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Fest der Liebe zwischen Kirche und Konsum

REUTLINGEN. Stille Nacht, heilige Nacht - wo ist sie geblieben? Wenn man in der Vorweihnachtszeit durch die Einkaufsstraßen geht, fragt man sich, wo in all der Hektik und all dem Stress die Ruhe und die eigentliche Bedeutung von Weihnachten liegt. Im Laufe der Zeit hat Weihnachten neue Traditionen bekommen und dafür alte abgelegt. So gehören heute beispielsweise Geschenke und die vorweihnachtliche Einkaufsstimmung selbstverständlich dazu. Nur, ist es berechtigt, dass Weihnachten, die Geburt Jesu, kommerzialisiert wird? Oder kann man das vielleicht miteinander vereinbaren? Wie wichtig ist Weihnachten?

Wir wollten es wissen und haben etwa 40 Passanten jeden Alters in der Reutlinger Fußgängerzone befragt.

Fest der Traditionen

Auf die Frage, was ihnen an Weihnachten am Wichtigsten ist, bekamen wir von 30 Prozent der Befragten die Antwort, dass ihnen Freunde- und Familientreffen am Wichtigsten seien. Von den Kindern nannten die meisten die Bescherung als wichtigstes Ereignis. Jedoch gab es auch Befragte, denen Weihnachten nun gar nicht wichtig ist.

»Haben Sie bestimmte Traditionen zu Weihnachten?« Auf diese Frage gaben nur drei Personen »Nein« als Antwort. Ansonsten bekamen wir meist sehr ausführliche Antworten. Am häufigsten wurden Bescherung und weihnachtliche Dekoration wie etwa der Weihnachtsbaum genannt. Auch Gesang und das Familienfest mit gutem Essen sind beliebte Traditionen.

Ein Junge erzählte uns begeistert, dass bei ihm zu Hause an Weihnachten immer Fußball gespielt werde. Ein Mann meinte, dass man sich in seinem Ort (Göppingen) an Heiligabend immer auf dem Marktplatz versammle, um sich gegenseitig Frohe Weihnachten zu wünschen. Eine weitere Tradition, die uns genannt wurde, ist der Gang zu McDonald's jedes Jahr an Weihnachten. 45 Prozent gaben an, aus religiösen Gründen Weihnachten zu feiern. Einige der Befragten, davon die Hälfte Jugendliche, gaben uns jedoch als Antwort, dass sie Weihnachten feiern, »weil's halt so ist«.

Ein älterer Herr erklärte uns, dass er früher sehr gerne Weihnachten im Kreise der Familie gefeiert habe, dass er es jedoch jetzt, wo seine Kinder nun älter seien gar nicht mehr feiere. Er meinte, Weihnachten sei nur noch ein »vom Business zerfleischtes« Fest.

Was sagen Vertreter der Kirche?

Auf der einen Seite gibt es natürlich die christliche Sicht auf Weihnachten. Obwohl Weihnachten heutzutage mehr an kommerzieller Bedeutung gewinnt, darf man nicht vergessen, dass die religiöse Sicht natürlich immer noch der Ursprung des Festes ist. Wir haben Ilse Katschke vom evangelischen Dekanatsekretariat und Matthias Dangel, Pfarrer der katholischen Kirchengemeinde Heilig Geist in Reutlingen gebeten, zum Thema Weihnachten und zu der Bedeutung von Weihnachten als Fest der Liebe aus kirchlicher Sicht Stellung zu nehmen.

ZmS: Finden Sie, dass Weihnachten zu sehr an religiöser Bedeutung verliert?

Ilse Katschke: Die Gottesdienste an Heiligabend, in der Christnacht und an den beiden Weihnachtsfeiertagen sind in jedem Jahr überdurchschnittlich gut besucht. Die Besucherzahlen weisen steigende Tendenz aus.

Matthias Dangel: Am Weihnachtsfest zeigt sich mit etwas Verzögerung ein Trend unserer Gesellschaft: Religion hat für viele keine Bedeutung mehr. Bedürfnisse nach Sinn, Orientierung und die Sehnsucht nach den wirklich großen Dingen werden von vielen nur punktuell wahrgenommen. Weihnachten ist leider bei einer Mehrheit inzwischen ohne religiöse Bedeutung.

Was halten Sie von dem allgemeinen »Weihnachtsstress«?

Katschke: Der Weihnachtsstress wird sich in diesem Jahr in Grenzen halten, da das Weihnachtsfest kalendarisch ein verlängertes Wochenende ist. Ich nehme an, dass die Menschen dies genießen werden.

Dangel: Etwas Aufregung ist ja sehr natürlich und gut, wenn etwas Wichtiges naht. Stress dagegen ist ungesund. Deswegen: Ein Verzicht auf manches macht viel reicher und freier!

Kann man die religiöse Bedeutung von Weihnachten und die Kommerzialisierung des Festes miteinander vereinbaren?

Katschke: Gott hat den Menschen an Weihnachten ein Geschenk gemacht: Sein Sohn kam zur Welt. Von Anfang an haben die Menschen das Fest zum Anlass genommen, auch einander etwas zu schenken. Die Kommerzialisierung einzudämmen, ist Aufgabe eines jeden Einzelnen.

Dangel: Nein. Wir müssen uns mit den großartigen religiösen Schätzen nicht billig »verkaufen«. Advent und Weihnachten sind geistliche Geschehnisse. Wer das nicht so sieht, sollte einfach auch nicht so tun, als ob.

