ZmS: Warum gibt es die Tafel?
Rose Biedermann: Sie ist entstanden, nachdem die Vesperkirche vor 17 Jahren festgestellt hat, dass die Leute das ganze Jahr über bedürftig sind. Es wird Ware, die sonst vernichtet werden würde, an die Leute, die nicht so viel Geld haben, günstig weitergegeben. Es sind gute Lebensmittel. In Berlin gab es die erste Tafel, die schon vor über 20 Jahren gegründet wurde.
Woher kommt die Idee, eine Tafel zu gründen?
Biedermann: Die Idee kam vor über 21 Jahren aus Amerika und dann hat man die erste Tafel in Berlin gegründet.
Wie viele Personen wirken in der Reutlinger Tafel mit?
Biedermann: 60 ehrenamtliche, zwei Ein-Euro-Jobber und ich bin Hauptamtliche, ich bin bei der Diakonie angestellt und Leiterin der Reutlinger Tafel.
Wie werden die Mitarbeiter ausgesucht?
Biedermann: Sie bewerben sich. Es sind in der Regel Rentner oder Leute, die einfach freie Zeit haben neben der Arbeit oder nicht berufstätig sind.
Können nur dafür ausgebildete Personen hier arbeiten?
Biedermann: Nein. Wir haben hier Leute aus allen Berufsgruppen.
Wie ist es hier zu arbeiten, welche Aufgaben gibt es?
Biedermann: Die Ware wird gespendet von mehr als 20 Supermärkten, deswegen holen wir regelmäßig viermal in der Woche die Ware ab. Die wird von Fahrer und Beifahrer abgeholt, wir brauchen immer zwei Leute, da die Kisten sehr schwer sind. Danach werden hier in der Vorbereitung alle Waren begutachtet. Wenn sie in Ordnung sind, kommen sie in den Tafelladen und werden nachmittags verkauft.
»Ich möchte, dass die Menschen, die hierher kommen, behandelt werden wie du und ich«Ist es schwer, zu jedem, der hierher kommt, freundlich zu sein?
Biedermann: Wir bemühen uns, immer freundlich zu all den Menschen zu sein, die hierher kommen.
Wie startet der Tag in der Tafel?
Biedermann: Morgens zwischen 7 und 7.30 Uhr werden die Autos gerichtet und mit Kisten beladen. Es wird kontrolliert, was noch in der Kühlzelle vom Vortag ist, die Temperaturlisten müssen geführt werden, denn alles von den Kühlgeräten muss dokumentiert werden.
Wie lange sind die Öffnungszeiten?
Biedermann: Drei Stunden am Tag ist Verkauf, von 13 Uhr bis 16 Uhr. Die ersten Mitarbeiter sind gegen 7.30 Uhr da und arbeiten dann bis zum Mittag. Sie werden von den Verkäufern am Mittag abgelöst. Es kann jeder kommen, wann er möchte, zum Fahren morgens eher Männer, da man die Kisten heben muss und eine Kiste zehn bis zwölf Kilo wiegt.
Wo kommen die Lebensmittel her?
Biedermann: Aus fast allen Supermärkten, Bäckereien, wir kriegen auch regelmäßig von Bauern aus der Umgebung Kartoffeln. Letztes Jahr gab es viele zu große Kartoffeln, die sie nicht verkaufen konnten, und da haben sie uns gefragt, ob wir die nehmen möchten. Wir bekommen auch vom Stuttgarter Landesverband einige Sachen, die von Großspendern kommen. Das ist oft besondere Ware wie Shampoo oder Schokolade. Von einer Drogerie bekommen wir manchmal Babynahrung, Schminkutensilien oder Nagellack, die geben wir dann für 60 bis 80 Cent weiter.
Kosten die Lebensmittel etwas, wenn man sie hier holt?
