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Nur die Kirche ist geblieben

MÜNSINGEN. Jedes Jahr an Allerheiligen treffen sich Gruorner in der Stephanus-Kirche auf dem Truppenübungsgelände in Münsingen. Trotz Kälte kamen auch dieses Jahr wieder einige hundert Menschen zusammen. Im Gottesdienst sprach man darüber, was aus Gruorn wird, wenn der Truppenübungsplatz geschlossen wird, ob dann auch Gruorn vollends abgerissen wird. Oder aber das Dorf wieder mehr besucht werden und vielleicht wieder etwas aufgebaut werden kann. Nach dem Gottesdienst wurde in der alten Schule gegessen, getrunken und geplaudert.

Das Schulgebäude wurde im Jahr 1881 erbaut. Es gab dort zwei Lehrer für zwei Klassen. Im unteren Stock befanden sich die Klassen 1 bis 4, im oberen hielten sich 5.- bis 7.-Klässler auf. Diese Schule nannte sich Volksschule. Wenn man höhere Schulen besuchen wollte, musste man nach Münsingen gehen.

Schule als Munitionslager

Als den Franzosen noch das Schulgebäude gehörte, benutzten sie es als Lager für ihre Munition für die Schießbahn. Heute ist im oberen Stock das Komitee für die Heimatstube, im unteren Stock befinden sich Reservisten, und ein Zimmer wird für die Kommandantur freigehalten. Heute sind die Fenster zum Westen zugemauert.

Die Gruorner hörten 1935 zum ersten Mal, dass der Truppenübungsplatz in der Nähe des Dorfes zu klein sei. Diese Nachricht brachte ein Vertreter des Stuttgarter Ministeriums. Darauf hörte man von der Vergrößerung des Truppenübungsplatzes lange Zeit nichts mehr. Die Einwohner Gruorns beruhigten sich langsam wieder. Bis zum 15. Februar 1937 ließ man die Gruorner im Unklaren. Erst an diesem Tag war vom Landratsamt Urach zu erfahren, dass die Räumung der gesamten Ortschaft bereits beschlossen sei. Die Nachricht schlug in Gruorn wie eine Bombe ein.

Häuser zerfallen

Die Ansicht der Bürger war sehr verschieden. Viele glaubten, wenn sich alle geschlossen zur Wehr setzen, könne die Vergrößerung des Truppenübungsplatzes verhindert werden und die Gemeinde erhalten bleiben. Andere wiederum glaubten, die Auflösung bringe Vorteile und wollten, dass gegen die Umsiedlung nichts unternommen würde. Zahlreiche Eingaben und Gesuche mit dem Zweck, Gruorn zu retten, blieben jedoch ohne Erfolg.

Für die Umsiedlung wurden den Gruornern zirka 600 landwirtschaftliche und gewerbliche Betriebe angeboten. Bürgermeister von verschiedenen Städten und Gemeinden bemühten sich um Leute aus Gruorn. Auch die Stadt Ehingen suchte damals Arbeiter für die im Bau befindliche Zellstoff-Fabrik. Als die Stadtverwaltung sah, dass für ihren Plan Interesse bestand, kam sie bald mit fertigen Bauplänen für Wohnhäuser und bot diese zum Festpreis an. Zwanzig Familien entschlossen sich, nach Ehingen zu gehen, nach Auingen zogen elf Familien, deren Männer bereits vorher schon zum größten Teil bei der Kommandantur des Truppenübungsplatzes gearbeitet hatten. Die meisten übrigen Familien suchten und fanden Ersatz in Württemberg, dem angrenzenden Baden oder Bayern.

Mit den gewährten Entschädigungen waren viele nicht einverstanden. Die meisten zogen trotzdem den freiwilligen Verkauf einer Enteignung vor. In den wenigen Fällen, in denen es zur Nachschätzung durch eine Kommission kam, wurde keine wesentlich bessere Entschädigung erreicht.

Mit dem Auszug der letzten Bewohner war die jahrhundertelange Geschichte der Gemeinde Gruorn unwiderruflich zu Ende. Durch den militärischen Übungsbetrieb und Witterungseinflüsse war ein Großteil der Häuser verfallen. Die Liebe der - nun zerstreut wohnenden - ehemaligen Dorfbewohner zu ihrer alten Heimat war und blieb jedoch ungebrochen. Ausgelöst durch das Erscheinen des Heimatbuches 1967 kamen die ehemaligen Gruorner an Pfingsten 1968 in großer Zahl, um an dem Ort ihrer Jugend Erinnerungen auszutauschen und Verbindungen aufzufrischen.

Auch das weitere Schicksal wurde lebhaft diskutiert. Einheitlich war man der Meinung, dass das Dorf Gruorn nicht völlig vom Erdboden verschwinden dürfte. Wenigstens ein Denkmal sollte die Nachfahren an die einst blühende Albgemeinde erinnern. Das einzige Gebäude, das dafür in Frage kam, war die Stephanus-Kirche. Freilich, auch dieses Gebäude war in beklagenswertem Zustand. Der Turm war dem Einsturz nahe und musste gesprengt werden, das Dach des Kirchenschiffes war eingefallen. Lediglich der Chor der Kirche war gut erhalten.

Durch die Untersuchungen und den Bericht von Professor Bernhard Bischoff war nachgewiesen worden, dass die Kirche in einigen Teilen bis auf die romanische Bauepoche zurückging und somit ein für die Albhochfläche ungewöhnliches Kulturdenkmal war. Es wurde gefordert, die Kirche unter Denkmalschutz zu stellen und die Möglichkeit einer Instandsetzung neu zu prüfen. Professor Bischoffs Meinung nach sollte zumindest der Chor der Kirche erhalten und als würdige Stätte für Feldgottesdienste der Truppenteile ausgestattet werden.

Kirche als letztes Denkmal

Angesichts dieser Äußerung von fachkundiger Seite sprachen sich die versammelten Gruorner am Nachmittag des Pfingstfestes 1968 einstimmig dafür aus, nichts unversucht zu lassen, um wenigstens die Kirche als letztes Denkmal des einstigen Dorfes vor dem endgültigen Verfall zu bewahren.

Die Kosten wurden auf 40 000 Mark geschätzt. Bei den Pfingsttreffen kamen Spendengelder von über 1 000 Menschen zusammen, um die Kirche zu erhalten. Den größten Beitrag verdankte man Adam Goller, denn er rettete die Kirche mit seinen Einzelspenden und Helfern. Bei unserem Interview sagte Adam Goller: »Gruorn muss erhalten bleiben, auch wenn der Truppenübungsplatz geschlossen wird.« (ZmS)



Marina Kast, Manuela Wörner, Jonathan Wagner und Florian Beck, Realschule Münsingen, Klasse 8b