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»Einer ist aus dem Fenster gehüpft«

REUTLINGEN. Richter Eberhard Hausch (44) ist seit bald vier Jahren Vorsitzender des Schöffengerichts beim Amtsgericht in Reutlingen. Das Schöffengericht verhandelt die meist etwas umfangreicheren und mittelschweren Strafverfahren aus dem ganzen Bezirk des Kreises Reutlingen, also auch den Gerichtsbezirken der Amtsgerichte Bad Urach und Münsingen. Schöffengericht heißt es deshalb, weil am Richtertisch neben einem Juristen als Richter zwei juristische Laien sitzen, die hauptberuflich einen anderen, normalen Job ausüben. ZmS-ler haben nachgefragt, wie die Tätigkeit als Vorsitzender des Schöffengerichts aussieht.

ZmS: Warum sitzt das Gericht am höchsten und wer bestimmt die Sitzordnung im Gerichtssaal?

Eberhard Hausch: Ich habe darauf keinen Einfluss, das ist Tradition. In der Mitte sitze ich als Vorsitzender, auch wegen des Überblicks zur Verhandlungsleitung, rechts davon der Staatsanwalt, links vom Richter sitzt der Verteidiger und der Angeklagte. Weil das Gericht Teil der Recht sprechenden Gewalt ist, sitzt »das hohe Gericht«, wie wir häufig auch angesprochen werden, etwas erhöht. Das soll vielleicht den Respekt vor dem Gericht zum Ausdruck bringen.

Gibt es im Amtsgericht ein Gefängnis?

Hausch: Früher hatte jedes Gericht ein eigenes Gefängnis, jetzt ist an der Stelle übrigens der Gerichtsparkplatz. Inzwischen ist das nächste Gefängnis in Rottenburg. Es gibt hier im Gericht aber noch einzelne Zellen, sogenannte Vorführzellen, schon so richtig mit Gitterstäben, in denen die Gefangenen bis zur Verhandlung oder Rückfahrt ins Gefängnis bleiben, aber nie über Nacht.

Werden die Angeklagten in Handschellen oder Fußfesseln vorgeführt?

Hausch: Normalerweise kommen die Gefangenen, die in Haft sind, in Handschellen, die ihnen aber während der Verhandlung meist abgenommen werden. Wenn der Angeklagte als sehr gefährlich eingeschätzt wird, kommt er sogar in Fußfesseln, die er dann auch während der Verhandlung anbehält. Denn es kommt leider immer wieder vor, dass die Angeklagten in der Verhandlung oder anlässlich einer Vorführung die Flucht ergreifen, sogar schon aus einem Fenster im ersten Stock ist einmal einer auf die Straße gehüpft.

Was passiert, wenn ein Zeuge oder Angeklagter frech wird oder jemanden beleidigt?

Hausch: Zuerst versuchen wir, ihn zu beruhigen, dann wird er ermahnt und wenn das nicht hilft, dann wird schon mal ein Ordnungsgeld und in seltenen Fällen sogar Ordnungshaft verhängt.

Sind alle Verhandlungen öffentlich?

Hausch: Alle Strafverhandlungen gegen Erwachsene sind öffentlich, nur in Ausnahmefällen kann die Öffentlichkeit ausgeschlossen werden. Dagegen sind Verfahren in Jugendsachen meistens nicht öffentlich.

Was ist die höchste Strafe, die im Schöffengericht verhängt werden kann - und verlangt der Staatsanwalt eigentlich immer höhere Strafen als der Verteidiger?

Hausch: Ein Schöffengericht kann maximal vier Jahre Freiheitsstrafe verhängen. Wird die Strafe voraussichtlich höher ausfallen, muss der Fall ans Landgericht abgegeben werden. Bei den Strafen ist es häufig so, dass Staatsanwalt, Verteidiger und Gericht gar nicht so weit auseinander liegen. Gericht und Staatsanwalt stimmen sogar meist überein. Natürlich wird der Verteidiger öfters zugunsten seines Mandanten auf eine niedrigere Strafe, manchmal auch auf Freispruch plädieren.

Was war Ihr spektakulärster Fall?

