Der Arzt wird hellhörig und informiert weitere im Umkreis liegende Kliniken. Deshalb gelingt es, die Mutter mit ihrem Kind in einer anderen Klinik ein paar Tage später aufzuhalten und einen Psychiater hinzuziehen. Dieser stellt fest, das die Mutter am Münchhausen-by-proxy-Syndrom leidet.
Vor allem Frauen sind betroffen
So, oder so ähnlich können sich Vorfälle ereignen, bei denen der Verdacht auf das Münchhausen-by-proxy-Syndrom besteht. Aber was versteht man unter diesem Syndrom? Es ist eine Erweiterung des »normalen« Münchhausen-Syndroms, das nach Baron Karl Friedrich Hieronymus Freiherr von Münchhausen benannt wurde und größtenteils junge Männer zwischen 25 und 40 Jahren betrifft. Sie täuschen Krankheiten vor oder verletzen sich selbst, um in Kliniken Zuwendung zu bekommen.Vom Münchhausen-by-proxy-Syndrom - auch Münchhausen-Stellvertreter -Syndrom genannt - hingegen sind meist Mütter betroffen, die vortäuschen, ihre Kinder seien krank. Diese Frauen erzählen Lügengeschichten und verletzen ihre Kinder sogar absichtlich, damit sie bei den Ärzten Zuwendung bekommen und sich wie Heldinnen fühlen können, wenn sie ihr Kind beispielsweise angeblich vor dem Ersticken gerettet haben. Auf die Öffentlichkeit wirken sie oft wie perfekte Mütter, fürsorglich und liebevoll.
»Diese Krankheit ist nicht vererbbar und liegt meistens an der Kindheit der Erkrankten«, so die Psychiaterin Dr. Rena Schaletzky von der Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie in Tübingen. »Die betroffenen Frauen kommen häufig aus einem sozial schwächeren Umfeld und bekamen als Kind nur Zuwendung von Eltern und Ärzten, wenn sie krank oder verletzt waren«, so Schaletzky weiter. » Sie kommen mit ihren Kindern in verschiedene Kliniken mit den seltsamsten Symptomen und sind plötzlich verschwunden, sobald der Arzt das Kind für gesund erklärt hat, weil sie keine Zuwendung mehr bekommen.« Die Ärztin schildert extreme Vorfälle: »Dieses Verhalten der Ärzte kann manchmal zur Eskalation führen, wobei die Mütter, wenn sie die Gelegenheit haben, ihre Kinder verletzen oder vergiften. Sie geben zum Beispiel Desinfektionsmittel in die Infusion und rufen als besorgte Mutter die Krankenschwester.«
In anderen Fällen verweigern die Frauen Medikamente für ihr Kind. Säuglinge und Kleinkinder unter vier Jahren sind am meisten von dieser Art der Kindesmisshandlung betroffen, die Frauen können diese Krankheit jedoch auch erst Jahre nach der Geburt und somit in jedem Alter des Kindes bekommen. Die Krankheit ist schwer zu erkennen und auch nicht überall bekannt, da die Erkrankten nicht bei all ihren Kindern dieses Verhalten ausüben und ihr Partner meist nichts davon mitbekommt.
Arzt darf Schweigepflicht brechen
»Ärzte sind da meist machtlos. Sie könne einen Psychiater oder Psychologen hinzuziehen oder den Verdacht wie jeder andere beim Jugendamt melden. Bei Kindesgefährdung durch Fremdeinwirkung ist der Arzt daher auch verpflichtet, die Schweigepflicht aufzuheben«, sagt Rena Schaletzky. Da die Mütter Körpververletzung und damit eine Straftat begehen, werden sie im Ernstfall strafrechtlich verfolgt. Ein Psychologe stellt in einem Gutachten fest, ob die betroffene Person schuld- beziehungsweise zurechnungsfähig ist und wird je nach Ergebnis verurteilt, wobei das Strafmaß bis zur Freiheitsstrafe reicht.Über dieses Syndrom gibt es noch keine genauen Zahlen oder Studien. Für die Zukunft ist es sinnvoll, dass die Bevölkerung mehr darüber erfährt und aufgeklärt wird. Zum Schutz der Kinder sollten die Ärzte, vor allem Kinderärzte, sich noch mehr mit diesem Thema beschäftigen und wachsamer sein. (ZmS)
Lena Schlachter, BZN-Gymnasium Reutlingen, Klasse 9e