen abhängig von den Pathologen, weil sie ja die Krankheiten erkennen und diagnostizieren?

Deubler: Pathologie nimmt schon eine zentrale Stellung ein, das ist richtig, ja. Wir sehen einfach schwarz auf weiß, oder eben bunt, wie hier unter dem Mikroskop, was mit dem Patient los ist. Wir kriegen nicht von allen Patienten Gewebeproben, aber da, wo wir sie bekommen, wird eine Diagnose von der Pathologie gestellt, mit der die Kollegen im Krankenhaus dann weiterarbeiten können. (ZmS)

Katharina Simon, Jelena Schweizer und Dominique Friedmann, BZN-Gymnasium Reutlingen, Klasse 9d