Wie sehen Sie Weihnachten in der Zukunft?

Katschke: Das Weihnachtsfest wird fester Bestandteil im Jahresablauf der Bevölkerung bleiben. Aufgabe der Kirchen ist es, auf seine Bedeutung hinzuweisen.

Dangel: Es sieht so aus, als hätte eine große Menge von Menschen keine Beziehung mehr zum Weihnachtsfest. Natürlich brauchen aber alle Rituale für sich und die Familie. Das bleibt aber sehr unabhängig vom eigentlichen Inhalt des Festes. Viele Familien könnten genauso gut an einem X-beliebigen Datum einen Baum schmücken und Plätzchen essen. Das hat mit dem Kirchenfest oft nichts mehr zu tun. An der schleichenden Vorverlegung von Weihnachten in den Advent hinein und noch davor kann man das gut ablesen. Zusammen feiern ja, aber Kirche bald nur noch bei den ehrlich religiös Interessierten, das scheint die Zukunft dieses Festes.

Was ist für Sie an Weihnachten am Wichtigsten

Katschke: Mein Slogan: Mach\qs wie Gott, werde Mensch!

Dangel: Für mich ist die Feier der Heiligen Nacht in der Kirche zentral, auch wenn es aufgrund der vielen Gottesdienste sehr anstrengend ist. In der festlichen Liturgie und den vertrauten Liedern, beim Singen des Evangeliums von der Geburt Christi, da wird es jedes Jahr neu wirklich, was Gott für die Menschen tut. Und das feiern wir dann auch tagelang.

Wollen Sie unseren Lesern sonst noch etwas mit auf den Weg geben?

Katschke: Besuchen Sie die Gottesdienste an Heiligabend, in der Christnacht und am Weihnachtsfest. In der Marienkirche kommt die Vertonung des Lobgesangs der Maria von Johann Sebastian Bach am ersten Feiertag zur Aufführung. Herzliche Einladung!

Dangel: Ich möchte anregen, sich einmal Weihnachten wirklich zu »gönnen«. Damit meine ich, den Advent als Erwartungszeit zu begehen, ohne Vorwegnahme, ohne Weihnachtsfeiern und dauernde Aktivitäten. Das geht wirklich. Es liegt an uns. Dann an Weihnachten nicht vieles müssen, sondern nur dürfen. Kein Geschenk muss »aus Anstand« gemacht werden, wir müssen nichts produzieren. Weihnachten heißt, Gott macht doch alles für uns. Wir dürfen uns freuen.

Das war Weihnachten aus kirchlicher Perspektive. Auf der anderen Seite wächst die kommerzielle Bedeutung von Weihnachten, die auf ihre Weise ebenfalls wichtig ist. Dazu haben wir Edgar Lehmann vom Modehaus Breuninger in Reutlingen einige Fragen gestellt.

ZmS: Was würde es für Auswirkungen auf die Wirtschaft haben, wenn Weihnachten wegfiele?

Edgar Lehmann: Weihnachten hat eine hohe Bedeutung für den Einzelhandel. Viele Geschäfte tätigen bis zu 30 Prozent ihres Jahresumsatzes in den letzten zwei Monaten. Der Wegfall des Weihnachtsgeschäftes würde einen hohen Schaden in der Wirtschaft verursachen. Insbesondere wären viele Arbeitsplätze dadurch gefährdet oder würden gänzlich wegfallen.

Hat das Wetter Einfluss auf die Weihnachtsgeschäfte?

Lehmann: Auf das originäre Weihnachtsgeschäft hat das Wetter keinen Einfluss, gegebenenfalls jedoch inhaltlich auf die Geschenke.

Was erhoffen Sie sich von dem diesjährigen Weihnachtsgeschäft?

Lehmann: Es ist zu erwarten, dass aufgrund der Mehrwertsteuer-Erhöhung im nächsten Jahr einige Einkäufe größer ausfallen, somit rechne ich mit einem guten Weihnachtsgeschäft.

Wann beginnen die Weihnachtsgeschäfte?

Lehmann: Spürbarer Start für das Weihnachtsgeschäft ist die Woche vor dem ersten Advent.

Unter welchen Bedingungen laufen die Weihnachtsgeschäfte am Besten?

Lehmann: Hierzu gibt es keine konkrete Antwort. Konsumfreude, gefühlte wirtschaftliche Lage.

Was ist Ihnen an Weihnachten am wichtigsten?

Lehmann: Das Zusammensein mit der Familie.

Wollen Sie unseren Lesern sonst noch etwas mit auf den Weg geben?

Lehmann: Allen ihren Lesern wünsche ich eine besinnliche Weihnachtszeit.

Also geht doch beides. Unserer Meinung nach ist und bleibt Weihnachten ein religiöses Fest. Wir finden aber, dass man sich durchaus vom vorweihnachtlichen Kaufrausch anstecken lassen darf, aber es sollte nicht zum wichtigsten Grund werden. Was soll denn daran falsch sein, anderen Menschen etwas zu schenken und ihnen somit eine Freude zu machen? Wir freuen uns auf jeden Fall auf Weihnachten und auch auf die »Shopping-Touren« davor! (ZmS)

Julia Schaal und Sandra Berndt, BZN-Gymnasium, Klasse 10d