REUTLINGEN. Am 30. Oktober 1985 startete die Raumfähre Challenger ins All. An Bord waren acht Astronauten, darunter der Reutlinger Ernst Messerschmid. Ihn konnten die ZmS-Reporterinnen Charlotte und Xenia für ein Interview treffen. Die Challenger flog sieben Tage lang um die Erde. In dieser Zeit wurden viele Experimente durchgeführt, von denen wir Menschen heute noch profitieren.
Wollte Ernst Messerschmid schon als Kind Astronaut werden? Er erzählte uns, dass er selbst nie daran gedacht hätte, später einmal Astronaut zu werden. Zufällig hörte er während der Fahrt durch den Schwarzwald zur Skimeisterschaft der Uni Freiburg (er war ein guter Skifahrer und hatte eine Ausbildung als Skilehrer) eine Radiomeldung, in der Astronauten gesucht wurden. Ernst Messerschmid bewarb sich. Er hatte gute Voraussetzung, da er unter anderem zwei Semester im Forschungszentrum CERN in Genf Physik studiert und anschließend promoviert hatte, er sportlich war (er spielte Fußball und machte Geräteturnen). So wurde er als einer von drei Kandidaten unter 3 000 Bewerbern angenommen.
»Das Gefühl von Schwerelosigkeit ist unbeschreiblich«
Die Ausbildung zum Astronauten dauerte insgesamt zweieinhalb Jahre. Die Psyche, so Ernst Messerschmid, ist einer der wichtigsten Punkte. Man sollte bereit sein, Verantwortung zu übernehmen. Außerdem muss man ein gutes Gruppenmitglied sein, denn man arbeitet Tag und Nacht auf engstem Raum zusammen.
Mit einem Schmunzeln erzählt er uns, dass er gerne aus der Challenger in den Weltraum ausgestiegen wäre. Leider gab es keinen Arbeitsauftrag und somit keinen Grund dazu.
Ernst Messerschmid erzählte, dass es unterschiedliche Kategorien an Experimenten gab: Physik, Materialforschung, Verfahrenstechnik, Technikwissenschaften und Medizin. Ein medizinisches Experiment war zum Beispiel die »Funktionalität des Gleichgewichtsorganes« zu untersuchen, wofür Ernst Messerschmid und seine Kollegen die »Versuchskaninchen« waren. In diesem Versuch ging es darum herauszufinden, wie sich die fehlende Schwerkraft bemerkbar macht. Da die Körperflüssigkeit des Menschen aufgrund der fehlenden Schwerkraft sich in Richtung Kopf verlagert, verlieren die Beine durch diesen Vorgang an Volumen und werden schmächtiger. Das Gesicht wird durch die Flüssigkeitsverschiebung jedoch voller. »Das war eine medizinische Feststellung besonderer Art mit dem Nebeneffekt, dass wir alle etwas jünger aussahen.«
Insgesamt hatten die acht Astronauten 70 Experimente »an Bord«. Nur drei konnten nicht durchgeführt werden, weil ein Leck an der Challenger repariert werden musste. Diese Reparaturarbeiten nahmen einen kompletten Tag, kostbare Zeit, in Anspruch. Die Experimente wurden in der Challenger in einem Labor, das acht Meter lang und vier Meter breit war, durchgeführt. Die Wissenschaftler verbrachten fast Tag und Nacht im Labor. Dabei haben sie 16 Sonnenaufgänge und Sonnenuntergänge pro Tag gesehen.
Kaum zu glauben, aber laut Ernst Messerschmid besteht die Raumfähre Challenger aus 95 Prozent Sprengstoff. Unvorstellbar für uns. Auf der Erde wiegt die Raumfähre inklusive Treibstoff 2 000 Tonnen. Im Weltall auf der Umlaufbahn mit leeren Tanks angekommen, sind es dagegen nur noch fünf Prozent davon.
Hatte Ernst Messerschmid jemals Angst im All? »Eine gewisse Angst ist schon immer vorhanden.« Allerdings habe er weniger Angst vor dem All gehabt, sondern eher davor, dass die Mission ohne wichtige wissenschaftliche Ergebnisse abgeschlossen wird. Die Mission war aber erfolgreich. Dass so ein Aufstieg ins Weltall nicht ungefährlich ist, musste Ernst Messerschmid einige Tage später mit ansehen. Kurz nach dem Start der Challenger mit sieben Astronauten-Kollegen explodierte diese aufgrund eines Lecks der äußeren Treibstofftanks.
Der Klimawandel und seine Auswirkungen auf die Menschheit ist in aller Munde. War das für die Astronauten vor 35 Jahren auch ein Thema? Ernst Messerschmied betont, dass sehr viele Erkenntnisse ohne die Raumfahrt nicht möglich gewesen wären. Sehr viele Veränderungen können nur aus dem Weltraum mit Hilfe von Bildaufnahmen bei unterschiedlichen Frequenzen überblickt und dokumentiert werden. »Es ist schon traurig, wenn man sieht, wie alles schrumpft: große Seen wegen Wassermangel durch Baumwoll-Pflanzungen an ungeeigneten Standorten wie dem Aralsee oder dem Amazonas; oder wie Gletscher und vor allem Polkappen schmelzen.«
Ist es aus dem All möglich, Länder oder Gebirgszüge zu erkennen? Zu Messerschmids Überraschung konnte er beim ersten Blick aus dem Fenster der Challenger zunächst keine Länderformen zuordnen. Erst als er sich so hindrehte, dass der geografische Norden mit seinem Sichtfeld übereinstimmte, ging es. »Während des Aufenthalts im All, den Blick auf die Erde gerichtet, merkt man auch, dass die Meere und Gebirge unterschiedliche Farben haben.« Kann man das Gefühl von Schwerelosigkeit beschreiben? »Schwerelosigkeit ist unbeschreiblich«, sagt Ernst Messerschmid. Man könne sie vielleicht nur dann fühlen, wenn man sich im freien Fall befindet. Sobald der Mensch wieder auf der Erde ist, ist das Gleichgewichtsorgan irritiert, erzählt er. Hormonell dauert es rund eine Woche, bis alles wieder normal ist. Nach einem langen Aufenthalt im All müssen Astronauten zunächst in die Reha gehen.
Hat so ein Flug ins All Auswirkungen auf das zukünftige Leben? Ernst Messerschmid sagt: »Ein Weltraumerlebnis macht einen gelassener, wenn es um Risiken geht und zugleich ungeduldiger angesichts vermeidbarer Umweltsünden.« Er würde auf jeden Fall ein zweites Mal ins Weltall fliegen. (ZmS)Xenia Klaiber und Charlotte Baumgardt, HAP Grieshaber Gymnasium Reutlingen, Klasse 9c