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Aktuell Menschen

Operieren mit dem Taschenmesser

TÜBINGEN. Stellen Sie sich vor, Deutschland wird von einem schweren Erdbeben heimgesucht. Viele Häuser sind zerstört und die Versorgung der zahlreichen Verletzten ist für Deutschland unmöglich. Nach einigen Tagen schlägt ein marokkanisches Ärzteteam auf dem Tübinger Marktplatz seine Station auf. Daneben verteilen philippinische Helfer Essenspakete. Dass vielen Menschen das Vertrauen fehlt, sich von fremden Leuten behandeln zu lassen, ist verständlich. Diese Erfahrung muss Professor Dr. Dr. Bernd Domres, ein Tübinger Katastrophenmediziner, in der Realität immer wieder machen.

Einsätze auf der ganzen Welt

Der gebürtige Dortmunder arbeitet neben seiner Tätigkeit als Chirurg an der Uniklinik Tübingen auch als ehrenamtlicher Katastrophenmediziner. Sobald es ein Ungleichgewicht zwischen Ärzten und Verletzten - also eine Katastrophe - gibt, ist Bernd Domres mit seinem Team zur Stelle.

Ermöglicht wird dies einerseits durch das »Deutsche Institut für Katastrophenmedizin Tübingen«, welches vor fünf Jahren auf seine Idee hin ins Leben gerufen wurde, andererseits durch die gute Zusammenarbeit mit »Humedica«. »Humedica« ist eine der wenigen Organisationen, die weltweit anerkannt ist, da sie politisch sowie religiös als neutral gilt. Sie ist in der ganzen Welt aktiv.

In vielen Ländern sind die Verhältnisse so schlecht, dass Domres schon Amputationen mit einem gewöhnlichen Taschenmesser vornehmen musste. Auch operiert er nachts manchmal im Taschenlampenlicht. Ist das nicht anstrengend? »Solange ich noch 100 Meter rennen kann«, versichert der 72-Jährige, »werde ich auch unter solchen Umständen weiterarbeiten.«

Schon früh in seiner Kindheit erzählte ihm seine Tante von dem Arzt Albert Schweitzer, seinem späteren Vorbild. Daraufhin studierte Domres in Freiburg Medizin. 1975, als er schon verheiratet war und zwei Kinder hatte, bekam er eine Anfrage für eine Aushilfsstelle in Abeocuta (Nigeria). So kam es zu seinem ersten Auslandseinsatz. Dort war vieles anders als in Deutschland. Es standen nur 500 Betten für 700 Patienten zur Verfügung. Auch fließendes Wasser und Strom waren oft nicht vorhanden. So musste ein Motorrad den Strom für eine Geburt mit Saugglocke liefern.

Aber nicht nur bei Naturkatastrophen (»god-made«) sind Katastrophenmediziner gefragt, auch bei Kriegen (»man-made«) wird ihre Hilfe benötigt. Zum ersten Mal musste Professor Bernd Domres 1980 zu einem Kriegseinsatz in Kambodscha. »Kriegseinsätze sind am gefährlichsten, aber Angst habe ich nicht«, sagt der Katastrophenmediziner.

Doch auch heute verfolgen ihn manchmal noch schlimme Bilder in seinen Träumen. Einmal bekam er den Tipp, falls er einmal fliehen müsse, solle er alle Luft aus den Autoreifen lassen. Denn dann ginge statistisch gesehen nur jede zweite Mine in die Luft, über die er käme. Doch Domres entgegnete, er werde überhaupt nicht fliehen - er wolle nicht nur einer Seite der sich Bekriegenden helfen, sondern allen Menschen, die es nötig hätten. (ZmS)

Jael Gerloff, Paula Dietsche, Wildermuth-Gymnasium Tübingen, Klasse 9 a