Biedermann: Ja. Wir dürfen die Lebensmitte zum günstigen Preis weitergeben, das heißt, zehn bis 30 Prozent vom Discounterpreis. Wir fangen an mit einem Joghurt für zehn Cent. Ein Salat kostet das ganze Jahr über 20 Cent, auch wenn er normalerweise 1,50 Euro kostet, eine Gurke immer 20 Cent, ein Gebinde voller Obst und Gemüse das ganze Jahr 40 Cent, ein Kilo Brot maximal 70 Cent. Wir haben über 20 Obstsorten, wir kriegen Wurst, die zum Beispiel nicht richtig geschnitten ist oder auf deren Verpackung das Haltbarkeitsdatum fehlt. Es ist hier wie in einem Lebensmittelladen – auch, was die Hygiene-Vorschriften betrifft.
Wie viele Lebensmittel gehen im Monat an die Tafel?
Biedermann: Pro Monat neun Tonnen.
Was sind das für Lebensmittel?
Biedermann: Obst, Gemüse, Brot, Süßes, Trockenware, Wurst, wir bekommen sogar von einem Bauern Eier, die zum Beispiel zu klein oder nicht so sauber sind. Der Bauer schlachtet auch immer wieder Geflügel, das wir bekommen und verkaufen dürfen. Darüber freuen wir uns immer sehr.
Wie wird entschieden, welche Lebensmittel weitergeben werden?
Biedermann: Das machen die Frauen in der Vorbereitung. Es wird alles vorher angeguckt, wir achten sehr darauf, dass es ordentlich aussieht. Ich möchte, dass die Menschen, die hierher kommen, behandelt werden wie Du und ich, deswegen bekommen sie nur schöne Ware.
»Jeder kann kaufen, was er braucht. Nur Sachen, von denen wir wenig haben, teilen wir ein«Wie viele Lebensmittel darf eine Person höchstens bekommen und von was wie viel?
Biedermann: Jeder kann einkaufen, was er braucht. Nur Sachen, von denen wir wenig haben, teilen wir ein und das sagen wir dann auch den Leuten.
Gibt es manche Lebensmittel, die sehr schnell weggehen?
Biedermann: Nudeln und Mehl. Es gibt Zeiten, wo wir jeden Tag Nudeln im Regal haben, aber es gibt auch Zeiten, in denen wir wochenlang keine Nudeln haben. Auch Schokolade geht manchmal sehr schnell weg. Solche Waren müssen wir dann einteilen.
Gibt es Ausnahmen oder Regeln, wer kommen darf oder nicht und wird es überprüft?
Biedermann: All diejenigen, die berechtigt sind. Das sind Leute mit geringem Einkommen und Rentner, die wenig Rente bekommen. Es gibt auch Studenten, die bei uns einkaufen, Alleinerziehende, Obdachlose, Leute, die in Betreuung sind, also Behinderte, die in Wohngruppen leben. Einfach die, denen das Geld nicht reicht zum Leben. Sie haben Berechtigungskarten, die von der Diakonie ausgehändigt werden. Das hat verschiedene Gründe. Einer davon ist, dass es für uns einfacher ist zu kontrollieren, ob die Leute wirklich bedürftig sind, da die Lebensmittel hier nur für Bedürftige gespendet werden. Auch Mitarbeiter dürfen hier nicht einkaufen, das ist Tafel-Grundsatz.
»Wer darf hier einkaufen? Einfach die, denen das Geld nicht reicht zum Leben«Werden manche bevorzugt, wenn sie zum Beispiel Kinder haben oder Alleinerziehende sind?
Biedermann: Es sind alle gleichberechtigt. Aber wenn wir zum Beispiel eine Großfamilie haben und wir genug Milch haben, bekommen sie zwei bis drei Packungen. Eine einzelne Person bekommt entsprechend weniger.
Kennen Sie manche Leute, die öfter kommen, schon sehr gut?
Biedermann: Ja. Wir haben ein ganz tolles Verhältnis zu den Leuten, die hierher kommen.
Wie stehen Sie zu diesen Personen?
