"... wie ein Airbus, der mit vollem Schub auf die Startbahn fährt ...In Deutschland sind Jugendliche ab 14 strafmündig, können sich also strafbar machen. Es gibt für sie ein eigenes Jugendstrafrecht, bei dem mehr das Erziehen als das Strafen im Mittelpunkt steht. Von 18 bis 21 gelten Straftäter als »Heranwachsende«, auf die unter Umständen auch noch das Jugendstrafrecht angewandt werden kann. Die Altersgrenze findet Richter Hamann richtig angesetzt. Ab 14 kann man von Jugendlichen erwarten, dass sie für ihre Handlungen Verantwortung übernehmen.
Dennoch muss der Entwicklungsstand des Jugendlichen bei jeder Entscheidung berücksichtigt werden. Die seien manchmal »wie ein Airbus, der mit vollem Schub auf der Startbahn fährt, aber im Cockpit wird gerade erst die Steuerung eingebaut«.
Alkohol (vor allem hochprozentiger) und Drogen spielen natürlich die bekannte Rolle beim Thema Jugendkriminalität. Gegen Verallgemeinerungen wehrt sich Hamann, wenn es beispielsweise um Schuldzuweisungen an Jugendliche mit Migrationshintergrund geht. Dabei betont er die wichtige Rolle des Elternhauses als Vorbild. Wer Strukturen, Geborgenheit und Bildung vermittelt bekommt, hat bessere Chancen, nicht strafbar zu werden. Wichtig sind auch eine ausfüllende Beschäftigung und gute Einbindung in eine Gemeinschaft.
Die jugendlichen Täter sind Jungen und Mädchen gleichermaßen. Bei den Straftaten gibt es Unterschiede; so geht es bei Jungen häufiger um körperliche Übergriffe, während Mädchen beim Ladendiebstahl häufiger vertreten sind. Die Grenze zwischen harmloser Schulhofprügelei und Körperverletzung mögen manchmal fließend sein, aber wenn einer am Boden liegt und der andere zutritt, ist die Grenze klar überschritten. Wer so etwas tut, muss damit rechnen, sich als Angeklagter in einer Strafverhandlung im Amtsgericht wiederzufinden.
Sierk Hamann ist streng, baut die Verhandlung aber wie ein intensives, persönliches Gespräch auf. Dem/der Jugendlichen bleibt kaum Möglichkeit, sich zu entziehen. Er fragt »Warum haben Sie das gemacht«? oder »Wie fanden das Ihre Kumpel, Ihre Freundin, Ihre Eltern?« So gelingt es wahrscheinlich nicht immer, aber doch häufig, die Angeklagten wirklich zum Nachdenken zu bringen.
»... aber im Cockpit wird gerade erst die Steuerung eingebaut ...«Die Opfer von Straftaten sind Hamann wichtig, das Strafrecht selbst sei »wenig opferorientiert«. Jugendliche sollen bei ihm Gehör und Stimme haben. Hier hilft der Täter-Opfer-Ausgleich, wo sich Täter und Opfer aussprechen können. Auch die Ladung als Zeuge zum Verfahren ist wichtig. Es kann schon vorkommen, dass Hamann das Opfer fragt »was schlagen Sie vor, was wir mit dem Täter tun sollen« und gibt so ein Stück Würde und Selbstbewusstsein zurück.
Bei den Sanktionen ist der Richter kreativ: Bei ihm gibt es zum Beispiel ein »ZOB-Verbot« - die Auflage, von 22 bis 5 Uhr nicht draußen zu sein - , ein Alkoholverbot, ein verordnetes Anti-Gewalttraining, oder aber die Verpflichtung, ein bestimmtes Buch zu lesen, notfalls im Jugendarrest. Beim Internetauftritt der Jugendarrestanstalt Göppingen ist eine virtuelle Führung durch die Einrichtung möglich, auf die Hamann jugendliche Straftäter verweist.
Für die Wirksamkeit solcher Maßnahmen ist eine schnelle und konsequente Behandlung von Straftaten notwendig. Jugendliche Beschuldigte warten bei Richter Hamann etwa sechs Wochen auf den Gerichtstermin. Das ist im landesweiten Vergleich sehr kurz. Lieber wäre ihm nur eine Woche, aus Kapazitätsgründen sei dies aber nicht zu schaffen.
Insgesamt entstand der Eindruck, dass am Amtsgericht Reutlingen schnell, konsequent, aber auch mit dem erforderlichen Verständnis und Einfühlungsvermögen mit den Jugendlichen umgegangen wird. Ein Jugendstrafverfahren ist ein einschneidendes Erlebnis. Man ist erleichtert, es nicht von der Anklagebank aus erleben zu müssen. (ZmS)
Laura Kipp, Friedrich-List-Gymnasium Reutlingen, Klasse 9 c