Hausch: Im Herbst dieses Jahres hatte ich einen Fall, bei dem ein Mitglied der Hells Angels angeklagt war, unter anderem wegen Förderung der Prostitution und Vergewaltigung. Vor der Verhandlung wurde an mehreren Tagen jeder, der das Amtsgericht betrat, gründlichst durchsucht. Das Opfer, das gleichzeitig die Hauptbelastungszeugin war, ist sogar in das Zeugenschutzprogramm des Landeskriminalamts aufgenommen worden. Nach mehreren Verhandlungstagen wurde der Fall dann wegen Überschreitens der Strafgewalt an das Landgericht Tübingen abgegeben.

Berücksichtigen Sie bei der Höhe der Strafe im Urteil auch das soziale Umfeld des Angeklagten?

Hausch: Ja, natürlich, bei umfangreicheren Fällen gibt es dafür sogar einen Sozialarbeiter der Gerichtshilfe, der sich damit befasst und dem Gericht zuarbeitet.

Was passiert, wenn ein Schöffe einschläft?

Hausch: Das darf nicht passieren, ein Schöffe muss alles - von A bis Z - mitbekommen. Wenn er einschläft, muss alles, was bis zu diesem Zeitpunkt verhandelt worden ist, wiederholt werden. Im Übrigen gibt es im Gerichtsverfassungsgesetz auch für Schöffen umfangreiche und detaillierte Regelungen. Schöffen werden auch in Kursen in ihr Amt eingeführt und mit Arbeitshilfen unterstützt. Übrigens sind 2008 wieder Schöffenwahlen - wie alle fünf Jahre.

Dürfen die Schöffen auch Fragen stellen und nachhaken?

Hausch: Ja, natürlich, sie haben dieselben Rechte wie der Richter. Sie sollen sogar Fragen stellen. Das ist, jedenfalls von mir, auch ausdrücklich erwünscht.

Glauben Sie Polizisten mehr als anderen Zeugen?

Hausch: Das kommt auf den Fall an. Ein Polizist hat nach dem zu schauen, wozu er beauftragt ist. Wenn er dann etwa auf Streife beim Beobachten einer roten Ampel etwas entdeckt oder bemerkt hat, dann glaubt man ihm schon durchaus eher. Hat er aber nur etwas zufällig bemerkt, ist seine Glaubwürdigkeit nicht anders wie bei jedem anderen Zeugen auch zu beurteilen.

Was ist Ihnen am Schöffengericht wichtig?

Hausch: Vor allem ist mir die Mitwirkung der Schöffen im Rahmen der Fällung des Urteilsspruchs wichtig, da sie neutral sind und sie mit ihrem Menschenverstand und nicht in erster Linie mit Rechtskenntnissen urteilen. Außerdem ist es auch einfach so, dass man zu dritt viel mehr sieht als allein.

Wie viel Zeit bleibt Ihnen eigentlich für einen Fall, für Vorbereitung, Verhandlung bis zum Urteil?

Hausch: Als Erstes ist der Fall ja mit dem Urteil nicht zu Ende, da kommen noch viele Maßnahmen, zum Beispiel die Strafvollstreckung oder die Bewährung. Die Zeitdauer selbst hängt natürlich vom einzelnen Fall ab. Da ich nur mit einem Teil meiner Arbeitskraft dem Schöffengericht zugeteilt bin und für 2007 hier circa 90 Schöffensachen anfallen dürften, können Sie sich leicht ausrechnen, dass für die Vorbereitung leider meist eher zu wenig Zeit übrig bleibt. Die Zeit für die Verhandlung und die Formulierung des schriftlichen Urteils ist meist notwendigerweise vorgegeben, wodurch sich dann andere Verfahren gezwungenermaßen verzögern. Das ist übrigens mit ein Grund für den zurzeit immer mehr diskutierten »Deal« im Strafverfahren, also das Aushandeln einer konkreten Strafe zwischen Gericht, Staatsanwalt und Verteidiger.

Macht Ihnen die Arbeit Spaß?

Hausch: Ich bin mit »Leib und Seele« Strafrichter, gerade auch Vorsitzender des Schöffengerichts. Ich kann mir derzeit trotz der hohen Arbeitsbelastung kaum eine andere richterliche Tätigkeit vorstellen, die mich mehr ausfüllt und zufriedenstellt. (ZmS)

Charlotte Schneider, Janne Hagel, Firstwald-Gymnasium, Klasse 9b