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Aktuell Natur

Die roten Menschen des Regenwalds

BORNEO/REUTLINGEN. »Wir sind angekommen im Reich der Menschen des Regenwaldes, der Orang-Utans!« Nach unserer zweistündigen Reise in die Tiefe der großen Wälder Borneos über eine kleine holprige Straße sind wir froh, endlich angekommen zu sein. Die Stimme unserer Reiseleiterin, eine aus Borneo stammende, aber auch englisch sprechende Frau, hallt durch die Luft. »In den Wäldern von Borneo sind sehr viele ausgefallene Pflanzen heimisch und es gibt dort die meisten Orchideenarten auf der Welt«, erklärt sie.

Bunte Schmetterlinge flattern durch die Luft, man hört Vögel zwitschern und es ist sehr heiß und schwül. Wir laufen einen schmalen Weg entlang, neben dem leise ein kleiner dreckiger Bach fließt. Vor uns kommt ein großes Haus zum Vorschein, das grün bemalt ist. Wir treten durch einen Vorhang in das Gebäude ein. Viele Mitarbeiter laufen durch den großen Raum und vereinzelt stehen kleine Gruppen herum, die miteinander reden oder die vorhandenen Prospekte lesen. Eine Mitarbeiterin mit braunen Haaren und einem grünen T-Shirt nähert sich uns und begrüßt uns freundlich.

Intelligent und sozial

»Ein niederländischer Wissenschaftler war 1989 in Borneo und fand dort auf einem Markt ein Orang-Utan-Baby, um das er sich kümmerte und es pflegte. Die Leute in Borneo erfuhren dies und es wurden immer mehr verletzte oder junge Orang-Utans zu ihm gebracht, woraufhin er 1991 die erste Rehabilitationsstation gründete. Im selben Jahr entstand auch die Borneo Orang-Utan Survival Foundation, kurz gesagt BOS, die ihr heute besucht«, wird uns mitgeteilt.

Jeder staunt, als wir den ersten Orang-Utan sehen. Er schaut uns mit seinen großen Augen direkt an, bevor er mit lauten Schreien die Gitterstäbe des riesigen Raumes vor uns hochklettert. »Wie viele Affen leben hier eigentlich?«, fragt meine Cousine Bärbel. »Das ist ein Fehler, den alle Menschen machen«, ruft eine der vielen Mitarbeiterinnen. Sie kommt zu uns und erklärt: »Die Menschen auf Borneo mögen es nicht, wenn man diese schönen roten Geschöpfe Affen nennt. Sie sind nicht nur Affen, sie sind die Menschen des Urwalds, unsere nächsten Verwandten, einfach die Orang-Utans! Sie sind sehr intelligente Lebewesen und haben ein gutes Gedächtnis, das nützlich ist, wenn sie auf Nahrungssuche sind. Momentan leben circa 50 Orang-Utans bei uns. Aber seit 1990 wurden bereits über 1 500 Orang-Utans hierher gebracht, die entweder krank waren, keine Familie mehr hatten, da zum Beispiel ihre Mutter getötet wurde, oder in gefährlichen Gebieten leben, wie zum Beispiel in den Ölplantagen.«

Eigentlich darf man in Indonesien keinen Tierhandel betreiben, besagt das Gesetz, doch es gibt immer noch große Probleme. Oft werden ganze Familienstämme der Orang-Utans von Tierhändlern getötet, nur um an das jüngste Tier heranzukommen.

Überall im Raum hängen Bilder von Orang-Utans oder anderen Tieren, das Licht ist gedämpft und die Mitarbeiterin spricht mit einer ruhigen Stimme. Wir laufen herum und bewundern die vielen Orang-Utans, die miteinander spielen, die Gitterwände geschickt hochklettern oder sich mit den von der Decke hängenden Seilen umherschwingen. Auf dem Boden liegen Fässer, in denen sich Bananen oder Mais befindet. An der Wand baumeln rote Ringe und große Netze, mit denen die Tiere spielen können. Die Frau erklärt uns: »Jeder Orang-Utan, der neu in der Station eintrifft, wird auf viele verschiedene Krankheiten untersucht, bei Bedarf geimpft und behandelt.«

Kindergarten und Schule

»Der Orang-Utan, den ihr vorher gesehen habt, war einer in der Sozialisierungsphase. Dort sollen sie nicht zu viel Kontakt zu Menschen haben, darum sind sie durch eine dicke Glaswand von uns getrennt«, teilt uns die Frau mit.

Die Orang-Utans durchleben verschiedene Stufen, zuerst den Kindergarten, dann die Schule. Sie leben in gleichen Altersgruppen zusammen. Viele von ihnen sind aggressiv und müssen sich erst an die anderen Orang-Utans gewöhnen und ein soziales Verhalten in der Gruppe lernen. In diesem »Kindergarten« unternehmen sie auch schon erste Kletterversuche. Manche junge Orang-Utans, die ihre Mutter haben sterben sehen, bekommen eine 'Ersatzmutter', eine Helferin der Organisation, die sich innig um sie kümmert. Es ist bei jedem Orang-Utan unterschiedlich, wie schnell er lernt und wie schnell er sich entwickelt.

Nahrungssuche und Nestbau

Im Rehabilitationsprozess, der sogenannten 'Schule', lernen die Tiere über mehrere Jahre hinweg alles, was sie für ein Leben im Regenwald brauchen, wie sie zum Beispiel ihre eigene Nahrung finden oder sich ein Nest bauen können. Während dieser Zeit werden die Orang-Utans täglich beobachtet und alles wird dokumentiert. Wenn die Tiere genug gelernt haben und Erfahrung haben, kommt es zur Auswilderung. Doch zuerst müssen sie ein sogenanntes 'Insel-Training' machen. »Es gibt verschiedene Flussinseln, sechs in unserer Gegend, auf denen die 'halbwilden' Orang-Utans leben. Dort werden sie aber dennoch täglich gefüttert. Bei Bootstouren hat man manchmal das Glück, einen oder sogar eine ganze Orang-Utan-Familie zu sehen«, sagt uns die Frau.

Vorbereitung auf Auswilderung

Das löst eine allgemeine Begeisterung in unserer kleinen Gruppe aus. »Das ist ja bestimmt interessant, einen Orang-Utan in der freien Natur zu sehen«, sagt mein Opa, der ein khakifarbenes Hemd trägt und um dessen Hals eine Kamera hängt. Nach dieser Vorbereitung auf ihre endgültige Auswilderung werden die Orang-Utans in kleinen Gruppen, maximal zehn Tiere, mit einem Helikopter in geprüfte Gebiete, weit entfernt von der Rehabilitationsstation, gebracht und verschwinden dort in das Grün des Regenwaldes. Die Orang-Utans, unsere nächsten Verwandten, sind vom Aussterben bedroht. Gerade deshalb sollten wir Organisationen wie BOS unterstützen, die versuchen, diese Lebewesen zu retten und zu erhalten. (ZmS)

Ann-Sophie Braun-Scheeff, Albert-Einstein-Gymnasium Reutlingen, Klasse 10 a