Biedermann: Wie zu Dir. Ich behandle sie ganz normal. Wir unterschreiben auch eine Schweigepflicht. Sachen, die hier besprochen werden, dürfen nicht nach außen dringen, wie in jedem Betrieb, und das verlange ich auch. Wir haben ganz tolle Erlebnisse mit Kunden. Es gibt viele, die sich einfach bedanken und sagen, sie wüssten nicht, wie sie es ohne uns schaffen würden. Manche kommen viermal in der Woche und sagen: »Ich kaufe jeden Tag ein bisschen was, nur, um auch mal rauszukommen.« Es ist schön zu sehen, wie sie sich untereinander austauschen. Eine bekommt sogar vom Nachbarn das Auto ausgeliehen, damit sie hierher kommen kann. Ich selbst fahre mit öffentlichen Verkehrsmitteln. Manche Kunden, die ich im Bus treffe oder an der Haltestelle, grüßen oder reden mit mir. Manche nicken bloß und manche laufen weg, weil es ihnen unangenehm ist. Das akzeptiere ich auch. Manche freuen sich aber auch richtig. Ich war vor Kurzem im Urlaub, und als ich wieder da war, kamen manche und fragten: »Und, sind Sie wieder zurück? Das ist ja schön, geht es Ihnen gut?« Das ist einfach schön. Manche Kunden erzählen auch, wenn es ihnen nicht so gut geht, und freuen sich, dass jemand gefragt hat. Da gibt es dann auch mal ein Blumensträußchen extra, das machen wir dann schon. Man kann auch mal einen Tipp geben, so eine ganz kleine Beratung.
Könnten Sie noch Hilfe gebrauchen? Zum Beispiel von neuen Mitarbeitern, Sponsoren oder Aushilfen?
Biedermann: Sponsoren sowie Geld- und Sachspenden brauchen wir immer. Allerdings keine Kleidung, denn wir haben keinen Kleiderladen, nur Lebensmittel. Ehrenamtliche Mitarbeiter können wir natürlich immer gebrauchen. Wir haben sogar einige Mitarbeiter, die seit 1999 bei uns und Mitte 70, teilweise sogar schon über 80 Jahre alt sind. Die sind natürlich nicht mehr ganz so fit, aber sehr zuverlässig und es ist schön, wenn sie erzählen, wie es damals war und was sich verändert hat. Manchen sind die Veränderungen schwergefallen. Es sind auch ein paar dabei, die einfach nicht mehr können, aber es nicht übers Herz bringen, zu sagen: »Ich hör jetzt auf.« Ich bin immer froh, wenn jemand anruft und sagt, ich bin jetzt in Frührente oder habe einfach freie Zeit.
»Wir haben ein ganz tolles Verhältnis zu den Leuten, die hierher kommen«Ich habe gehört, dass Sie kürzlich Ihr Jubiläum gefeiert haben. Ihr Wievieltes war es, wie haben Sie es gefeiert?
Biedermann: Wir haben 15 Jahre Reutlinger Tafel gefeiert. Die Diakonie hat alle Mitarbeiter, Spender und Sponsoren eingeladen sowie Vertreter der Politik und der Sozialverbände – kurz gesagt alle, mit denen wir zusammenarbeiten. Das Verwaltungsteam hat alles vorbereitet. Wir haben zwei Jungs dagehabt, die Gitarre gespielt haben. Es war festlich, aber nicht steif, einfach schön. Alle unsere Kunden haben zum Jubiläum einen Tafel-Gutschein über fünf Euro bekommen, den dürfen sie zum Einkaufen einlösen. Das war unser Geschenk an die Kunden. Manche waren sehr gerührt. Das war uns sehr wichtig, und das gab es so auch noch nie. Es war wirklich unser Highlight. Bei solchen Anlässen sieht man zudem, dass die Mitarbeiter einfach auch gerne da sind, Verantwortung übernehmen und mitdenken. Es haben alle ziemlich gut zusammengearbeitet. Das freut mich sehr. (ZmS)
Lara S. Hopke, BZN-Gymnasium Reutlingen, Klasse 9 d